73/Höhle/Interview: Wolfgang Mayer König:Parzifals Gral

Parzifals Gral

Eva Riebler interviewte den Ehrenobmann der LitGes Wolfgang Mayer-König im August 2018.

Lieber Wolfgang, Du hast über mittelalterliche Malerei und Texte geforscht und publiziert. Eines Deiner 48 Bücher, die „Runkelsteiner Elegien“ (Athesia Spectrum Verlag, Bozen 2007) schlüsseln den einzigartigen Freskenzyklus aus dem 14. Jahrhundert auf und zeugen von literarischen Schöpfungen aus dem Sagenkreis von König Artus - wie Tristan und Isolde, Garel oder Wigalois. Wie kommst Du nun auf den Gral und auf Parzifal?

Deine Themenidee HÖHLE hat mich inspiriert endlich niederzuschreiben, wo genau der Gral sich befindet.

Seit Jahren unternehme ich ausgedehnte Wanderungen in Nordspanien. Dabei bin ich ab Yebra de Basa in Aragonien auf zahlreiche Höhlen, ja gerade Höhlensysteme gestoßen, in deren Innerem sich teilweise kleine Wandnischen und rudimentäre, steinere Altäre befinden. Sie liegen in etwa 1500 Höhenmetern. Hier waren die Gefahrenverstecke des Grals, die sich bis zur Gralsburg, der Klosterburg des Königs Alfons I., in San Juan de la Peña, ebenfalls einer großen Felsenhöhle abgerungen, erstrecken, wohin, das ist historisch erwiesen, der sterbenskranke König, Alfons I. lateinisch Anfortius-Anfortas, verbracht wurde.Sein Vetter: Rotrou II. de Perche Val oder Val de Perche, dessen Mutter früh den Mann verlor, alles historisch belegt, war also Parzifal.

 

Im Parzifal Wolframs von Eschenbach aus den Jahren 1200-1210 wird ja über den Gral stets berichtet, aber über den Ort der Verwahrung nur wenig.

Wenn Du Wolframs Parzifal Zeile für Zeile liest, findest du haargenau alles noch ein seinem Platz. Die untere und die obere Kapelle, die Quelle, welche die Kapellenwand hinunterfließt, in der Parzifals muslimischer Halbbruder getauft wurde, die Stiegen und Säulengänge der Gralsprozession, alles. Jetzt könnte man sagen, na und? Genauso, wie einige wenige, in der Jahrhunderte währenden Dauerhysterie, den mit übernatürlichen Kräften abenteuerlich in Verbindung gebrachten Gral, auf ebenso abenteuerliche Weise endlich zu entdecken, im Widerspruch dazu sich erhofften, er solle nie gefunden werden, um nicht solche Sehnsucht und Verzückung an Stelle wirklich brennender Probleme der Menschheit treten zu lassen. Zu diesen Wenigen habe auch ich gehört. Ohne zu wissen, dass er ja längst schon gefunden war.

 

Hitler und Himmler waren ja auch stets auf der Suche nach dem Gral …

Ja, besonders unappetitlich gestaltete sich die Suche der Nazis, die den Gral als missing link ihrer Religionsersatz- und Legitimierungsbestrebungen jagten, weit tölpelhafter als es mit Indiana Jones karikiert werden konnte. Die millionenfachen Mörder und teuflischen Pervertierer der menschlichen Kultur und Natur setzen alles dran, den Gral zu finden. Mussten jedoch an ihrer Ignoranz und Halbbildung scheitern. Hitler und Himmler suchten an den falschen Orten und in den falschen Dokumenten. Himmler suchte persönlich das Kloster Santa Maria de Montserrat auf und übte auf die dortigen Mönche Druck aus. Vergebens, hatte er doch den falschen Ort und die falsche Burg gefunden. 

Ganz abgesehen davon, dass diese Burg viel zu einsehbar auf der Gebirgsflanke thront. Der historische Ort ist viel verborgener, uneinsehbar, von einer Höhle geborgen. Es ist der Mons salvatoris – monsalvatsche, munsalvesch: San Juan de la Peña. 

Seit zwei Jahrtausenden war der Gral schon gefunden. Der Christenverfolger Kaiser Valerian zwang den in Spanien geborenen Laurentius, den von Petrus nach Rom gebrachten Gral mitsamt aller Kirchenschätze herauszugeben. Laurentius lässt den Gral nach Spanien bringen und entzieht ihn damit der Willkür des Kaisers. Dort wird er bis 1399 in Höhlen versteckt, dann endgültig dem König von Aragon übergeben, der ihn erst in Saragossa, dann in Barcelona und schließlich und endlich in Valencia aufbewahren ließ. 

Anlässlich einer Lesereise der Litges in die Städtepartnerstadt Heidenheim suchten wir ja die Burg Wildenberg in Bayern auf, die von den Herren von Dürn, verdienten Gefolgsleuten der Staufer, zwischen 1180 und1200 erbaut worden war. Hatte dort Wolfram von Eschenbach tatsächlich den Parzifal geschrieben?

Ja, die romantische, verwilderte Burg Wildenberg im Odenwald ist das Gebäude und der Ort, wo Wolfram von Eschenbach seinen Parzifal geschrieben hat, er projizierte alle seine Erkenntnisse und Informationen auf diesen Ort der Entstehung seines literarischen Werkes. Aber immer, wenn er Vergleiche mit den Originalschauplätzen in Spanien anstellte, schrieb er ehrlich, also nur vergleichend, „sowie in der Burg des Grafen von Wertheim“, also Wildenberg. 

 

Ich erinnere mich noch an die wertvollen Fensterarkaden im Palas im Obergeschoss und an den Kamin. 

Wir haben das angesichts des kolossalen romanischen Kamins in situ, und dessen Beschreibung in Wolframs Parzifal, nachvollziehen und nachlesen können.

 

Die Burg ist im ruinösen Zustand erhalten, dafür wurde sie seit den Staufern nicht verändert oder überbaut. 

Ja, sie gilt als eine der besterhaltenen stauferzeitlichen Burgen in Süddeutschland. Seit die Bauern um Götz von Berlichingen sie 1525 niederbrannten, ist sie eine Ruine. Nach 1800 wurde sie säkularisiert und kam 1816 an das Königreich Bayern.

 

Woher hatte Wolfram seine genauen, detaillierten Kenntnisse von den Schauplätzen in Spanien? 

Er bekam sie von einem Freund, dem sagenumwobenen Kyot, den es wirklich gab, Heinrich von Narbonne, genannt Kyot. Er war ein Beschützer des Grals in San Juan de la Peña, ein Tempelritter, der Alfons I. von Aragon und Navarra, lateinisch: Anfortius also Anfortas und Rotrou II de Perche Val, also Parzifal persönlich kannte und mit den Örtlichkeiten durch und durch vertraut war, auch mit der ganzen Krankheitsgeschichte des Gralskönigs und der verunglückten Mitleidsfrage seines Vetters Parzifal. Kyot war also nicht nur Inspirator, sondern der authentische Tatsachenlieferant für Wolfram von Eschenbach. Nur infolge dieser Authentizität können alle Details dieses literarischen Werkes in situ heute noch in erhaltenem, originalem Zustand vorgefunden werden. Inklusive des Grals selbst. Das ist die international kulturgeschichtliche Bedeutung.

 

Wo befindet sich heute der Gral?

In der Kathedrale von Valencia. Seine dortige Verwahrung ist seit 1437 bezeugt. 

 

Was mich dabei interessiert, ist, warum Parzifal die von ihm erwartete Mitleidsfrage nicht stellte.

Ja, seitens des todkranken Gralskönigs Anfortas wurde dies von Parzifal erwartet. Dieser führte ins Treffen, dass er in solcher Fragestellung eben durch das hysterische Brimborium und Tamtam, das mit Prozessionen und Wehklagen rund um den Gral stattfand, gehemmt, gehindert war, ja sozusagen einer Ladehemmung unterlag, all dem zum Opfer fiel. Der geschenkte Mantel der Königin, das geschenkte Schwert des Gralskönigs, welcher es jetzt ohnehin nicht mehr brauche, all diese angedienten und damit entwürdigenden Einstandsgeschenke, mit denen Parzifal überhäuft wurde, waren für ihn einfach zu viel. Er wollte auch die Geste nicht verstehen, die damit verbunden war, gleichsam eine Vorwegnahme seiner Krönung zum Gralskönig, obschon er eben erst angekommen war.

 

Was sagt uns das noch in der heutigen Zeit? Lassen sich daraus philosophisch oder politisch praktikable  Lehren ziehen?

So überfordern wir auch heutzutage unsere Jugend, indem wir sie mit virtuellen „Wohltaten“ überhäufen und ersticken. Wie überhaupt die Mitleidsfrage, und deren Vorbringen, ein Hauptproblem, das wichtigste Anliegen unserer Zeit ist. Verstehen wir es, die Leiden des anderen Einzelnen und der Gesellschaft zu erkennen, abzulesen und zu verstehen - anzugreifen, zu begreifen und anzufassen? Können wir mit dem Leid der Anderen und dem Leidensdruck, dem wir selbst ausgesetzt sind, umgehen? Ist es die falsche Erziehung, die von unserer Umwelt ausgeht, oder von einem Vorbild (Gurnemanz) uns scheitern zu lassen, oder die Kraft des Schicksals (Gral) jemanden an Problemen und Leid wachsen zu sehen? Viele Fragen, wenig Antworten. 

 

Ich danke Dir nicht nur für das Ausbreiten Deines historischen Wissens, sondern für die zeitgeschichtlich aktuellen Anknüpfungspunkte.

Ja, wenn alle Duldsamkeit zu Ende verspürt ist, kann man solche Gedanken ausbreiten!

 

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Foto ©Günther Hieger
Foto ©Günther Hieger