63/Alles Theater/Lyrik: Helge Brunner: Gastspiel oder ungarisch ist schwer

die raumtiefe der plattenbaukulissen.
für den brandfall ein eiserner vorhang,
so die bühnentechnische bezeichnung,
der sich vor den hauptvorhang schiebt.
jede ähnlichkeit mit lebender historie
ist irrtum, chimäre und zufall.
jetzt mein auftritt an der zapfsäule:
édesem, mein lieber, sei kein statist.
ich verwechsle den text im minidrama
und bestelle nicht geisteskranken sprit.
der junge blaumann lächelt höflich,
dann füllt er normalität in den tank.
tatsächlich ist nichts mehr normal
und nichts scheint mehr, wie es ist.
der intendant spricht von terroristen,
die täglich auf die bühne drängen.
das theater hat das theater verlassen.
brandfall ist jetzt. und brennbar: wir.

budapest, jänner 2016


Helwig Brunner
Geb. 1967, Studien der Musik und Biologie, lebt in Graz. Hg. der Buchreihe keiper lyrik, Mithg. der Zeitschrift Lichtungen. Zuletzt: Denkmal für Schnee (Gedichte, Berger 2015), Die Kunst des Zwitscherns (Essays, mit Kathrin Passig und Franz Schuh, Residenz 2012), gemacht/gedicht/gefunden (poetologische Debatte, mit Stefan Schmitzer, Droschl 2011). www.helwig.brunner@gmx.at