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LITGES Schreibwerkstätte im Stift Geras
7. bis 12. Aug. 2022

Leitung Eva Riebler
Zum 20. Male fand eine Schreibwerkstätte der LitGes im Waldviertel statt.
Vorbereitungslektüre war Michael Ziegelwagner: Als der Teufel gegen Bischof Kren beim Schnapsen verlor. Sagen aus St. Pölten, Edition NÖ, 2022

Da das Stift Geras eine so tolle und geruhsame Lokation ist, wurde wieder Geras mit Unterbringung im historischen Schüttkasten gewählt. Zwischen Stiftsgarten und Ententeich fand jeden Vormittag und Abend die Zusammenkunft statt. In dieses Atelier des Stiftes luden wir für einen Vormittag den Literaten Michael Ziegelwagner zu einer offiziellen Buchpräsentation mit interessanter Diskussion und gemeinsamer Schreibzeit ein.
Das Thema, an dem er gerade für das Satiremagazin „Titanic“ arbeitet, stellte er uns dann als Beginn eines in 12 Minuten frei zu erfindenden Textes: „Die Bergmannsche Regel“.

Hier im Atelier präsentierten wir auch am Donnerstag zahlreiche Gästen eine Textauswahl unserer Schreibwoche. Vorher hatten wir für 12 Minuten Schreibzeit zwei Acrylbilder aus der Werkstatt der Maler ausgeliehen, die uns zu kurzen Texten inspirierten. Die Sichtweise und Interpretationsmöglichkeit wie auch die Titelgebung zu diesen Acrylarbeiten auf Leinwand waren wie immer individuell, was dann in der Zusammenschau besonders spannend war.

Oft war die zulässige Schreibzeit nur 12-20 Minuten und die Textvorgabe eine zufällig ausgewählte vorgegebene Anfangszeile und Schlusszeile oder auch ein Zitat der Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller aus ihrem autobiografischen Essayband „Der König verneigt sich und tötet“ S. Fischer Verlag 2010.
Vielleicht wollen Sie selber probieren einige Zeilen zur Vorgabe aus diesem Buch von Herta Müller zu verfassen: „Ich habe dieses Wissen, mit dem man sich lächerlich macht, nicht fallen gelassen …“. Natürlich gab es wie immer ein zweites Thema zur Wahl. Es hieß: „ …mit den Wörtern im Mund, zertreten wir so viel, wie mit den Füßen im Gras.“
Auch der Roman „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ von Edmund de Waal, Zsolnay 2011 war Anlass für einige Schreibthemen: Z.B. „Das Schloss gehörte ihm/uns nicht mehr …“, oder: „Die Kinder wählen ihre Lieblingsschnitzerei und spielen auf blassgelbem Teppich damit.“

Die Themen waren unerschöpflich und vielfältig, sehen und lesen Sie anschließend de Kostproben!

Jedenfalls verbrachten die sieben Teilnehmer eine ergiebige Zeit, in der Elfchen (Silben je Zeile: 1,2,3,4,1), vielfältige Lyrik oder Kurzprosa entstanden.

 

Ingrid Messing
Zur vorgegeben Zeile von Herta Müller: "Mit den Wörtern im Mund, zertreten wir so viel wie mit den Füßen im Gras"

Er setzte an, öffnete den Mund.
Noch hast du eine Chance, dachte sie, lass die Wörter im Mund, kau sie erst, vielleicht kannst du sie schlucken.
Er schloss den Mund, kaute auf der Unterlippe herum.
Sie rührte sich nicht, damit keine Wörter von ihrem Gehirn in den Mund finden würden.
Er zischte zwischen den Zähnen hervor: Du bist………..
Blut und Schall rauschten durch sie hindurch.
Bis seine Litanei nur noch ein dumpfer Nachklang von irgendwoher war.
Sie hörte dumpfes Hundegebell.
Ja, sagte sie, wir könnten jetzt barfuß übers Gras rennen.
Dann könnten wir uns auf unsere Bank setzen und zuschauen, wie sich das Gras wieder aufrichtet.
Ohne etwas zusagen.

Bio Ingrid Messing
Geb. in Metzingen, Baden-Würtemberg, pensionierte Pädagogin, wohnt seit 10 J. in NÖ, Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, 1. Roman fertig. LitGes-Fan.

 

Manfred W. Kowatschek
Erster und letzter Satz: S. 128 M. Ziegelwagner: "Als der Teufel gegen ..." aus: Der Krawattenfänger von Harland

Wenn es eine Pest gibt, so ist es die Mode.
Die Automechanikerin fluchte lautstark.
„Beherrsche dich Anna“, sagte ihr Vater ruhig.
„Ich fluche, wann immer es mir passt“, antwortete Anna mit lauter Stimme.
Als beide gemeinsam die Kirche betraten, spielte die Orgel, der Bräutigam wartete vor dem Altar.
Kurz zuvor war Anna, unterstützt von zwei ihrer Freundinnen, in das Brautkleid, ein modisches Designerstück, gezwängt worden. Obwohl es mit Einnähern, Gummizügen und anderen Hilfsmitteln erweitert worden war, fühlte es sich an, wie Pest und Cholera zusammen. Das erweiterte Kleid war immer noch zu eng. Es zwickte seitlich an den Hüften, vorne unter dem Busen, in den eingezwängten Oberarmen staute sich das Blut. Ihr Zorn wuchs mit der Gewissheit, dass sie sich dieses unsäglich enge Kleid einreden gelassen hatte. Anna dachte mit jedem Schritt daran, dass es ganz sicher nur für schlanke, zierliche Frauen gefertigt worden war. Die unaufhörlich plappernde Verkäuferin im Brautmodengeschäft hatte Fotos gezeigt, auf denen sehr schlanke Frauen dieses Modell trugen. Anna hatte das Kleid probiert, blieb unsicher. Die Verkäuferin sprach von möglichen größeren Größen und Änderungen. Annas beide Shoppingbegleiterinnen waren damals sofort von diesem Kleid begeistert. Widerspruch wurde keiner geduldet.
Es waren beträchtliche Änderungen notwendig, sollten letztlich aber wenig bringen. Sie hätte es sich schon denken können, als sie die abgelichteten Frauen betrachtet hatte. Diese waren kaum über dreißig, wirkten jedoch wie Teenager. Statt an das bald folgende Eheversprechen zu denken, dachte sie nun an die Frauen, die auf sie wirkten, als müssten sie oft in Büros Kaffee zubereiten, um diesen ihren Vorgesetzten, sowie deren Gästen zu servieren. Anna dachte an enge Röcke, transparente, nichts verbergende Blusen, an Männer die darauf stierten, wie sonst nur Kinder auf Affennachwuchs im Tiergarten. Genauso wie die Leute hier in der Kirche nun sie anstarrten. Nun schritt sie, von Missmut geplagt, ihrer Eheschließung entgegen. Annas schönster Tag war ziemlich beeinträchtigt.
Die Kirche war bis auf den letzten Sitzplatz mit Gästen und Neugierigen gefüllt.
Anna dachte daran, dass die Bürofräuleins nie danach gefragt worden waren, ob sie angestarrt werden wollten. So wie sie selbst nie danach gefragt worden war, ob jene Autobesitzer, die ihren blechernen Liebling in die Werkstatt brachten, sie ungläubig anstarren durften. Anna wusste, es wäre denen am liebsten, eine Frau würde ihr Vehikel erst gar nicht angreifen.
Schritt für Schritt näherte sich Anna am Arm ihres Vaters ihrem zukünftigen Ehemann. Als sie ihn ansah, meinte sie zu erkennen, wie seine Augen einen eigenen Glanz bekamen und sein Mund lächelte. Ihr Zorn wandelte sich in Stolz, ihr Spiegelbild ließ also nichts zu wünschen übrig. Es gab was zu sehen an ihr. Schließlich war sie schon ansehnlich. Sogar in diesem, verdammt nochmal, viel zu engen Kleid. An manchen Stellen sogar wegen des Kleides. So manche ihr hier in der Kirche hinterhersehende Frau könnte schon ein wenig neidisch werden.
Der Bräutigam konnte sich darüber freuen, was er da von ihrem Vater quasi frei Haus zum Altar geliefert bekam.
Anna war nicht seine Traumfrau, kam dieser Rolle jedoch immer näher. Er dachte nur noch selten an Ester, seine große Liebe, mit der er einige Träume gesponnen hatte, die unerfüllt geblieben waren. Mit Anna erhielt er vieles, dass sonst nur eine Frau mit einem Mann serviert bekam.
Die Automechanikerin war selbstsicher, hatte schon vor dem finalen „Ja“ das Kommando in der Beziehung geführt, war zärtlich, wenn es die Situation verlangte, konnte jedoch auch lauthals fluchen, wenn ihr etwas - so wie jetzt das Brautkleid - nicht passte. Noch dazu fachsimpelte sie gerne über Autos, schaute Actionfilme und arbeitete hart. Sie konnte jedenfalls auch anständig zupacken. Wo immer es nötig war. Das mochte er.
Und wenn das kein Trost war, was dann?

Manfred J. Kowatschek
Geb. in Wien, lebt er in Pellendorf, Wolfsgraben und Baden. Die Erkenntnis, dass Menschen stets Geschichten erzählen, wenn sie mit anderen reden, brachte ihn zum literarischen Schreiben. Veröffentlichte in Zeitschriften und Anthologien. Pflegt den Ausstauch mit anderen Schreibenden, schloss 2010 den Lehrgang „Wiener Schreibpädagogik“ ab.

 

Eva Riebler
Zur vorgegebenen Zeile der Literatur-Nobelpreis-Trägerin Herta Müller: Schreibzeit 15 Minuten: „Mit Wörtern im Mund, zertreten wir so viel, wie mit den Füssen im Gras.”

Ohnmacht im Fühlen
ist eine Gnade.
Denken ohne Konsequenzen
auch.

Klammer Blick
bedeutet selber leben.
Kältestarre im Herzen
heißt für sich zügig arbeiten.

Erbost und zeitgleich bloß
angewidert sein ist
menschlich aber altbekannt

Zurück zum Drehkreuz der Gedanken:
Meine kleinbürgerliche Existenz
ist vielleicht eng, aber
prallvoll mit bunter Überheblichkeit.

Text zum Bild von Ingeborg Rizzi

Berg Sinai

Die Beiden

Die Beiden gehen auf
den Berg ohne Umschweife
Der Mann mutig voran
Kein Müßiggang
sich der Bedeutung bewusst
Aufgabe und Passion:
immer schon: vorangehen
versorgen, vorsorgen
Gottes Worte sind zu befolgen.

Wer sagt, dass, als Moses
seine steinernen Befehle erhielt,
nicht seine Frau mitgekommen war?

Bio Eva Riebler
Geb. 1952 in Steyr, Germanistin, Geografin und bildende Künstlerin. Seit 20 Jahren Obfrau und Leiterin der Schreibwerkstätte der LitGes. Mitgl. PEN int.,arbeitet am dritten Lyrikband mit Grafiken.

 

Marlen-Christine Kühnel

Zurück zum Drehkreuz der Gedanken:
"Meine kleinbürgerliche Existenz ist vielleicht eng, aber prallvoll mit bunter Überheblichkeit."

Es hatte ein Mann eine schwarze Amsel, sagten die Leute.
Andere meinten, er habe einen gelben Vogel und die restlichen sagten: Er hat eine Meise!
Wie viele Vögel er wirklich hatte, darüber schweigt sich die Geschichte aus.
Die Amsel konnte aber nicht schweigen.
Sie saß auf dem Fensterbrett und sah in die Stube. Da hockte der Mann auf dem Boden, vor sich türmte sich ein Berg Bücher. Er ergriff eines, blätterte wild umher und legte es auf die Seite.
Dann nahm er das nächste, schleckte seine Finger ab und auch das Gedruckte und legte es auf den zweiten Stoß.
Die Amsel konnte stundenlang diesem Ordnungsfimmel zusehen.
Blättern, weglegen, blättern, weglegen … Der eine Stoß wurde kleiner, der andere größer. Tag für Tag, Woche für Woche.
Der Mann ging nicht mehr aus dem Haus. Er aß wenig und schlief wenig.
Und die Amsel hüpfte vor dem Fenster auf und ab und rief ihre Artgenossen zusammen. Da saßen sie gemeinsam vor dem Fenster , klopften auf die Scheibe, sangen und jubilierten, um die Trostlosigkeit des Zimmers zu durchbrechen.
Aber vergeblich.
Im Dorf erzählten sie, er wäre ein wichtiger Mann gewesen, mit Frau und Kind und gutem Einkommen. Aber das Schicksal hatte ihm alles genommen und jedes Lachen aus dem Haus gescheucht. Ihm war nichts geblieben, außer seinen Büchern. Die erzählten Geschichten, Sagen und Märchen und gaben ihm kurze Zeit Ablenkung, ließen ihn in andere Welten spazieren, mit anderen Menschen mitreisen und Schicksale teilen.
Und eines Tages stand er nicht mehr auf. Nur die Amsel betrauerte ihn, ihn, der von der Firma zum alten Eisen degradiert und weggeschmissen worden war, wie ein alter Fetzen.

Themenvorgabe: Das Heu ist eingebracht

Das Heu ist eingebracht,
der Bauer hat gelacht,
dem Regen froh getrotzt,
beim Nachbarn dann geprotzt,
die Knochen haben’s ihm gesagt,
nicht nur das Alter nagt,
auch das Wetter macht ihm Pein,
kann Prophet fürs Ernten sein,
und er, die Zeichen gut versteht
und nach seinen Beschwerden geht,
so ist das Heu nun eingebracht
und er hat froh gelacht.

Der Nachbar aber weint,
und traurig meint,
ich habe heile Knochen
und mir noch nichts gebrochen,
nun ist das Heu ganz nass,
ich find das wirklich krass,
gibst du mir für die Viecher Futter,
ich tausch dafür dir Butter
und nächstes Mal, da frag ich dich,
damit das Heu ganz sicherlich
bei mir im Trocknen landet
und nicht mein Geld im Nass versandet.

Bio Marlen-Christine Kühnel
Geb. und wohnhaft in Wien, Sprach- u. Wirtschaftsstudium. 12 J. in der Kulturabteilung d. franz. Botschaft tätig. Mitglied des NÖ PEN, leitet Schreibwerkstätten, Veranstalterin des Literatursalons im Palais. Schreibt Romane, Lyrik.
www.marlenchristine.com

 

Michael Klaus Miller

Thema: aus Herta Müller: Der König verneigt sich und tötet: "Ich habe dieses Wissen, mit dem man sich lächerlich macht, nicht fallen lassen. "

Fragen des Wissens
Fragen des Warum
unverständlich für viele, so,
dass man wie Diogenes verachtet wird,
oft verfolgt wie Sokrates, trotzdem
halte ich an meinem Wissen fest, weil ich meine,
das Wesen, wenn es eines gibt, der Philosophie,
verstanden zu haben und werde selbst weiterfragen,
auch wenn man mich bedroht oder lächerlich
macht, solch ein Wissen behält man und
gibt es nicht ab, es bleibt dem Bewusstsein
vertraut und das ist jener Ort, der dem
reinen Wissen zwar nicht überlegen, aber
auch nicht unterlegen ist.

Zum Bild von Ingeborg Rizzi auf der Staffelei
(12 Minuten Schreibzeit)

Die Herausforderung

Verborgen
wie mit einem Tuch verbunden,
das beide Personen schützt,
der Abhang als Symbol für die
Festigkeit des Stehens,
unbeirrbar im Sog der Zeit und
der Gewalten, zwei Personen, die
den Schwall ihrer Worte
in die Menschenmenge schleudern.

Bio Klaus Michael Miller
Lebt in Tulln, arbeitet an der GKK in St. P., studierte Politwissenschaften, spielt Gitarre und singt Karaoke.

 

Christine Huber

Das Heu ist eingebracht

Reife Getreidefelder und blühende Wiesen, bunte Sommerblumen in den Gärten, zirpende Grillen, Schmetterlinge und summende Bienen in der sonnendurchtränkten Luft, verliebte Pärchen - all das sind Zeichen: Der Sommer ist am
Höhepunkt.
Das Heu ist eingebracht!

Noch einmal genieße ich die Sonne auf meiner Haut und die warme Luft streichelt meinen Körper.
Unbeschwertheit, Leichtigkeit und Lebenslust sind Zeichen des Sommers.

Die Last des Alltags rückt in weite Ferne.

Bald ziehen sich die Menschen wieder in ihre Häuser zurück.
Die Abende werden kühler und die Nächte länger. Die letzten warmen Sonnenstrahlen weichen.
Der Sommer geht dem Ende zu.Wehmut überfällt mich.

Die Worte spazieren zwischen uns hin und her
Wie ein Pingpong-Spiel fühlt sich unsere Konversation an.
Manchmal treffe ich den Ball, dann wieder nicht. Springen und Hüpfen hilft auch nicht immer, um auf deine Bälle zu antworten. Manchmal gelingt mir ein toller Aufschlag, dann bist du total erstaunt - und Anerkennung zeigt dein Gesicht für mein Bemühen.
Vor vielen Jahren war die Unterhaltung mit dir noch leicht und lustig, nun plagen uns gegenseitiges Nichtverstehen, Interesselosigkeit und Ungeduld. Die Worte spazieren zwischen uns hin und her, aber immer in die falsche Richtung.

Vielleicht sollten wir einmal die Schläger tauschen?
Könnte das helfen?

Bio Christine Huber
Malerin, Malseminarleiterin und Literatin. Veröffentlichung in „etcetera“ und im Eigenverlag, Haiku in „Lotosblüte“.
www.christinehuber.com

 

Milena Orlando

Zur Textvorgabe: Haare, Gesicht und Körper dicht mit Schlamm verklebt ....

Schatten Figuren
mit Maskengesicht
gespenstisch und mystisch
sie schütteln
ein neues Denken
aus meiner Haut

Bio Milena Orlando
Lebt in Scheibbs, 2 Lyrikbände: „Milenas Poesie und Milenas Sprachbilder” veröffentlicht. Schreiben ist ihr Lebenselixier

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Von links: Michael Miller, Ingrid Messing, Christine Huber, Eva Riebler, Marlen Kühnel, Gertraud Artner, Milena Orlando
Von links: Michael Miller, Ingrid Messing, Christine Huber, Eva Riebler, Marlen Kühnel, Gertraud Artner, Milena Orlando