75/Paradies/Berichte: Heidi Schatzl: Ernst F. Brod aus Erlauf

Ernst F. Brod war ein Erlaufer, geboren 1901. Er floh 1934 wegen seiner sozialdemokratischen Überzeugung und weil er den Hass hinter sich lassen wollte aus Österreich. Er versuchte seine Mutter und seinen Bruder zu überzeugen, es ihm gleich zu tun. Ohne Erfolg – die beiden glaubten nicht, dass es so kommen würde, wie es kam. Sie wurden wegen ihrer jüdischen Abstammung im KZ ermordet. Bis zu seinem Tod 1978 arbeitete Brod an einem Manuskript, in dem er seine Erinnerung aufarbeitet. In den 2.000 Seiten schreibt er vom bäuerlichen Leben in Erlauf, vom Verlust der Heimat, an die er immer mit Wehmut dachte, wie auch von der Hilfe, die er erfuhr. Dabei versucht Brod den Weg in die Unmenschlichkeit in Österreich nachzuzeichnen und in das Weltgeschehen einzubetten. Die Künstlerin Heidi Schatzl hat nun aus diesem Manuskript eine Installation für das Museum ERLAUF ERINNERT entwickelt, das die BesucherInnen förmlich in die Geschichte Brod ’s eintauchen lässt. 

Heidi Schatzl, »THE EXAMINED LIFE / DAS GEPRÜFTE LEBEN«, Wandrelief im Museum ERLAUF ERINNERT (2017-2018), Dauerausstellung ab 24.3.2019 im Gemeindeamt Erlauf. Außerdem als Buch mit dem Titel „Die Manuskripte des Ernst F. Brod“ im Verlag Mandelbaum erhältlich.

„Das Dorf war wie ein Magnet, es zog mich an und hatte mich bis jetzt nicht losgelassen. ... Meine Mutter freute sich wirklich wenn ich bei der Türe hineinging und wenn die alte Höller Bäuerin mich wieder sah, wischte sie mit ihrer Schürze die Tränen aus den Augen, so bewegt war sie. Zu diesen Menschen gehörte ich“, schrieb Ernst F. Brod als er 1968 sein Leben rekapitulierte und für die nächsten zehn Jahre daran arbeitete. Der US-Amerikaner hinterließ, bevor er starb, 2.000 Seiten, auf denen er immer wieder auf seinen Herkunftsort Erlauf zurück kommt. Von seiner Geburt 1901 bis 1975 dokumentiert er das sich verändernde Leben vom ersten Weltkrieg, dem Zerfall der Monarchie, der Zwischenkriegszeit, bis weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus, den er in der Türkei überlebt. Brod zeichnet ein Bild einer verrohenden Gesellschaft, sowie davon ausgenommen, jenes erfahrener Solidaritäten.

Obwohl seine Mutter und sein Bruder, die in Erlauf ein Warengeschäft betreiben, 1940 deportiert und ermordet werden, fühlte sich Brod dem Bauerndorf verbunden. Beispielsweise prägte ihn seine Nachbarin, die bibelfeste Bäuerin Katharina Höller, die auch aufrecht fluchen konnte, wenn ihr die Ausbeutung durch die „Grossschädeln“ zu weit ging. Als der Erste Weltkrieg ihre Söhne und Pferde forderte und sie an ihrer Stelle einen Kriegsgefangenen zugewiesen bekam, nahm sie diesen wie einen Sohn auf, Brods Mutter, mit ihren tschechischen Sprachkenntnissen, machte den Dolmetsch, so Brod: „Trotz aller Hetze gegen unsere Feinde blieben die Höllers christlich. Georg, der russische Bauer ... er wurde wie ein eigener Sohn behandelt. Es war nur schade, dass die Höller Bäuerin mit ihm nicht reden konnte“. Es trug sich zu, dass Seppl Höller, der im April 1918 für vierzehn Tage Urlaub von der russischen Front nach Hause kam, am Esstisch in der Bauernstube neben dem Russen Georg saß, „der über sein ganzes Gesicht strahlte ... Die alte Höller Bäuerin wieder deutete mehr als einmal bei Tisch auf die beiden nebeneinandersitzenden, feindlichen Soldaten und sagte: ‚Was haben die einander angetan, dass sie sich einander umbringen. Alles nur wegen der Grosschädel“.

Ernst Brod studierte Bauingenieurwesen, seine erste Arbeit führte ihn, während in Österreich große Not herrschte, 1932 nach Russland. In Moskau traf er auf den Erlaufer Ignaz Knittel, neben Tausenden anderen besuchten sie das neu in Stein errichtete Mausoleum Lenins. Bevor Brod nach Erlauf zurückkehrte und den russischen Säuberungen entging, musste er dem von Vorahnungen geplagten Knittel noch einmal in allen Details von Erlauf erzählen. Nach der Niederschlagung der Februaraufstände und dem Verbot der sozialistischen Partei, verließ Brod das austrofaschistische Österreich 1934, denn der überzeugte Sozialist wollte nichts mehr, als als Mensch unter Menschen leben. Er ging zu Fuß von Erlauf nach Paris. Bei der Weltausstellung 1936 lernte er Charlotte Zwiener, seine spätere Frau, kennen. 

Das nationalsozialistische Kriegstreiben wurde unter den Emigranten als große Gefahr erkannt. Als Brod Ende 1937 ein Arbeitsangebot aus der Türkei erhalten hat, versuchte er ein letztes Mal, seine Familie zur Emigration zu überreden. Doch in Erlauf angekommen, gingen die Ansichten weit auseinander. Obwohl an manchen Morgen an den Schaufenstern des Geschäftes seines Bruders Georg Drohungen hingen, worauf „Tod allen Juden“ geschrieben stand, beschwichtigte die Mutter: „Wir haben alle Nationalsozialisten des Ortes als Kunden. ... Kein Mensch in Erlauf tut uns etwas, das alles sind nur Phantastereien von Dir Ernst“. Sie habe ihr ganzes Leben in Österreich gelebt, hier wolle sie sterben, bekräftigte Elisabeth Brod ihren Entschluss. Ernst Brod verließ Erlauf allein. Am 1.1.1938 traf er in der Türkei ein. 

Er war an der Planung der Bahnlinie in Ostanatolien beschäftigt, als auf Ernst Brod die Worte eines türkischen Arbeitskollegen am 12. März 1938 einhämmerten: „Vous êtes un Allemand ... Sie sind ein Deutscher!“. Alles was Brod „über die grausame Verfolgung durch Nationalsozialisten in Paris“, wo er die letzten Jahre gelebt hatte, gehört hatte und „alle Furcht vor einen nahen Krieg“ erwachten wie ein Schlag auf den Kopf in ihm. Jeden Abend schrieb er nach Erlauf. Seine Mutter und sein Bruder antworten, „dass sich nicht viel durch den Einmarsch der Deutschen geändert“ hätte. Unerwähnt lassen sie jene Menschentraube, die jubelnd vor ihrem Geschäft gestanden hatte, als Hitler am 14.3. im Schritttempo durch Erlauf gefahren kam. Erst viel später erfuhr Brod, dass Erlaufs Nationalsozialisten in das Haus eingedrungen waren, und ihn verprügeln wollten. In die Türkei schrieb die Mutter, sie weigere sich „diesen schönen Ort Erlauf zu verlassen“. 

Mitte Oktober 1938 reiste Brod nach Istanbul mit dem Gedanken, sie zu holen, aber die Welt hatte bereits ihre Grenzen geschlossen. Er war ein Staatenloser geworden. Nicht ohne Ironie schrieb Brod: „Mein Großvater wurde durch einen Erlass des Kaisers ... österreichischer Staatsbürger ... ich der Enkel ... verlor meine Staatsbürgerschaft unter der Regierung des Sohnes eines Zollbeamten bei Kaiser Franz Joseph“. 

Das Deutsche Reich übte Druck auf die neutrale Türkei aus, Juden und Jüdinnen auszuweisen, nur wurde die Auslieferung hier nicht befolgt. „Das schmutzige deutsche Konsulat ist hinter Ihnen“ her, lachte ihm sein Arbeitgeber Hayri Bey zu, nach zahlreichen Anrufen der Polizei schickte er Brod zum Schutz auf eine Baustelle ins Hinterland Anatoliens. Begleitet wurde der Bauingenieur von Charlotte M. Zwiener, seiner zukünftigen Frau, die er in Paris bei der Weltausstellung kennen gelernt hatte. Seither waren sie in Briefkontakt geblieben. Lotte fuhr auf seine Bitte hin nach dem Anschluss nach Österreich, um seine Aufzeichnungen über russische und italienische Brückenbauten im Hause seiner Mutter zu vernichten. Hier erlebte Charlotte aus Angst vor den Nationalsozialisten ihre qualvollste Nacht. Jene der Mutter, einer bis heute als gütig bekannten Frau in Erlauf, ist nicht auszumachen. Im November 1938 wurde Georg Brod 12 Tage im Gasthaus Teufl festgehalten, bis er sich der Forderung Hans Scharfs, des Schwiegersohnes der Wirtin beugte, und die Enteignung des Warenhauses unterzeichnete. 

Als der zweite Weltkrieg ausbrach, wollten Charlotte und Ernst F. Brod heiraten. „Die gute Kenntnis meines Heimatsortes, das Wissen über die Menschlichkeit katholischer Bewohner meines Dorfes, ermutigte mich jetzt mit Lotte, die eine Katholikin war, eine katholische Ehe zu schließen“, begann Brod. Doch wusste er nicht, als er die Stufen zur österreichischen St. Georgskirche in Istanbul hinaufstieg, ob er ausgeliefert werden würde. Pfarrer Johann Eilers beruhigte ihn sogleich, „sie haben vor mir nicht[s] zu fürchten ... ich halte meine Pflicht zu meinem Glauben wichtiger als meine Pflicht zu einer Regierung, die meiner Ansicht nach unmenschlich handelt“. Für die Erlaubnis zur Eheschließung musste der Pfarrer mit dem Paar bei Angelo Guiseppe Roncalli, dem Vikar von Istanbul vorsprechen. Im Jänner 1940 stand Brod vor dem zukünftigen Papst Johannes den XXIII, der, so wurde erst in den 1990er Jahren öffentlich, gemeinsam mit seinem Onkel, dem türkischen Außenminister, das Leben Tausender Juden und Jüdinnen in Griechenland und der Türkei gerettet hat. 

Brods alte Mutter, „die vierzig Jahre im selben Dorfe lebte“ und sein Bruder Georg, aus „einer im Dorfe fast hundert Jahre lang ansässigen Familie“, wurden aus Erlauf verwiesen. Elisabeth und Georg Brod wurden 1942 nach Riga deportiert und ermordet, sie fielen dem Raubmord der Nationalsozialisten zum Opfer. Obwohl Ernst F. Brod mit Erlauf lebenslänglich in Verbindung blieb, verunmöglichte ihm die Vorstellung, wie schrecklich seine Mutter und sein Bruder in dem Haus gelitten haben mussten, ein Zurückzukehren nach Kriegsende.

Heidi Schatzl
Tätig an der Schnittstelle Raum, Kunst, Forschung. Lebt in Wien.
2012   „Hitlerbauten“ in Linz. Wohnsiedlungen zwischen Alltag und Geschichte. 1938 bis zur Gegenwart, Nordico Linz (Ausstellungsanregung und -beteiligung). 2018    Dear Ernst F. Brod, – eine Antwort, SchülerInnenprojekt im Stiftsgymnasiums Melk. 2015   The Protest of Linz 1945, 2015 in: Befreit und besetzt. Oberösterreich 1945–1955, Schlossmuseum, Linz. 2017 Atelierstipendium Herzliya/Tel Aviv, BKA.Unterstützung für The Examined Life u.a. Stipendien.