Philosophie

16. Philosophicum Lech - 1. Tag - Impulsforum. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Von der Pferdestärke zum Streichelzoo

 

16. Philosophicum Lech
Tiere. Der Mensch und seine Natur.
Impulsreferat und -forum: Der Gebrauch der Tiere

20.09.2012, 15 Uhr, Lech Neue Kirche

Das Thema "Tiere" versprach ein brisantes Philosophicum, zumal der Beisatz "Der Mensch und seine Natur" schon die Ambivalenz aufzeigt, in der sich der Mensch befindet. Einerseits ging es darum, die areligiöse aber wissenschaftliche Aussage "Der Mensch ist ein Tier" in den Köpfen zu vertiefen, zum anderen um das nicht gerade löbliche Verhalten des Menschen gegenüber seinen Artgenossen, den Tieren, in all ihrer Vielfalt zu beleuchten.

Günther Apfalter, Präsident des Magna-Konzerns (der Konzern ist seit Anbeginn Hauptsponsor des Philosophicum Lech), begann die Aufwärmrunde mit seinem traditionellen Impulsreferat zum Thema Der Gebrauch von Tieren. "Was kann ein Automobilzulieferer vom Pferd erzählen?", dachte Apfalter, fragt das Publikum, und versuchte das alte Dogma Natur versus Technik zu widerlegen: Die Technik lernt nach wie vor von der Natur, die Bionik dient hierfür als gutes Beispiel, beschäftigt sie sich doch mit der wissenschaftlich interdisziplinären Entschlüsselung der belebten Natur und ihrer Umsetzung in der Technik (Bsp. vom Flugsaurier zum Flugzeugmodell). So sieht Apfalter zunächst das Tier als Erweiterung des menschlichen Körpers. Tiere wurden nicht nur gebraucht sondern genutzt (Bemerkung Rezensentin: vielleicht aber auch benutzt?), um effizienter von A nach B zu gelangen (Bsp. Pferd) und erleichterten somit wesentlich unseren Alltag (durch Schnelligkeit und Lasterleichterung). Das Auto mit seinen Pferdestärken erwies sich nicht nur als leistungsfähiger sondern auch als umweltfreundlicher. Noch vor 150 Jahren hatte eine auf Pferdefuhrwerke angewiesene Stadt ein abfall-logistisches Problem, denn ein Pferd produziert 50 kg Pferdeäpfel am Tag, erzählte Apfalter. Als das Pferd als Nutztier vom Auto abgelöst wurde, konnte es durch Zucht kulturell im Sport und Lifestyle gebraucht werden. Dies wiederum schuf "Raum für Emotionen" (Haus- und Kuscheltier). In der Gegenwart sieht Apfalter eine "neue Sachlichkeit" erreicht. Der Gebrauch von Tier und Maschine driftet immer mehr in rationelle Überlegungen, doch Apfalter scheute das Wort "Produktivität". Dennoch scheinen für ihn die Forderungen informierter Verbraucher von hoher Relevanz. Zum Abschluss erinnerte Apfalter, dass der Mensch nicht über der Natur steht, auch wenn er Tiere gebraucht.

 

Die Wahl der geladenen Gäste zum anschließenden Impulsforum verhielt sich wie bei einem Doppel im Tennis: Karnivore gegen Veganer. Zu den Karnivoren zählten der Wildökologe und Jäger Hubert Schatz und der Vorstandsvorsitzende der Familien-Metzgerei-Unternehmensgruppe-Tönnies Clemens Tönnies. Auf der anderen Seite saßen am Podium Umwelt- und Tierschutzaktivist Martin Balluch und die Autorin und Tierfreundin Karen Duve. Sie schrieb zuletzt das Buch „Anständig essen. Ein Selbstversuch“ (Berlin: Galiani, 2010). Martin Balluch geriet als Obmann des Vereins gegen Tierfabriken 2008 mit der Justiz in Konflikt. Hierbei ging es darum, dass der österreichische Staat die aktiven Mitglieder der Tierschutzorganisation als potentielle Attentäter verklagen wollte. Nach langer Untersuchungshaft wurden er und seine Kollegen am 02. Mai 2011 nach erwiesener Unschuld freigesprochen. Am 30. Jänner 2012 erhielt er für seine Tierschutzarbeit und in Anerkennung seiner Rolle im Tierschutzprozess den renommierten und hochdotierten Myschkin-Ethikpreis. Zwischen den zwei Parteien saß Uwe Justus Wenzel (Journalist der NZZ), der als sympathischer und neutraler Moderator fungierte.

Ohne Zweifel braucht der Mensch das Tier, doch WOZU? So leitete Wenzel die Diskussion ein. Die Teilnehmer sind sich einig, dass wir Menschen von Tieren viel lernen können, nicht zuletzt unser eigenes Verhalten. Auch dass Tiere ihre eigenen Charaktere, Persönlichkeiten aber auch eigenen Wünsche haben und somit dem Menschen sehr ähnlich sind.

Doch worum geht es? In erster Linie geht es darum, seinen eigenen Standpunkt verlassen zu lernen, meint Balluch. Unser Horizont beruht nur auf unserer eigenen und daher sehr engen Sichtweise. Es ist schwer sich von anerzogenen Verhalten, wie Fleischessen, zu distanzieren, denn "wir sind alle als Fleischesser sozialisiert" (Zitat: Balluch).

Kurz gestreift wurden Themen wie Tier- und Weidgerechte-Haltung, der Verhaltenskodex der Jäger, veränderte Haltungsformen der Nutztiere nach dem 2. Weltkrieg sowie ökologische Wertschätzung. Unklarheit zwischen den Diskussionsteilnehmern herrschte über den Begriff der Massentierhaltung. Laut Tönnies gibt es keine Agrarfabriken in Deutschland, sondern nur familienorientierte Landwirte mit kleinbäuerlicher Struktur, die mit nur 500 Schweinen ihr Auslangen finden. Balluch berichtet von der Kastentierhaltung, die in der Schweiz bereits erfolgreich verboten wird, jedoch in Österreich trotz Gesetzesabschluss erst in 21 Jahren in Kraft treten wird und auch in Deutschland (noch?) praktiziert wird.

Es ist eine Frage der Moral, denn die Fleischproduktion ist sowieso zu teuer, der Aufwand ineffizient (Verhältnis Anbau von Tiernahrung im Vergleich zur Hungersnot), meint Duve. Für Tönnies jedenfalls stellt sich die Frage nicht, ob der Beruf des Fleischers ein unmoralischer sei. Er selbst bemühe sich die Tiere gut zu behandeln, die Achtung vor dem Nutztier (im Vergleich zum allgeschätzten Haustier) zu sensibilisieren sowie eine transparente Produktion zu ermöglichen. Es wäre schließlich eine gemeinsame Entscheidung, die wir zu tragen hätten, ob wir nun Fleisch essen, oder nicht. Letztendlich entscheide der Konsument.

Wichtiger Aspekt in der Podiumsdiskussion war die Achtung der Tiere und unsere Empathie ihnen gegenüber. Dass Mitgefühl auch zu Irrationalität führen kann, bewies Duve, die auch Mitleid mit einer lästigen Fliege, die um ihr Leben kämpft, empfinden kann. Schatz machte auf den natürlichen Kreislauf des Lebens aufmerksam: fressen, um zu überleben – fressen, um gefressen zu werden. Den irrationellen Konflikt erklärte Schatz am Bsp. der Fliege im Spinnennetz: Rettete man die Fliege im Spinnennetz, würde sich die Überlebenschance der Spinne verringern. Ist Albert Schweitzers Zitat Leben lebt von Leben eine negative Romantik?, fragt Wenzel. Duve erwidert, dies wäre eine Tragik, deren Grenze nun gezogen werden müsse. Vielleicht bedürfe es einer neuen Moral? (Wenzel). Sicher sind persönliche Verzichte und Toleranz angesagt und kluge Konsumenten, die sich nicht so leicht hinters Licht führen lassen.

LitGes, September 2012

16. Philosophicum Lech - 1. Tag - Impulsforum. Rez.: Ingrid Reichel

15. Philosophicum Lech - 4. Tag - Beate Rössler. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
DIE FRAGE NACH DER AUTONOMIE

 

15. Philosophicum Lech
AUTONOMIE, GLÜCK UND DER SINN DES LEBENS
Beate Rössler

Sonntag, 25.09.11, 10.30 Uhr
Neue Kirche Lech am Arlberg

Prof. Dr. Beate Rössler (geboren 1958) ist Professor für Finanzpsychologie, Finanzethik und Persönlichkeitsforschung an der Universität Amsterdam.

Ihre ersten Worte machten die Maxime klar: Man kann ein sinnvolles Leben führen, ohne glücklich zu sein; aber nicht, ohne selbstbestimmt zu sein – also ohne Autonomie geht nichts!
Manche Philosophen, wie z.B. David Wiggins ersetzen aufgrund ihrer Ähnlichkeit die Sinnfrage durch die Glücksfrage, was jedoch durch die eventuelle Untrennbarkeit dieser Aspekte nicht sinnvoll erscheint.

Ist der Sinn des Lebens überhaupt objektiv zu erfassen, ist er nicht eher nur von innen heraus feststellbar, limitiert durch die Moral? Ist das Schicksal gnädig und gibt uns auch die Möglichkeit ein respektvolles Verhältnis zu anderen führen zu können, so können wir ein glückliches, sinnvolles Leben anstreben. Oft jedoch streben wir dies nicht direkt an, sondern Glück und Sinn reisen huckepack auf unseren Projekten, auf unserer Arbeit, unseren Zielen unserer Lebensführung usw.

Wann entsteht jedoch die Sinnfrage? Ist es nicht so, dass erst wenn wir durch ein Ereignis aus der Bahn geworfen werden oder in Zeitkrisen, wie im 19. Jhdt, im Bewusstsein von Endlichkeit, Sterblichkeit, beim Scheitern von Projekten oder bei Arbeitslosigkeit nach Sinn suchen?
Das Glück liegt weniger in unseren Händen, ist mehr von äußeren Umständen abhängig als der Sinn. Dies ist jedoch unsere individuelle Chance, uns wieder selbstbestimmt zu orientieren.
Wir haben nicht das Recht auf Glück, sondern das Recht auf Autonomie. Diese ist keine hinreichende Bedingung für Glück und Sinn, jedoch eine mögliche.

In der anschließenden Diskussion wies Beate Rössler darauf hin, dass wir ökonomischen Zwängen seit 50 Jahren weitestgehend entkommen sind, wir trotz der Beeinflussung durch Medien Willensfreiheit besitzen. Auf die Frage nach der autonomen Selbstbestimmung bei Personen mit Down-Syndrom, antwortete sie, dass graduelle Differenzen auch in verschiedenen Entwicklungsstadien von Kindern und Jugendlichen vorhanden sind. (Ein 13-Jähriger fühlt sich autonom, ist es aber nicht wirklich.)

Fazit: Der Autonomiebegriff ist ein normativer.

15. Philosophicum Lech - 4. Tag - Beate Rössler. Rez.: Eva Riebler

15. Philosophicum Lech - 3. Tag - Rahel Jaeggi. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
PLÄDOYER FÜR DIE KRITIKFÄHIGKEIT

 

15. Philosophicum Lech
GLÜCK – FREIHEIT – RATIONALITÄT
Rahel Jaeggi

Samstag, 24.09.2011, 17.00 Uhr
Neue Kirche Lech am Arlberg

Univ. Prof. Dr. Rahel Jaeggi (geboren 1967) ist Professorin für Praktische Philosophie mit Schwerpunkt Sozial- und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Jaeggis Vortrag befasst sich mit den überindividuellen gesellschaftlichen Bedingungen des Glücks und inwiefern man Kriterien zur Beurteilung der Lebensformen finden kann. Zum besseren Verständnis des Glücks verweist Jaeggi anhand zweier Filme, was Unglück ist: "Mein Glück" des ukrainischen Regisseurs Sergei Loznitsa (2010); "Die Ballade von Narayama" des japanischen Regisseurs Shōhei Imamura (1983).

Die gesellschaftspolitische Vorbedingung für Glück scheinen sich in diesen Filmen nicht zu erfüllen. Erster Film beschreibt einen Zustand der Anomie, eine Gesellschaft also, die aus mangelnden sozialen Normen, Regeln und Ordnung besteht. Wenn materielle Entbehrungen, Elend, Not und Unterdrückung herrschen, ethische Prinzipien des Zusammenlebens außer Kraft gesetzt werden, kippt die Gesellschaft in Willkür, Gewalt, Korruption und Indifferenz. Im zweiten Film geht es um eine Gesellschaft, die in einer auf geregelte Grausamkeit beruhende Tradition verhaftet ist.

Zunächst müsse man das Glück zwischen einem kurzfristigen (episodischen) und einem langfristigen Glück unterscheiden. Glück ließe sich letztendlich nicht planen und sozialtechnologisch auch nicht herstellen, meint Jaeggi in ihren Vorbemerkungen.

Die Gesellschaft selbst wäre nicht nur eine Erfüllungsinstanz, sondern stehe in einem konstitutiven Zusammenhang zwischen dem individuellen Glück und denjenigen sozialen Praktiken und Institutionen, die den Zusammenhang einer Gesellschaft ausmachen. Dies bedeutet, dass die Gesellschaft zwar Glücksmöglichkeiten bereitstellt, sie jedoch in vielerlei Hinsicht erst herstellt. Unsere Erwartungshaltungen sind von unseren Handlungsmöglichkeiten im sozialen Feld geprägt. Insofern ist unser Glücksempfinden keine individuelle Erfahrung mehr, sondern eine gesellschaftliche.

Dafür bedürfe es Lebensformen (als Pluralwort!), die sich auf verschiedene kulturellen Formen des menschlichen Zusammenlebens beziehen, die Ordnungen, Regeln und Orientierungen beinhalten und deren institutionelle Manifestationen und Materialisierungen umfassen.

Dies wirft nun die Frage nach der gelungenen Lebensform auf und welches Glück es zu erreichen gilt. Jaeggi betont, sich auf einem schwierigen Terrain zu bewegen, angesichts der modernen Orientierung am Selbstbestimmungsrecht der Individuen, ob sich daher eine Diskussion objektiver oder überindividueller Kriterien überhaupt rechtfertigen ließe.

Jaeggi plädiert für Kritik und gegen Enthaltsamkeit der Meinung und rechtfertigt dies mit der Dringlichkeit ethischer Fragen (gerade) in der Moderne. Zunehmend werden wir in der technischen Zivilisation mit Fragen konfrontiert, die eine Bewertung unumgänglich machen. Vom Eigenheim, einer Theateraufführung bis hin zur Kinderbetreuung gibt es viele Beispiele der institutionalisierten und politisch abhängig gehaltenen Erlaubnisse zur Realisierung, die zu Autonomieverlust führen. Genauso sind Kindesmissbrauch und häusliche Gewalt keine Frage des guten Geschmacks, es gehört zur ethischen sowie bürgerlichen Pflicht gegen solche Vorgehensweisen zu agieren. Es gilt daher meinungsbildend und kritikfähig zu sein. Jaeggi sieht darin eine wichtige Aufgabe der Philosophie.
In ihrer These vertritt sie die Auffassung, dass Lebensformen Problemlösungsinstanzen sind, deren Gelingen/ Scheitern aus einem Lernprozess resultiert. Es gilt daher Kriterien dafür zu finden, wann ein Konfliktlösungsprozess bzw. ethischer Lernprozess als gelungen gelten darf.

Hierbei gilt auf zwei wichtige Eigenschaften des Problembegriffs einzugehen, nämlich auf die Aufgabe und die Schwierigkeit - zwei Aspekte mit wechselnden Veränderungs- und Konfliktdynamiken -, deren Bewältigung je nach Lebensform erfolgt. Den Ausgangspunkt der Beurteilung und Kritik von Lebensformen sieht Jaeggi daher im Problematischwerden der Lebensformen sowie in deren soziokultureller Formiertheit und Bestimmtheit. Dies erst ermögliche Probleme innerhalb eines Lernprozesses zu erkennen. Problemlösungsversuche entwickeln sich historisch und in Auseinandersetzung anderer Versuche sowie im Bezug auf ihre Stellung innerhalb der jeweilige Problemgeschichte. Dabei zeigt sich der Umstand, dass Probleme in Bezug auf Lebensformen immer schon normativ verfasst sind. Anhand Hegels Theorie der Familie erläutert Jaeggi die normative Problemstellung: Wenn Lebensformen scheitern oder gelingen, so tun sie das mit Bezug auf solche Ansprüche und Herausforderungen, die sie selbst hervorgebracht haben.

Conclusio:
a) Das Scheitern einer in Krise geratene Lebensform geschieht nicht durch äußere sondern durch interne Hindernisse.
b) Sie scheitert jedoch nicht nur funktional, sondern bereits in Bezug auf ein normativ verfasstes Problem.

Dabei ist Jaeggi davon überzeugt, dass die Interpretations- und Bewertungsschwierigkeiten von Problemen und deren Lösungen sowohl subjektiver als auch objektiver Natur sind. Daher geht es um einen Lernprozess mit dessen Evaluierung wir den gesuchten Maßstab der Kritik von Lebensformen finden.

15. Philosophicum Lech - 3. Tag - Rahel Jaeggi. Rez.: Ingrid Reichel

15. Philosophicum Lech - 3. Tag - Reinhard Haller. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
DER GUTE RAT ZUR ABSTINENZ

 

15. Philosophicum Lech
RAUSCH – SUCHT – VERBRECHEN: IRRWEGE ZUM GLÜCK?
Reinhard Haller

Samstag, 24.09.2011, 15.30 Uhr
Neue Kirche Lech am Arlberg

Univ. Prof. Dr. Reinhard Haller (geboren 1951) ist ärztlicher Leiter des Vorarlberger Behandlungszentrums für Suchtkranke und Drogenbeauftragter der Vorarlberger Landesregierung.

In seinem Vortrag hat Haller mit Feingefühl und Witz unsere Affinität zur Sucht erklärt, die kurz gesagt aus einem menschlichen Grundbedürfnis entsteht, der Suche nach dem Glück. Aus dieser Nachfrage entstehe ein ungeheures Angebot an Suchtmitteln, das, vorausgesetzt die statistischen Zahlen stimmen, jeden Maximierungsprofit vom Waffenhandel bis zum Erdöl in den Schatten stellt. Natürlich sind Rausch und Sucht nicht an psychotrope Substanzen gebunden. Die „Glückspillen“ gehören jedoch zu den Spitzenprodukten der Pharmaindustrie und manipulieren unseren Stoffwechsel der zentralen Glückshormone Endorphin, Dopamin und Serotonin. Glücksratgeber und Glücksformeln haben zu dem Hochkonjunktur.

Es liegt jedoch am kulturellen Background, dem Zeitgeist mit seinen ideologischen Strömungen, in welcher Disposition sich eine Gesellschaft bezüglich Drogengebrauchs und dessen psychischer Wirkung befindet: „Es ist also auch eine Frage der Mode, was unter Glück verstanden und welche Form des Glücklichseins angestrebt wird.“, erklärt Haller und verweist auf die Flower-Power-Bewegung der 60er und 70er mit dem friedlich machenden Cannabis, auf die No Future Generation der 80er, die ihr Nichtwissenwollen mit Rohypnol und andere Narkotika betäubte, auf die Yuppie-Gesellschaft der 90er, die mit der alten Kulturdroge Kokain ihr Gutdraufsein feierte. Das bereits 1913 entwickelte und für lange Zeit verbotene Ecstasy erfüllt in seiner bunten Tablettenform die phänomenologische Ähnlichkeit mit dem Internetsurfen der heutigen Zeit. Heroin jedoch, das wohl schwerste Suchtmittel wegen seines härtesten Entzugs, bleibt zeit- und kulturunabhängig, so Haller. Die Suche nach dem Glück in Form von Drogenrausch scheint dem „heutigen Glücksverständnis nach immer neuen Erlebnissen, Sensations-Seaking und kribbelndem Risiko entgegenzukommen“. Auch wären die Verhaltenssüchte wie „Ess- und Brechsucht, Kaufsucht, Spiel- und Arbeitssucht, Sex- und PC-Sucht“ u.v.m. nichts Neues, doch dominanter geworden.

Der Rausch verwirklicht viele Merkmale des Glücksempfindens, er verbessert die Motivation, versetzt in Euphorie, gibt Mut und Selbstvertrauen, bricht viele Barrieren und Hemmschwellen und spendet Geborgenheit: „Der traditionelle Streit um Recht auf Rausch kann also auch als Streit um Recht auf Glück gesehen werden.“, meint Haller.

Bei all den positiven veränderten Bewusstseinszuständen wie Trance und Ekstase oder gar ein verzerrtes Zeitgefühl, das z.B. Gestresste bei Einnahme von Benzodiazepinen entschleunigt oder Kokainsüchtige in ihrem Auffassungsvermögen beschleunigt, dürfe man die Verdichtung „vorbestehender Gefühlszustände“, die z.B. wie gute Stimmung in Euphorie sowie bestehende Depression in Angst- und Panikzustände umschlägt, nicht außer Acht lassen: „Der Rausch führt oft zu einer Inversion des Erlebens, Fühlens und Verhaltens in nüchternem Zustand.“

Psychopathologisch entspricht der Rausch einer rasch vorübergehenden Geisteskrankheit, einer exogenen Psychose mit allen Kardinalsymptomen: „Abnormer Antrieb und abnorme Gestimmtheit, Kritiklosigkeit und Selbstüberschätzung, Enthemmung und Impulsivität, Amnesie und motorisch, vegetative Störungen.“

Eine weitere Komponente im Zusammenhang der Glückssuche ist auch das Verbrechen. Die Ursachen sind ähnlich wie in jenen der Sucht gelagert. So hat beispielsweise die Kleptomanie eine weibliche Täterdominanz und signalisiert nach psychoanalytischem Verständnis einen Ersatzorgasmus. Vielen Verbrechen steht die Sehnsucht nach Wiederherstellung eines alten Glücks (verlorenes Paradies) oder der Erlangung eines neuen (künstliches Paradies) voraus. Daher gelten herkömmliche Diebstähle und Betrügereien als Hoffnung auf ein künstliches Glück. Bei Gewalttaten spielt das Zwischenmenschliche eine große Rolle, hier wirkt die Wiederherstellung des verlorenen Glücks als Motiv. „In Mitteleuropa und Skandinavien sind 60% aller Tötungsdelikte Beziehungsdelikte, 30% beruhen auf bösen Motiven und gut 10% werden von psychisch kranken, nicht zurechnungsfähigen Straftätern verübt.“, erläutert Haller. Im Gegensatz zu den Morden aus Liebe und dem erweiterten Suizid (Bsp.: Mutter nimmt aus altruistisch dominierten Motiven Kind mit in den Tod) nehmen die erweiterten Morde in den letzten 20 Jahren zu (Bsp.: Vater bringt ganze Familie wegen veränderter Machtverhältnisse um). Zusätzlich zum verlorenen Glück gibt es jedoch auch den Wunsch nach reiner Ausübung von Macht: „Dies könnte man bei den großen Tyrannen und Diktatoren, welche alle narzisstisch, paranoid und machtbesessen gewesen sind, ebenso nachweisen wie bei Serienkillern – (laut FBI liefen nur 120 frei herum) - oder Amokläufern.“ Auch bei Sexualdelikten stehe im Übrigen nicht das sexuelle Bedürfnis, sondern die Machtausübung im Vordergrund. Der Wiener Psychoanalytiker Otto Kernberg hat für das Profil des Serienkillers den Begriff des malignen Narzissmus erfunden, der eine dissoziale Persönlichkeit mit sadistischer Veranlagung und narzisstischem Selbstbild charakterisiert, die in Beherrschung eines anderen, in Entscheidung über dessen Leben und Tod eine gottähnliche Position einnimmt.

Der Umgang mit dem klassischen Rausch in der Antike, trotz Platos strenger Position gegenüber den Süchten, welche mehr als ästhetisches Problem gesehen wurden, stand unter dem Motto: Sieg der Rationalität über die Ekstase. Auch wenn Nitzsche in Kurzfassung meinte: ohne Rausch keine Kunst, Freud die Ansicht vertrat, dass „neben den Tröstungen der Wissenschaft, der Kunst und der Religion vor allem Rauschstoffe uns für das Elend des Lebens unempfindlich machen“, ist der Grundgedanke jeglicher guten Drogentherapie, dass die Abstinenz und alles was sie mit sich bringt, noch verlockender sein muss als Rausch und Sucht.

Mit den Worten Martin Heideggers schließt Haller seinen äußerst informativen Vortrag: „Verzicht nimmt nicht, Verzicht gibt! … vielleicht auch ein wenig Glück.“

15. Philosophicum Lech - 3. Tag - Reinhard Haller. Rez.: Ingrid Reichel

15. Philosophicum Lech - 3. Tag - Sabine Meck. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
GELASSENHEIT SCHÄRFT DIE SINNE

 

15. Philosophicum Lech
ACHTSAMKEIT UND GELASSENHEIT ALS WEGE ZU EINEM GELUNGENEN LEBEN UND STERBEN
Sabine Meck

Samstag, 24.09.11, 11.00 Uhr
Neue Kirche Lech am Arlberg

Prof. Dr. Dr. Sabine Meck (geboren 1955) ist Professor für Finanzpsychologie, Finanzethik und Persönlichkeitsforschung an der Steinbeis-Hochschule Berlin.

Durch die Suche nach dem Glück, kam ich zur Gelassenheit, meint die Referentin aus Berlin. Die älteste Untersuchung, ob z.B. die schwarze Bevölkerung glücklich sei, stammt aus dem Jahre 1928.

Zum Glücklichsein trägt ihrer Meinung nach die Achtsamkeit bei, die erlernbar sei. Diese Achtsamkeit sei die Voraussetzung auf dem Weg zur Gelassenheit. Sie ist der innere Schlüssel, und steht in engem Zusammenhang zur Konzentration, sie ist innere Ruhe, Sammlung, Übung, Energie und Vitalität und geht einher mit Disziplin und Interesse.( Z. B. einen Raum der Stille kann man bereits im kindergarten einführen.) Wer achtsam lebt, lebt intensiver.

Der Begriff Gelassenheit stammt vom Mystiker Meister Eckhart (geb. 1330). „Loslassen“, sei es das Geld oder einen geliebten Menschen, ist auch heute das Schwierigste, wie repräsentative Befragungen zeigen. Man lernt solange sich zu lassen, bis man nichts Eigenes mehr besitzt. Das „Lass dich!“ impliziert nicht zurück zu schauen, auf das, was man bereits gelassen hat, und keine Ziele zu haben. Kein Verhaften im Vergangenen und kein Anhaften der Dinge mehr. Dies geht einher mit der buddhistischen Lehre und auch mit Albert Einstein, der da sagte: „Die Befreiung vom Ich misst den Grad des wahren Menschen.“

Jedoch ist der Weg zur Gelassenheit kein Ersatz und keine Kompensation für eine gescheiterte Lebensführung, vielmehr setzt er die Bewältigung der praktischen Aufgaben voraus.

Fazit: Wer die Gelassenheit übt, der kann auch den Tod gelassen erwarten.

In der Diskussion traten Fragen zur Länge eines Augenblicks auf oder die Bestätigung eines Chirurgen, der Gelassenheit, Achtsamkeit und das Blinzeln zur Schärfung der Sinne brauche, sowie, dass Gelassenheit bei tibetanischen Völkern trotz des dortigen Regimes in großem Maße vorhanden sei.

Auf die Frage, ob Gelassenheit Bewegung umfasst, meinte Fr. Dr. Meck: „Lebendigkeit ist nicht Glück, (Dr. Peter Strasser warf ein, dass es die desaströse Lebendigkeit gibt, wenn Krieg ausbricht.), jedoch Gelassenheit schärft die Sinne und auch Sport ist ein Weg gelassen zu werden.“

Die Frage, ob Leid auch Glück sein kann („Ich fühlte mich lebendig, obwohl mein Sohn gestorben war und mein Mann daran litt“), war die Antwort: Im Buddhismus ist Leben = Leid. Längeres Leiden bleibt uns aber erspart, denn: Man nehme es an und lasse es in Achtsamkeit vorüber gehen.

15. Philosophicum Lech - 3. Tag - Sabine Meck. Rez.: Eva Riebler