85/LitArena X/Bericht/Hubert Scheibl: Seeds of Time

Hubert Scheibl
Seeds of Time

„In der Kunst transportiert man Wasser mit bloßen Händen.”
Ein Bericht aus der ALBERTINA von Eva Riebler

Bis 5. Dezember 10-18 Uhr ist die Ausstellung in den Säulenhallen zu besichtigen. Die drei Ausstellungsräume widmen sich jeweils speziellen Phänomenen in Scheibls Kunst: In einem Raum kommunizieren sieben großformatige quadratische Gemälde miteinander, die durch viele übereinanderliegende Farbschichten entstanden sind. Ein faszinierender Farbklang entfaltet sich jeweils. Farben transportieren wesentliche emotionale und atmosphärische Inhalte, die in den Raum greifen. Wenn der Betrachter sich einlässt ist die Energie spürbar!
Scheibls Serien entstehen nicht zeitlich begrenzt, sondern bauen oft auf älteren Erfindungen auf. Auf einen atmosphärisch komplexen Hintergrund überträgt sein vom Impuls und von großer Konzentration geleitete Pinselstrich die Körperbewegung dynamisch auf das Bild. Intuition und Kalkül werden spürbar. Ein weiteres wichtiges Thema der Präsentation bildet die Gegenüberstellung von Gemälden und zum Teil großformatigen Zeichnungen. Hier zeigt sich das wechselseitige Verfahren des Herauskratzens von Linien und Spuren bei Gemälden einerseits und das Auftragen von Linien auf das Weiß des Papiers beim Zeichnen andererseits. Die abstrakten, impulsiv entstandenen Linienstrukturen erinnern an gegenständliche Formen aus der Natur, an Gräser, Äste oder Wälder.
So z.B. auch bei der über elf Meter langen Zeichnung Itamaraca, die 2004 inmitten der Natur Brasiliens entstanden ist. Die Striche und Flecken folgen dem intuitiven Gestaltungsrhythmus des Künstlers, wobei gerade bei diesem großen Format wiederum die Körperbewegung in die Zeichnung einfließt. Das Papiermaß 5 erfordert eine raumgreifende Bewegung des Künstlers und spiegelbildlich trifft der Betrachter mit seiner Körpergröße auf die Darstellung, wird von ihr umfangen, muss sie abschreiten, den Raum durchqueren, um sie als Ganzes erfassen zu können, ohne sie je tatsächlich in ihrer Gesamtheit vor Augen zu haben. Evolution Scheibls Suche nach einem „evolutionären Urstrom“ verwandelt die Leinwand in eine Projektionsfläche unzähliger Versuchsanordnungen – so auch in seinen neuesten Bildern, die am unteren Bildrand auf den Ausschnitt eines Farbkeils als Hilfe für das Kalibrieren von Fotoaufnahmen verweisen. Sie unterstreichen Scheibls Überzeugung, dass die Farbe das größte Kommunikationsmodell in der Evolution ist.
Scheibls künstlerisches Universum ist ein Kaleidoskop an Vielfalt und Koexistenzen. Seine Kunst ist ein permanentes Experiment, das Gegensätze verbinden will. Zentrale Ausdrucksform
von Scheibl ist das Malen, in das Musik, Film, Bildhauerei, Zeichnen, Literatur, Philosophie und Wissenschaft einfließen.

Hubert Scheibl, geb. 1952 in Gmunden, studierte als Schüler von Arnulf Rainer und Max Weiler an der Wiener Akademie am Schillerplatz und zählt seit Jahrzehnten zu den international anerkannten österreichischen Künstlern. Er erlebt sich intensiv als Teil der Natur, der Evolutionsgeschichte an der Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft.
In der ALBERTINA ist er als bekannter moderner Künstler schon lange mit bedeutenden Hauptwerken aus unterschiedlichen Schaffensperioden vertreten, die regelmäßig in Sammlungspräsentationen zu sehen sind.
Er spricht in Zitaten zu uns:
„Ich bin mit meiner Kunst schon lange auf der Suche nach einem evolutionären Urstrom, sei es in der Malerei, in der Zeichnung oder wenn ich Musik mache.“

„Malen und Reisen haben für mich etwas Entschleunigendes. So entstehen zum Beispiel Zeichnungen meist, wenn ich auf Reisen bin. Ich finde, dass ein Ort mich immer verändert – man agiert ganz anders. Und wenn ich zurückkehre, leben die Eindrücke der Reisen in mir weiter und fließen in die Arbeiten ein.”

„Farbe ist das größte Kommunikationsmodell in der Evolution.”

„Das Leben, die eigene Lebendigkeit zu erhalten, ist oft schwer genug in unserer kleinen Aspirin-Existenz. Denn in der Kunst transportiert man Wasser mit bloßen Händen.”