CD

Neue Musik / EVA REITER: Noch sind wir ein Wort…

Peter Kaiser

EVA REITER
Noch sind wir ein Wort…
Klangforum Wien

KAIROS 2018 (0015031KAI)

Den Stücken Eva Reiters aus den Jahren 2009 bis 2017 wohnt eine frappante Kontinuität inne, die auch auf ein Album aus einem Guss schließen lassen könnte: Konter, Irrlicht, In groben Zügen, Noch sind wir ein Wort…, Masque de Fer und Allmande mulipliée - zweifellos sind sie einem musikalischen Konzept entsprungen.

Das Instrumentarium, des wie immer leidenschaftlich-präzisen Klangforum Wien, wird in seiner ganzen Breite gefordert und um diverse Electronics bereichert.

Die Kompositionen von Eva Reiter machen Spaß. Sie sind effektgeladen, Soundtracks für imaginäre Animationsfilme, pointiert. Mal Techno, mal Ambient-Music, mal eher Noise oder kurz: feinsinniger Industrial für klangverliebte Zeitgenossinnen, bei dem selbst der Staubsauger zu swingen beginnt (Track 5). So ausgefeilt die Stücke auch sind - auf Dauer mag der Hörer, die Hörerin, allerdings eine Idee oder ein Narrativ in all dem akustischen Pointilismus vermissen.

Neue Musik / SAMUEL ANDREYEV: Music with no Edges

Peter Kaiser

SAMUEL ANDREYEV
Music with no Edges u.a.

HANATSUmiroir
KAIROS 2018 (0015025KAI)

Etwas Mechanoides kennzeichnet die Stücke Samuel Andreyevs, etwas noch nicht Fleischgewordenes. Beim Anhören derselben, öffnet sich in der Vorstellung die Luke oder Klappe eines Gehäuses und gewährt uns Einblicke in die intimen Lebenswelten liebenswerter Maschinchen, die sich gerade auf den Weg zum nächsten Evolutionssprung befinden. Derek Beaulieus Vergleich (im Booklet) mit Uhrwerken hinkt, da wir von diesen ja höchste Vorhersehbarkeit und Regelmäßigkeit im Ablauf erwarten würden. Die Maschinchen (Stücke) erfüllen diese Erwartungshaltung mitnichten. Ganz im Gegenteil scheinen sie in Experimentierstadien der Autopoiesis befangen, nach dem Muster Versuch/Irrtum.

Die Musik Samuel Andreyevs ist, in allen sechs sich auf dieser CD befindlichen Stücken, originell und lebendig. Sie ist verspielt und hat, neben zarten poetischen Momenten, Witz - auch dies ein Kennzeichen des Lebendigen.

Folgende Instrumente benötigt diese Musik und treten vorwiegend in ihrer kindlichen, diminutiven Form in Erscheinung (und weisen auch hier wieder auf Das-im-Werden-Begriffene hin): Flöten, Musette, Klarinetten, Percussion (vorwiegend Blechdosen), Casio SK-1, Viola, Cello, Bass.

Samuel Andreyev wurde 1981 in Kincardine, Kanada geboren. Die Stücke Cinq pièces und das Strasbourg Quartet wurden für das erstaunliche Ensemble HANATSUmiroir geschrieben.

Neue Musik / GEORGE CRUMB: Makrokosmos I-II

Peter Kaiser

GEORGE CRUMB
Makrokosmos I-II, Music For A Summer Evening (Makrokosmos III)

Yoshiko Shimizu (Piano), Rupert Struber (Perkussion)
KAIROS 2018 (0015029KAI) 2 CD

Wem der Schock der Black Angels (vielleicht in der legendären Einspielung mit dem Kronos Quartet) noch wohlig in den Eingeweiden sitzt, hat mit dem vorliegenden Makrokosmos nun die Möglichkeit einen der wichtigsten nordamerikanischen Komponisten wesentlich näher kennenzulernen.

Formal dem Tierkreis (Zodiac) in der Gliederung nachempfunden, sind die Teile I-II des Makrokosmos (1972-73) doch vor allem eine Auseinandersetzung und Hommage an den herrlichen Mikrokosmos von Béla Bártok. Mit Bártok teilt Crumb (*1929) unter anderem die unbändige Spiel- und Experimentierfreude. Andererseits ist der Zyklus auch eine Beschäftigung mit der europäischen Romantik in ihrer ganzen Bandbreite, wobei immer wieder Gustav Mahler (geistig) fokussiert wird.

Ein weiterer Schwerpunkt - und eine wesentliche Stärke Crumbs - liegt in seinen Bezügen zur fernöstlichen Musik, wobei er weit über den impressionistischen Japonismus eines Debussy (eines weiteren Widmungsträgers) hinausgeht. Vielmehr hat man den Eindruck, die Innenseite östlicher musikalischer Zugänge zu erahnen.

Diese Vorliebe Crumbs dürfte nun auch der Grund sein, warum die japanische Pianistin Yoshiko Shimizu den Makrokosmos sozusagen als Initialzündung für ihre künstlerische Tätigkeit betrachtete.

Ihre Wiedergabe des gesamten Zyklus ist von einer stupenden Intensität und einem unglaublichen Farbenreichtum! Erst im 3. Teil des Makrokosmos, welcher sich mit Music For A Summer Evening übertitelt, tritt zum präparierten Klavier das Schlagwerk des Österreichers Rupert Struber hinzu und bereichert den ohnehin überreichen Kosmos nochmals ungemein. Ein wahrhaft universeller Hörgenuss!

Neue Musik / PIERLUIGI BILLONE: Om on

Peter Kaiser

PIERLUIGI BILLONE
OM ON

Yaron Deutsch, Tom Pauwels (electric guitar)
KAIROS 2018 (0015057KAI)

Die Besprechung dieser CD von Pierluigi Billone (*1960) unter der Rubrik Klassik/Neue Musik einzuordnen könnte man beinahe als frivol bezeichnen. Aber wenn schon eine Schublade von Nöten ist, dann - für diese Musik! - zumindest eine falsch beschriftete.

Gehen wir bei dieser Besprechung zur Abwechslung einmal vom Hörer aus. Wie ist es um seine Hörgewohnheiten bestellt? Wie wurde er musisch sozialisiert? Für wessen Ohren wurde diese Musik also geschrieben, dieses Achtzig-Minuten-Stück namens OM ON?

Bizarre Verfremdungen und Überformungen, ein Schnarchen, ein Tröten, ein Schwingen und Schweigen, ein Schlagen und Zupfen, Heulen und Geraune. Hintergrundrauschen.

Der Instrumente scheinen viele, aber eigentlich sind es bloß zwei, ist es eins: Zwei elektrische Gitarren mit all ihren Möglichkeiten eben.

Der unbekannte Hörer, die Hörerin wird den elektroakustischen Experimenten der Nachkriegszeit nicht abgeneigt sein, wird womöglich John Cage interessant finden, wird bei Caspar Brötzmann in Ekstase geraten und bei Autechre zu tanzen beginnen.

Kurz: OM ON ist der Soundtrack zu etwas das im Universum passierte, circa zwanzig Milliarden Jahre bevor es Ohren gab zu hören: La Diffusione.

Pierluigi Billones Lehrer waren Salvatore Sciarrino und Helmut Lachenmann.

Neue Musik / LARS GRAUGAARD: Engage and Share

Peter Kaiser

LARS GRAUGAARD
Engage and Share

Grup Instrumental de València, Joan Cerveró
KAIROS 2018 (0015039KAI)

Lars Graugaards Musik ist gewaltig, mitunter gewalttätig, eruptiv und konvulsivisch. Ein sich Wälzen, ein Hämmern. Der erläuternde Text im Booklet zieht als Bild Meer und Brandung heran. Aber gar zu technisch scheinen die Phänomene um als natürlich zu gelten. Näher liegt das Großstadtgetriebe. Die hektisch zirkulierende Oberwelt, mehr von Maschinen bewohnt als von Menschen, dann die Kanäle und Rohre darunter, die Eingeweide der Stadt.

Wird hier eine unbestechliche, musikalische Chronik eines mächtigen Kapitels unserer Gegenwart aufgeführt oder doch bloß Kulisse oder Filmmusik für Dystopien?

Mitnichten, liefert doch der 1957 in Kopenhagen geborene Lars Graugaard selbst die messerscharfen Bilder mit. Mehr Impressionen zwar denn Erzählung, aber mysteriös, spannend und voll Action.

Die Instrumentierung der drei zwischen 2013 und 2017 entstandenen Stücke for sinfonietta ist ausgeklügelt und in ihrer Dynamik keine kleine Herausforderung für die Grup Instrumental de València.