76-77/Stern/Unstern/Interview/Olga Sánchez Guevara

Das Interview führte Eva Riebler und wurde von Gabriele Müller aus Krems, die Olga  Sánchez Guevara im Februar 2019 in Kuba getroffen hatte, aus dem Spanischen übersetzt.

 

Liebe Olga, Du hast Werke der bedeutendsten Autorinnen Österreichs, Marie Thérèse Kerschbaumer, Elfriede Gerstl und Friederike Mayröcker ins Spanische übersetzt. Wie kamst Du auf diese drei Österreicherinnen?

Der kubanische Verlag „Arte y Literatura“, für den ich bereits mehrere Werke übersetzt hatte, beauftragte mich 1994 mit der Übersetzung von „Die Fremde“, den ersten Roman des dreiteiligen Zyklus von Marie-Thérèse Kerschbaumer. Als ich an der Übersetzung arbeitete, kam Kerschbaumer auf Besuch nach Kuba. So konnte ich mit ihr persönlich über den Roman reden und erhielt das nötige Hintergrundwissen, um den Text ins Spanische zu übertragen. 1998 gaben Kerschbaumer und Gerhard Kofler im Verlag Ediciones Unión, Havanna, die beiden Anthologien „Poetische Insel“ und „Elf Beispiele von Lyrik aus Österreich“ mit Texten kubanischer und österreichischer Autoren und Autorinnen im Original und der jeweiligen Übersetzung, heraus.  In der Auswahl enthalten waren Mayröcker und Gerstl. Es war mein erster Kontakt mit deren Lyrik, kurz danach übersetzte ich für eine Sondernummer der Zeitschrift „Unión“, die der zeitgenössischen österreichischen Literatur gewidmet war, das Hörspiel von Mayröcker „Ein Schatten auf dem Weg zur Erde“ und mehrere weitere Gedichte von Gerstl. Ich wollte unbedingt mehr von diesen Autorinnen übersetzen und es entstanden die Anthologien „Magische Blätter“ mit Gedichten Mayröckers, erschienen 2005 im Verlag Torre  de Letras, und „mein papierener garten für zwei“, mit Gedichten von Gerstl und ihrem Lebensfreund H. J. Wimmer.  Der Band wird demnächst bei SurEditores erscheinen. 

 

Du übersetztest die Trilogie: Fremde-Ausfahrt-Fern. Welches Werk gefiel Dir besonders und warum?

Mein Lieblingsroman ist „Fern“, aus mehreren Gründen. Zu Beginn der Trilogie ist die Protagonistin ein Mädchen, dann eine junge Frau auf der Suche nach ihrer Identität, ihrer Verwirklichung als Person. Erst am Ende des dritten Romans geht sie das Wagnis ein, die ihr zugewiesene Rolle aufzugeben und ihren eigenen Weg zu gehen. Interessant für mich ist auch die kritische Herangehensweise der Autorin an das soziale Umfeld ihrer Figuren. Darüber hinaus scheinen mir die Beschreibungen der italienischen Landschaft und der Kunstwerke sehr poetisch und gut gelungen. 

 

Das Thema dieser Zeitschrift ist STERN/UNSTERN. Welcher Glücksstern stand über Deinem Leben?

Das Glück in meinem Berufsleben ist an erster Stelle mein Studium, zu dem ich auf etwas ungewöhnlichen Wegen kam. Ursprünglich wollte ich Psychologie studieren, was aber damals nicht möglich war. Dann dachte ich an die englische Sprache, wofür es damals aber keinen Platz mehr gab. Daher immatrikulierte ich Germanistik mit der Absicht, im darauffolgenden Jahr zu Anglistik zu wechseln. Mein deutscher Wortschatz bestand aus einem einzigen Wort, nämlich „Gesundheit”. Es wurde damals in einer Zeitschrift für eine Medikamentenwerbung verwendet. Aber drei Monate später wusste ich, dass ich dabei bleiben würde. Und ich bin glücklich darüber. Ein Glück war auch das Treffen mit Kerschbaumer, die gemeinsame Arbeit mit Kollegen wie Francisco Díaz Solar und José Aníbal Campos, und die Freundschaften, die daraus entstanden. Ein Glück war, dass die Romanistin und Übersetzerin Elisabeth Prantner-Hüttinger Texte von mir in dem Band mit Erzählungen lateinamerikanischer Autorinnen „Mosaik aus dem Innersten“, LIT Verlag, aufnahm. Ein Glück war auch die Unterstützung durch die Österreichische Gesellschaft für Literatur, die mich mehrmals zu Arbeitsaufenthalten in Österreich eingeladen hat und ein Glück war, dieses Land kennenzulernen, das ich aus ganzem Herzen liebe.

 

Welcher Unstern stand über dem Leben von Elfriede Gerstl, die nur durch ein Versteckspiel quer über die Länder in den 30er Jahren und zur Kriegszeit mit Mutter und Großmutter überlebte, Deiner Meinung nach?

Im Fall von Gerstl kann man meines Erachtens nicht von Unstern, im Sinn von Unglück, sprechen. Tausende, ja Millionen Menschen haben Ähnliches wie Gerstl und ihre Familie erlebt, manche auch noch Schlimmeres. Sie alle erlitten die Konsequenzen eines Terrors, dessen Ungeheuerlichkeit man nicht einfach Unglück nennen kann. 

 

Fr. Mayröcker leidet immer noch unter der Abwesenheit Jandls. Kann man das als ihr Unglück/ihren Unstern bezeichnen? Vielleicht ist sie ja deswegen sehr produktiv im Schreiben?

Den geliebten Menschen zu verlieren ist sicher ein trauriges Ereignis, in diesem Fall kann man vielleicht wohl von Unglück sprechen, aber Mayröcker war immer eine Vielschreiberin, nicht erst nachdem sie Jandl verloren hatte. Mayröcker schreibt seit jeher, weil sie ohne Schreiben nicht leben könnte.

 

Liebe Olga, Du schreibst auch für den Blog „Cubaliteraria“ und berichtest von österreichischen Schriftstellern? Bevorzugst Du die weiblichen ...?

Auf „Cubaliteraria“ rezensiere ich auch ins Spanische übersetzte Bücher oder wage mich ab und zu an einen Essay über Theorie und Praxis des Übersetzens. Ich übersetze auch aus dem Portugiesischen und präsentiere daher auch Autoren und Autorinnen, die in dieser Sprache schreiben. Schaut man sich die Auswahl an, scheint es als bevorzugte ich Dichterinnen. Das ist keine Absicht, vielleicht identifiziere ich mich aber mehr mit dem Schreiben von Frauen.

 

Du schreibst aus dem Bauch heraus, wählst Du auch die Literatinnen und Literaten nach Bauchgefühl?

Meine Auswahl erfolgt nach dem Zufallsprinzip. Wenn ich auf ein Buch stoße, gleich ob gedruckt oder digital, und etwas an dem Text meine Aufmerksamkeit erregt, möchte ich diese literarische Erfahrung mit anderen teilen. Dann denke ich mir diese Dossiers aus, manche davon werden zu einem größeren Projekt. ... So ist aus diesen Arbeiten etwa die zweisprachige Anthologie „Frau in der Landschaft“ entstanden. Sie enthält Gedichte von Annemarie Moser, Friederike Mayröcker, Marie-Thérèse Kerschbaumer und Lisa Fritsch. Im selben Verlag, nämlich Edition Art Science, ist auch meine zweisprachige Anthologie von Hans Raimund erschienen.

 

Hat der Kontakt mit Österreich Dein eigenes Schreiben, über das Übersetzen hinaus, beeinflusst?

Nach meiner Rückkehr von der ersten Reise nach Wien schrieb ich meine Erzählung „Briefe der Nostalgie“, in der ich die Erlebnisse dieses Aufenthalts, der für mich eine Entdeckungsreise war, mit der Geschichte meiner Familie vermischte. Es ist einer der Texte, die in der oben genannten Anthologie „Mosaik aus dem Innersten“ erschienen sind.  Auch im Gedichtband „Itaca“, der 2007 vom spanischen Verlag  „Colección Sinsonte“ publiziert wurde, sind Spuren dieser Reisen nach Wien und Salzburg zu finden. Außerdem scheinen in meinen Essays über Übersetzung und Literatur deutscher Sprache,  die unter dem Titel „Worte sind Brücken“ im kubanischen Verlag José Martí erschienen sind, Spuren der Reisen nach Österreich auf.

 

Vielen Dank für das Interview und die Präsentation österreichischer AutorInnen im Kubanischen und Spanischen Raum!

Vielen Dank, liebe Eva, für dein Interesse an meiner Arbeit!

 

 

 

 

Olga Sánchez Guevara

Als eine der ersten Absolventinnen des Germanistikstudiums an der Universität Havanna begann die 1962 in Bayamo, Kuba, geborene Olga Sánchez Guevara ihre Tätigkeit als Übersetzerin beim Kubanischen Buchinstitut (ICL) Mitte der 70er Jahre. Seit 1977 ist sie als literarische Übersetzerin tätig. Auf Einladung der Grazer Autorenversammlung kam sie 1995 erstmals nach Österreich, 2005 erhielt sie ein Stipendium der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und besuchte Wien. Für ihre literarischen Übersetzungen erhielt sie bereits zahlreiche Preise, darunter den Preis des Beirats für literarische Übersetzer des Bundeskanzleramtes Österreich (1997 und 1999). 

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