73/Höhle/Interview: Zdenka Becker

 

Zdenka Becker kam vor 43 Jahren nach Österreich. Cornelia Stahl sprach mit ihr  über Ängste, Identität, Vorurteile gegenüber Fremden und ihren Roman „Samy“ .

Im neuen Roman „Samy“ sieht sich der Protagonist Samy Slovak seit frühester Kindheit mit Rassismen, Anfeindungen und Enttäuschungen konfrontiert. Haben Sie selbst einmal Ablehnung oder Anfeindungen erfahren müssen? 

Ablehnung hat wohl jeder Mensch schon einmal erfahren. Ich lebe seit 43 Jahren in Österreich und habe Deutsch als Erwachsene gelernt. Rassistische Beleidigungen, so wie Samy, habe ich nicht erlebt. Wir haben uns nicht ausgesucht, wo wir geboren werden, müssen das so hinnehmen. 

 

In Ihrem Buch Taubenflug (Picus, 2009) wird die Frage aufgeworfen, inwieweit Familiengeschichten unser Leben latent beeinflussen. Inwieweit ist es vorstellbar, aus unserer Höhle, aus unserer Herkunft auszubrechen und eine neue Identität anzunehmen? 

Wir sind Kinder unserer Eltern. Den Stempel, den wir als Kind bekommen, können wir als Erwachsene korrigieren. Wenn wir viel Liebe erhalten haben, ist das natürlich ein Polster für das ganze Leben. 

Meine Geschichten, die ich schreibe, nehmen ihren Anfang in der Slowakei. Es sind Geschichten, die mich berühren. Ich beschreibe Dinge, die ich kenne, es sind Gefühle. Ich kann nur das Gefühl beschreiben, das ich auch wirklich kenne. Der Protagonist Samy ist 1980 in der Slowakei geboren, in der kommunistischen Zeit, in der es viele Probleme mit Minderheiten gab, insbesondere mit der Volksgruppe der Zigeuner. Er wird in eine weiße Welt hineingeboren, in der anders Aussehende eine Seltenheit im Straßenbild waren. Die Revolution 1989 bringt die Beendigung des Kommunismus und die lang ersehnte Freiheit, aber auch den Nationalismus als Massenphänomen. 

 

Aber es war doch während der kommunistischen Zeit immer die Rede von Internationaler Solidarität? Wie passt das zusammen? 

Wir haben nur davon gesprochen. Aber die politischen Veränderungen haben sich im Alltag der Menschen gezeigt: Ein Arbeiter im Sozialismus wurde geringer geschätzt als ein Arbeiter in Österreich, der sich mehr leisten konnte und daher anerkannter war in der Gesellschaft. 

Samy sieht aus wie ein Zigeuner und wird zur Projektionsfläche für Menschen, die in ihrem Nationalbegriff feststecken und andere Ethnien ablehnen. Samy wird zunächst Zielscheibe von aggressiven Kindern und später von Neo-Nazis in der Slowakei. 

 

Der Österreichische Schriftstellerverband wählte 2018 den Schwerpunkt  „Frieden“? Ich denke dabei an „Guernica“ von Pablo Picasso, der es 1937 der zerstörten spanischen Stadt Gernika widmete. Frieden - als Abwesenheit von Krieg? Wann und wie können wir Ihrer Meinung nach von Frieden reden? 

Von Frieden sprechen wir, wenn in einem Land keine Waffen zur Anwednung kommen. Es gibt verschiedene Kategorien von Frieden. Das Miteinander ist meist schwierig, aber wenn wir den anderen so sein lassen, wie er ist, dann haben wir den Frieden. So einfach ist das! Derzeit, bei der Ablehnung von Zugewanderten und Flüchtlingen, geht es vor allem um die Angst vor Verlust des Eigentums, um Gewalt und Religionsfanatismus. Das sind aber nur bestimmte Menschengruppen, die diese Ängste schüren.  

 

Am 26.April 2018 fand an der Wiener Universität für Angewandte Kunst die Konferenz „Changing Politics- Changing Culture“ (Politische Veränderungen- Kultureller Wandel) statt und ging der Frage nach, in welcher Weise Kunst in der Lage ist, sich mit den neuen politischen Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Wo sehen Sie die Verantwortung des Künstlers? 

Ich schreibe immer über Themen, die mich interessieren und wo es mich im Innersten „erwischt“ (berührt). Das sind Themen wie Eiserner Vorhang, Ost und West, die Suche nach einer neuen Heimat und Identität. Mit dem, was ich schreibe, möchte ich eine bessere Welt ermöglichen. Das sollte Jeder, mit dem, was er tut! Aber wir sind nicht perfekt. Wir wollen etwas erreichen, es gelingt nicht und wir erreichen das Gegenteil. 

Jeder Mensch trägt Verantwortung! Was wir von uns geben, sollte dazu beitragen, dass wir den anderen besser verstehen. Wenn ich den anderen besser verstehe, kann ich mit ihm besser in Frieden leben. Wir haben Vorurteile, was die Hautfarbe betrifft, und denken sofort, wenn wir einen Dunkelhäutigen sehen, an das Stehlen einer Geldbörse. Wir müssen uns in die Lage des Anderen versetzen: Wie würde ich reagieren, wenn sich alle bei meinem Anblick die Taschen zuhielten?!

Wir geben viel von uns preis, ob als Maler oder Schriftsteller, ob es historische Themen sind oder Utopie. Die Gefühlswelt ist die unsere, die wir preisgeben. Und damit sollten wir zum beidseitigen Verständnis beitragen, sodass wir den anderen auch besser verstehen können. 

 

„Wie gefährlich ist Kunst?, so lautete der Titel einer Diskussion im Landestheater Niederösterreich am 17.2.2018. Hat Kunst das Potential, gefährlich zu werden? 

Könnte! Man könnte die Kunst missbrauchen! 

 

In welcher Weise? 

In der Literatur könnte man es mit Dingen, die provozierend sind und Hass schüren. Damit könnte man schon Schlimmes anrichten, wenn es populistisch geschrieben ist. Hetzschriften sprechen einfache Menschen an, die ein hohes Aggressionspotential haben. Und das ist gefährlich! Da könnte die Kunst etwas anrichten- wenn es die Kunst ist! 

 

Kommen wir zurück zum Thema Frieden: „How to live together?“, so war der Titel einer Ausstellung in der Kunsthalle im Museumsquartier 2017. Wie können Menschen in Österreich ein gutes Miteinander gestalten? Was braucht es dafür? 

Das habe ich schon gesagt: Wenn jeder den anderen in Frieden lässt und so lässt, wie er ist, das wäre schon ein großer Schritt! Das jetzt eine Vermischung stattfindet, müssen wir als Gegebenheit akzeptieren und die Neuen, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen und leben wollen, aufnehmen! 

 

Ich danke Ihnen für das Interview!