16. Philosophicum Lech - 1. Tag: Eugen Drewermann. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Der Prediger der Neuzeit

 

16. Philosophicum Lech
Der tödliche Fortschritt oder
Wir brauchen eine neue Ethik
Eugen Drewermann

Donnerstag, 20.09.2012, 18 Uhr
Neue Kirche Lech am Arlberg

PD Dr. Eugen Drewermann (geboren 1940) ist katholischer Theologe, suspendierter Priester, Psychotherapeut und freiberuflicher Schriftsteller. Er ist ein wichtiger Vertreter der tiefenpsychologischen Exegese (Padeborn).

Der für sein ökologisches Engagement bekannte Eugen Drewermann war wohl Shooting-Star dieses heurigen Philosophicums. Sein Einsatz für Umweltschutz und Tierschutz hat u.a. auch zu seiner Suspendierung als Priester beigetragen, als er der Katholischen Kirche festgeschriebene biblische Naturfremdheit vorwarf und darin die Begründung auch sieht, dass das Christentum unfähig zum Frieden und zur Aussöhnung mit der Natur ist.

In den nächsten 40 Jahren würde die Menschheit von sieben auf neun Milliarden Menschen wachsen, unsere Ressourcen schwinden, die permanente Urbanisierung drückt auf die Natur. Damit würden wir uns den Weg, wie wir Mensch geworden sind, abgraben, bekundet Drewermann: "Wir wollen nur mehr uns selbst erleben!" Dabei hätten bei unserem selbst auferlegten Wachstumsdrang die Tiere keine Chance mehr. "Wollen Sie etwas schützen, müssen Sie es kaufen!", so lautet die gegenwärtige Analyse. Daher bräuchten wir keine NEUE Ethik, meint Drewermann, sondern wir bräuchten endlich EINE Ethik. Eine, die dem Kapitalismus nicht förderlich ist und die die Natur nicht als Gratisangebot sieht. Für das Wirtschaftssystem, in dem wir leben, ist sie eine günstige Ware, woraus sich viel Kapital schlagen lässt: Luft und Wasser werden teure Güter. Dramatisch spricht Drewermann unseren Fortschrittsglauben und unser Wachstumscredo an.

Drewermann geht auf unser anthropozentrisches Weltbild ein, wonach der Mensch, das Maß aller Dinge ist. Es ist eine falsche Ethik, wie Drewermann meint, beruht sie doch nur auf Normen, die ausschließlich für den Menschen sinnvoll sind. Mit dem Behaviorismus des 20. Jahrhunderts wurde der Mensch als alleiniges Vernunftwesen zum einzigen Rechtsträger. So haben in dieser Definition Tiere fälschlicherweise keine Pflichten - Drewermann widerlegte dies am Bsp. des Nestbaus - und auch keine Seele. Dabei habe es bereits in der Antike die Furcht vor der Tierseele gegeben, die Angst, dass Tiere nach dem Tod auftreten und Anklage erheben würden.

Schließlich sieht Drewermann das Wissen der Menschheit als Waffe gegen die Menschheit eingesetzt. An Tierexperimenten, deren Ergebnisse schlussendlich am Menschen zum Einsatz kommen, zeige sich der Wahnsinn, wie er zur Normalität wird.

Und natürlich beruft sich Drewermann auf den deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1860): Tiere leben auf der Welt in der Hölle. Wichtig ist die Empathie, doch solange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben, meint Drewermann. Unser Mitleid und Mitgefühl hält sich also in Grenzen. Schon die Tochter von Sigmund Freud, Anna (1895-1982) äußerte, dass die Menschen keine Moral kennen sondern nur die Angst vor Bestrafung, erinnert Drewermann. So ist die Ethik eine unendlich gedehnte Verantwortung, zitiert Drewermann den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer (1875-1965).

Wir brauchen also Individuen, die Denken und Fühlen vereinigen. Logozentrismus alleine helfe uns nicht weiter. Der Intellekt erkennt keine Werte. Die größten Verbrechen haben stattfinden können, weil man uns unsere Gefühle gestohlen habe, sagt Drewermann. Das Tier ist schließlich eine Projektion auf uns selbst.

In der Bibel steht geschrieben: "Macht Euch die Erde untertan!" (Dominum terrae: Genesis 1,28 LUT, AT), diesen alttestamentarischen Auftrag Gottes an den Menschen, hätten wir befolgt, so Drewermann, doch scheinbar ist nichts Gutes dabei herausgekommen. Es ist also an der Zeit etwas zu ändern. Die Frage nach dem Vegetarismus stelle sich gar nicht, wenn man erst die doppelte Ernährung begriffen hätte (trotz Welthungers, Ernährung der nur zum Verzehr geeigneten Zuchttiere).

Drewermann beendet seinen Vortrag mit folgenden eindringlichen Worten:

"Einst war Kannibalismus selbstverständlich. Und eines Tages wird uns die Erkenntnis kommen, dass Tier-Essen nur ein erweiterter Kannibalismus ist. Wir dürfen nicht quälen, was Leid empfinden kann. Diese Abschlachtungen müssen aufhören."

LitGes, September 2012

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