59/Gier/Lyrik: Michael Benaglio

Michael Benaglio

Willkommen in neoliberaler Nacht

Behinderte
Auf bunten Glasscherben
Verrottender Abfallhaufen
Alleingelassen
Bröckelnde Mauern
Auf moosbewachsenem Boden
Ruinen
Der Menschlichkeit.
WILLKOMMEN IN NEOLIBERALER NACHT.

Die Töne verebbt
Musik versandet
Im Smog des Profits
Zerbrochen die Seiten der Geige
Genickt der Gitarre Hals
Kein Lied erklingt mehr
In den Hallen des Elends
In den Fabriken der Pein
In den Büros
Seelenlos, ohne Sinn.
WILLKOMMEN IN NEOLIBERALER NACHT.

Sie verrecken zu Tausenden
In den Strassen
Tavernen
Kloaken
Sterben irgendwo vergessen
Am Straßenrand.
Ihr Herzblut gefriert
Zu Eis
Zu stummem Schrei.
Kein Geld. Kein Geld.
Und die Reichen feiern
Mehr denn je
Im Schlaraffenland.
WILLKOMMEN IN NEOLIBERALER NACHT.

Die letzten Seelen
Engagiert
Verebben trostlos
Versinken
Mit wehenden Fahnen
Im Burn Out.
Ihre Schreie verhallen
Vor dem sattem Grinsen
Speckfressender Politiker
Ungehört.
WILLKOMMEN IN NEOLIBERALER NACHT.

Es zerbricht eine Welt
Stirbt eine Kultur
Wird der Sozialstaat
Die Menschlichkeit
Das freie Leben
Der Sinn
Zu Grabe getragen
Von rostzerfressenen Profiteuren
Die ihre Opfer
In verseuchte Flüsse
Kippen.

Kali Yuga.
Dunkle Wolken
Vor dem Licht.
Zeit der Verwesung.
Wahn weht keuchend
Durch die Welt.
Es ist vollbracht.
WILLKOMMEN IN NEOLIBERALER NACHT.

Michael Benaglio
Geb. 1952 in Wien. Studienabschluss (Geschichte/Kunstgeschichte) mit dem Titel Dr. phil. 1983. Mitarbeiter an zahlreichen wissenschaftlichen Forschungsprojekten zu den Thematiken "Esoterik, Sekten, Okkultismus, Satanismus, Rechtsextremismus". Ca. 800 Veröffentlichungen (Artikel, Rezensionen etc.), u.a. 6 Bücher. Seit 1996 Leitung der steirischen LOGO ESO.INFO. Gründungsmitglied der im steirischen Landesjugendreferat angesiedelten Plattform gegen antidemokratische Strömungen
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60/Unentwegt/Lyrik: Konstantin Teske: Nächstes Jahr im Sommer u.a.

Konstantin Teske

Nächstes Jahr im Sommer

Da wird das Grobe überwunden sein,

da wird die Luft weich,

da wird – ich weiß – der Flieder blühn.

Da wird wieder greifbar

was mich aus der Fassung brachte,

da werde ich halten mit beiden Händen

mein Glück an der Gurgel.

Da wird vollbracht sein

was bisher ohne Anfang war; da werde ich

dich endlich küssen.

Da wird keine Traurigkeit mehr sein,

da werden die Fragen geklärt

und stetes Zirpen wird mir Beweis sein.

Eine Sehnsucht macht noch keinen Sommer

und schwer ist’s, alleine

ins Jetzt zu sehen

und immer wieder

dich,

Hoffnung, Geliebte an der Kippe,

zu ertragen.

 

Nah am Wasser

 

Ständig werde ich angewogt, zudringslichst beplätschert;

ein schwacher Stolz ist

mein Damm aus Sand.

Schon bin ich unterspült und bröckle,

schon bin ich aufgeweicht und falle in mich

 zusammen mit den Strömen.

 

Im Spiel

 

Du gibst den Ball an mich, ich laufe

anstatt zu warten, dass er mir ein Geheimnis verrate.

 

Der Fehlschlag

 

Das Leben hat mich wieder weit hinausgewagt,

mir geleuchtet mit den Abseitspfaden,

mich sehnen gemacht nach diesem Dorthin –

und mich dann prompt alleingelassen.

Boshaft, wer schelmisch dabei denkt:

Das Leben ist kein Trickbetrüger!

Denn jener leitet hintersinnig in die Irre, das Leben aber

vordergründig in die Weite.

In der Steppe lernt man durchzuatmen,

ganz zurückgeworfen auf dies Ein und Aus;

verstoßen mit Ausblick

auf den Horizont in allen Richtungen.

Der Rückweg dann durch Leere, die vibriert,

durch Nacht mit tausendfachem Leuchten;

manch totes Licht (Zeugnis der Vergangenheit) strahlt oben

wie

in mir.

Nun heißt es erlöschen lernen,

sich in dunklen Fleck verwandeln,

Platz zu machen für die Heimkehr, um,

neu angeordnet, sich wieder zu verlaufen.

Konstantin Teske
Geb. 1986 in St. Pölten, aufgewachsen in Mondsee/Oberösterreich,
lebt in Wien. 2006-2013: Studium der Philosophie und der
Vergleichenden Literaturwissenschaft in Wien seit 2007: Tätigkeit
als freiberuflicher Journalist seit 2013: Studienabbrecher der Philosophie
und der Vergleichenden Literaturwissenschaft.

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63/Alles Theater/Lyrik: Helge Brunner: Gastspiel oder ungarisch ist schwer

die raumtiefe der plattenbaukulissen.
für den brandfall ein eiserner vorhang,
so die bühnentechnische bezeichnung,
der sich vor den hauptvorhang schiebt.
jede ähnlichkeit mit lebender historie
ist irrtum, chimäre und zufall.
jetzt mein auftritt an der zapfsäule:
édesem, mein lieber, sei kein statist.
ich verwechsle den text im minidrama
und bestelle nicht geisteskranken sprit.
der junge blaumann lächelt höflich,
dann füllt er normalität in den tank.
tatsächlich ist nichts mehr normal
und nichts scheint mehr, wie es ist.
der intendant spricht von terroristen,
die täglich auf die bühne drängen.
das theater hat das theater verlassen.
brandfall ist jetzt. und brennbar: wir.

budapest, jänner 2016


Helwig Brunner
Geb. 1967, Studien der Musik und Biologie, lebt in Graz. Hg. der Buchreihe keiper lyrik, Mithg. der Zeitschrift Lichtungen. Zuletzt: Denkmal für Schnee (Gedichte, Berger 2015), Die Kunst des Zwitscherns (Essays, mit Kathrin Passig und Franz Schuh, Residenz 2012), gemacht/gedicht/gefunden (poetologische Debatte, mit Stefan Schmitzer, Droschl 2011). www.helwig.brunner@gmx.at
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