86 / Umweg / Lyrik / Helmut Blepp: Rastlose, Am Strand u.a.

Rastlose
Wie reisten in cognito zu unbekannten Zielen
unsere Pässe waren so falsch wie unser Lächeln
wenn Zollbeamte unsere gebrauchte Wäsche
durchwühlten auf der Suche nach Elfenbein oder
kubanischen Zigarren oder chinesischen Potenzmitteln aus
Affenhirn und Tigerpenis

Unsere Leiber wurden visitiert bis in den Anus unsere
Mägen geröntgt an unseren Gebissen gerüttelt nur
unsere Köpfe blieben undurchsucht in jeder Windung
wären sie fündig geworden nicht nach Koks in Präservativen
nicht nach Schnipseln der Blauen Mauritius oder rohen
Steinen aus den Minen Südafrikas oder Seltenen Erden viel
größere Schätze blieben da unentdeckt viel größere Geheimnisse
geheim in unseren schiefgelegten Köpfen nackt vor der
Macht der Gesetze und ihrer grapschenden Vertreter

Wir standen an Vulkankratern und pissten Bäche
ins Lavagestein durch feuchte Dschungel hetzten wir verfolgt
von indigenen Völkern in deren Bäume wir Gedichte
geritzt hatten wir rangen mit Fabelwesen der Neuzeit mit
Plastikmonstern und Autorobotern mit Alltagshelden und
Sonntagsrednern wir durchmaßen Wüsten und Meere immer
auf der Suche nach dem einen Kick um dann davonzukommen
über die nächstgelegene Grenze

Wir gerieten in hoffnungslose Gefangenschaften wurden
verhört bis aufs Blut als ausgemergelte Sklaven machten
wir uns die Hände schmutzig mussten in fiebrigen Sümpfen
Zeugen werden beim Häuten lebendiger Katzen mussten
auf allen Ozeanen Haie ohne Finne zurück ins Wasser werfen
Bienenvölker vergasen Wälder niederbrennen Berggipfel
sprengen für neue Skigebiete mit Helikopteranflug im Sonnenschein

Wir sind Davongekommene doch nichts verbindet uns
mehr mit denen die wir einst waren unsere Eltern sind tot
unsere Geschwister haben uns verleugnet als Staatsbürger
haben wir versagt Identitäten hatten wir so viele dass
wir uns selbst nicht mehr kennen wir ziehen weiter durch
Länder und Zeiten anonyme Schmuggler unserer selbst nicht
registriert nicht krankenversichert nicht aufzuhalten

Am Strand
Die Segel sind geflickt
das Meer liegt ruhig wie damals

Nun fahr zu

Und grüß mir die da drüben
die am Strand die Segel flicken
zu kommen übers Meer

Querfeldein
Manche Wege wählen wir achtlos und
sie führen uns doch ans Ziel

Wenn wir von ihnen abkommen
Sehen wir uns vielleicht
einem wütenden Stier gegenüber

Oder wir begegnen jemandem
der nach Stieren sucht
und uns weiterhilft

Umgang mit Feinden
Ist es nicht ausgesprochen
zeitraubend und lästig
Tag für Tag
am Ufer eines Flusses zu sitzen
und darauf zu warten
dass die Leichen seiner Feinde
tot in der Strömung treiben

Sollte man diese Zeit
nicht sinnvoller nutzen
um Feinde zu Freunden zu machen
oder um vor ihnen zu fliehen
den Fluss hinunter
in friedliches Land

An eine die´s vergessen wird
Ich traf dich in der Blüte
deiner kaputten Schönheit
als Inkarnation erschienst du mir
eines ausgehöhlten Lebens
zwischen Anspruch und Fixe

Wir küssten was uns wertvoll war
und hielten es mit letzter Kraft –
ein Bild aus Exzess und Lethargie

Kaum könnt ich sagen bleib so
doch ich wünsch es dir
behalte deinen schleppenden Gang
und schmink dir weiterhin die Augen schwarz
das entzündete Rot zu verdecken

Ich bin nur einer der denkt bleib so
lass dich ruhig aus und lange
denn irgendwann werden sie dich kriegen
und dir die Falten
aus der entstellten Seele falzen

Helmut Blepp
Geb. 1959 in Mannheim, Studium Germanistik und Politische Wissenschaften, Trainer und Berater für arbeitsrechtliche Fragen. Veröffentlichungen: Variationen über Suizid, Verlag Desire & Gegenrealismus, 1982 / Credo, Verlag Eric v. d. Wal, 1982 / Brüche, Verlag Eric v. d. Wal, 1985. Email: hblepp@aol.com