86 / Umweg / Prosa / Johannes Haselsteiner: Der Holzkrake

Die Stille war ohrenbetäubend.

Gedanken können gedacht werden oder gewälzt, dann überrollen sie einen wie eine sehr langsame Lawine. Auf und ab, auf und ab, stets im Kreis, stets auf alten, eingefahrenen Pfaden, die niemals kultiviert wurden. Wenn es regnet, versinkt man darauf im Schlamm, wenn es lange trocken ist, lässt einem der aufgewirbelte Staub kaum noch Atem bekommen. Abgetretene Wege führen immer zu bekannten Zielen. Sie war satt gefressen an dem Alten, geradezu überfressen und ihr war speiübel, denn sie wollte sich gedanklich verlaufen, inspiriert verirren, aber der Krake ließ sie nicht los, er hielt sie fest umschlungen. Sie war eine Hündin an einer zu kurzen Leine. Das schleimige Unding umarmte sie mit seiner monströsen Leidenschaft.
Laokoonhaft versuchte sie sich beständig loszureißen. Stets nur für einen Augenblick gelang es ihr, seine Arme abzustreifen. Aus dem Nichts fuhr dann pfeilartig ein weiterer Tentakel aus und packte ihren fliehenden Körper, noch bevor sie dem Unbekannten außerhalb des gewohnten Radius entgegen entkommen konnte.
Die Fangleinen holten sie zurück in die wohlig bekannte Kälte des Alten, in die Untiefen des Bekannten. Es war ihr Lebenskarussell. Trotz eines fahlen Gefühls des Nach-Vorne- Kommens, bewegte sie sich ziellos im Kreis. 1.000 Runden. Irgendwann ist das Neue routiniert verblasst und es bleibt nur noch ein sich wiederholender, kreisender Trott auf bunt lackierten Holzpferden. Ein Ausbrechen ist nicht möglich, ein Aussteigen ist nicht vorgesehen. Mehr vom Gleichen auf gleich mehrere Arten.
Die Fahrgäste haben Platz genommen. Ab und auf, ab und auf. Jeder routiniert für sich alleine. Die Mitkreisenden sind nicht erkennbar. Die Blicke sind nach vorne verhaftet und man sieht nur die gesichtslos maskierten Rücken der Vorderleute, mit denen man sich diesen bunt lackierten Käfig teilt.
Hereinspaziert! Hereinspaziert!

Johannes Haselsteiner
Geb.1987 in Wien und lebte an verschiedenen Orten in Wien und Niederösterreich. Er studierte in Wien Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur sowie Russisch und ist derzeit in der Kommunal- und Regionalentwicklung tätig. Seit 2017 in Melk.