74/Körper.Teile/Essay: Marlene Draxler: 200 Jahre Frankenstein

Das Monster lebt und lebt und lebt - 
Eine Frankenstein-Chronologie 1818-2018

Literaturgeschichtliche Kontexte
Vor 200 Jahren erschien erstmals Mary Shelleys Roman Frankenstein: Or the Modern Prometheus [Frankenstein oder Der moderne Prometheus]. Anlässlich des Jubiläums blickt dieser Artikel auf eine Chronologie von Frankensteinadaptionen zurück. Betrachtet wird der Zeitraum von 1818 bis in die Gegenwart 2018. Der Fokus dieser Sammlung lag auf den Medien Literatur, Comic, Film und Bildschirmspiel. Doch zunächst ein Blick zurück auf die Entstehung des Romans: Die erst 18-jährige Mary Shelley, damals noch Mary Wollstonecraft Godwin, erdachte den Wissenschaftler Doktor Victor Frankenstein und sein Monster. Die Entstehungsgeschichte umgibt eine mystische Aura, die an Legendenbildung grenzt. Das Setting: Eine Villa am Genfer See im Jahr 1816. Der Sommer durch einen Vulkanausbruch verdunkelt. Die wichtigsten Beteiligten: Mary Shelley, ihr späterer Ehemann Percy Bysshe Shelley und ihr exzentrischer Gastgeber Lord Byron. Die Geschichte besagt, dass Lord Byron, gelangweilt durch das anhaltend schlechte Wetter, den Vorschlag machte, selbst Schauergeschichten zu verfassen. Mary Shelley hatte in der darauffolgenden Nacht einen Albtraum, in dem ihr Dr. Frankenstein und sein Monster erschienen. Diesen verschriftlichte sie und so erblickte Frankenstein das Licht der Welt. Unter der Ermutigung ihres Mannes erschien zwei Jahre später der Roman. Inwiefern diese Legende der Wahrheit entspricht ist unklar, feststeht, dass sie viel Raum für Interpretation ließ und lässt. So greift zum Beispiel Ken Russels Film Gothic, aus dem Jahr 1986, genau diese Entstehungsgeschichte des Romans auf und ergänzt sie um albtraumhafte Visionen, Dämonen und sexuelle Spannungen. Auch der Film Remando al viento des spanischen Regisseurs Gonzalo Suàrez, aus dem folgenden Jahr, beschäftigt sich mit der vermeintlichen Dreiecksbeziehung zwischen Mary Shelley, Percy Bysshe Shelley und Lord Byron. Schon 1935 in James Whales Film Bride of Frankenstein [Frankensteins Braut] treten die Shelleys und Lord Byron im Prolog auf. Sie unterhalten sich über Frankenstein. An dieser Stelle ist leider nicht mehr Platz um näher auf Mary Shelleys interessante Biographie einzugehen, deshalb ist unter dieser Einleitung eine kleine Auswahl-Bibliographie zu Mary Shelley zusammengestellt.
Die Inspiration für Frankenstein hat ihre Wurzeln, wie schon im Titel ablesbar ist, im antiken Mythos des Prometheus. Dieser besagt, dass der Titan Prometheus die ersten Menschen aus Lehm formte. Später stahl er von Zeus das Feuer für seine menschlichen Schützlinge, woraufhin er zur Strafe an einen Berg kettet wurde, wo seine, immer wieder nachwachsende Leber, von einem Adler gefressen wird. Interessant ist hier zu erwähnen, dass Percy Bysshe Shelley, im Zeitraum der Entstehung des Romans, an einem Theaterstück mit dem Titel Prometheus Unbound [Der entfesselte Prometheus] arbeitete, das 1820 veröffentlicht wurde. Die gegenseitige Beeinflussung des Romans und des Theaterstücks liegt auf der Hand. Aber auch andere Werke haben dieses Motiv, der Erschaffung oder Erscheinung von künstlichen Menschen, vor Mary Shelley, aufgenommen. Zu erwähnen sind an dieser Stelle Achim von Arnim mit seiner Novelle Isabella von Ägypten 1812, das Kunstmärchen Der Sandmann von E.T.A. Hoffman 1816 und Das Marmorbild von Joseph von Eichendorff 1817. In Achim von Arnims Geschichte tauchen nicht nur ein Wurzelmännchen und ein untoter Knecht, sondern auch ein weiblicher Golem namens Bella auf. In E.T.A. Hoffmans Der Sandmann erscheint eine mechanische Holzpuppe namens Olimpia, die vom Protagonisten Nathanael zunächst für einen Menschen gehalten wird. Er verliebt sich sogar in sie. In Das Marmorbild von Joseph von Eichendorff erwacht scheinbar eine Marmorstatue zum Leben und versucht einen Jüngling zu verführen. Was alle diese Werke gemeinsam haben und was sie mit Frankenstein verbindet ist das Thema des künstlichen Menschen. Ein Motiv, das nicht nur in der Antike und der Romantik, sondern auch im Alpenraum, in Gestalt der Sage vom Sennentuntschi, auftritt. Diese Sage dreht sich um einsame Hirten, die sich eine künstliche Frau aus Stroh erschaffen. Inwiefern die Werke der Romantiker oder die Sage vom Sennentuntschi Mary Shelley vertraut waren, ist unbekannt. Schon diese kleine Auswahl zeigt einige Richtungen an, in die das Motiv des künstlichen Lebens oft entwickelt wurde. Bei all diesen Ausformungen des künstlichen Lebens oder Lebendig-Werdens handelt es sich um Illusionen oder Magie. Seitdem hat sich das Motiv weiterentwickelt und verschoben. Oft entstehen künstliche Menschen in der Fiktion jetzt durch die Weiterentwicklung der Wissenschaft, v.a. der Robotik und der Genforschung. Ein Thema, dass immer wieder auftaucht ist die künstliche Intelligenz, wie zum Beispiel im Film Ex Machina von Alex Garland, in dem eine KI so menschenähnlich wirkt, dass sie sogar einen anderen Menschen täuschen kann. Einige dieser Werke, die sich mit dem künstlichen Leben beschäftigen, sind ebenfalls in die Chronologie aufgenommen worden. Sie sind zwar nicht direkt als Frankensteinadaptionen ausgewiesen, gehören aber auf jeden Fall in den Themenbereich des künstlichen Lebens, der schon immer eng mit Mary Shelleys Roman verbunden war und auch immer verbunden sein wird.

Eine Erfolgsgeschichte
Erstaunlich ist, dass seit 1818 kaum ein Jahr vergangen ist, indem der Frankensteinstoff nicht auf die eine oder andere Weise adaptiert wurde. Den Anfang machten bald nach der Erscheinung des Romans Theaterstücke. Nennenswert ist hier das erste Stück Presumption or the Fate of Frankenstein, das 1823 in London uraufgeführt wurde. Die Adaption bestand aus drei Akten und beinhaltete einige Musikeinlagen. Mary Shelley selbst besuchte eine Vorstellung und hielt dazu fest: „But lo and behold! I found myself famous […] The playbill amused me extremely, for, in the list of dramatis personae came `_____´, by Mr. T. Cooke´: this nameless mode of naming the unnameable is rather good.” Mary Shelley spielt hier auf den Rollennamen für Frankensteins Monster an, der im Programmheft nur aus einer Auslassung bestand, da das Monster auch im Roman namenlos bleibt. Diese Namenlosigkeit änderte sich schon bald. Das bekannte Missverständnis, dass Frankenstein der Name des Monster und nicht des Wissenschaftlers wäre, lässt sich ebenfalls auf ein Theaterstück zurückführen. Schon im Stück Frankenstein: An Adventure into the Macabre 1927 von Peggy Webling wird das Monster selbst erstmals als Frankenstein bezeichnet. Nach Frankensteins Erfolg im Theater, kam es mit der Entstehung des Films zum Übertritt des Stoffes in ein neues Medium. Den Anfang machte 1910 Frankenstein von Thomas A. Edison's Film Company, unter der Regie von J. Searle Dawley. Der schwarz-weiße Stummfilm umfasste 16 Minuten. Die wohl ikonischste Darstellung von Frankensteins Monster im Film, die unser kulturelles Gedächtnis bis heute prägt, stammt aus dem Jahr 1931. Es handelt sich um James Whales Verfilmung des literarischen Stoffs mit Boris Karloff in der Hauptrolle. Hier tritt die Kreatur erstmals mit hoher Stirn, Narben und Schrauben im Hals auf. An diesem Bild orientierte sich die Mehrzahl der nachfolgenden Filme. Ab diesem Zeitpunkt vergeht kaum ein Jahr ohne filmischen Auftritt des Monsters.
Aber nicht nur in Film und Theater wird der Stoff kontinuierlich weiterbearbeitet, auch in der Literatur kommt es zu einer ständigen Aufnahme und Variation des Stoffs. Besonders auffällig sind in diesem Zusammenhang die vielen Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in Pulp-Magazinen. Diese Magazine enthalten Kurzgeschichten aus verschiedenen literarischen Genres, oft aber aus dem Horror- und Mystery-Bereich. Besonders beliebt waren sie in den USA der 1930er bis 1950er Jahre. Einige Autor_innen beschäftigen sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg mit diesem Stoff und brachten ganze Romanreihen heraus. Hier ist Donald F. Glut zu erwähnen, der eine Reihe von Groschenromanen mit dem Frankensteinthema herausbrachte und sich auch wissenschaftlich mit dem Stoff auseinandersetzte. Ebenso das Autoren-Kollektiv bestehend aus Guy Bechtel, Jean-Claude Carrière, Stéphan Jouravieff, José-André Lacour und Christiane Rochefort, die ihre Romanreihe unter dem Pseudonym Benoit Becker veröffentlichten. Bis jetzt ist die Reihe nicht in deutscher Übersetzung erschienen.
Die Vielfalt der Frankensteinadaptionen ist nicht nur durch die unterschiedlichen Medien bedingt, sondern auch innerhalb eines Mediums präsent. Vor allem im Bereich des Filmischen reicht die Bandbreite von Animationsfilmen für Kinder, über Horrorfilme und Horrorkomödien, bis hin zu erotischen und experimentellen Filmen. Besonders interessant sind die experimentellen Versuche sich dem Stoff anzunähern, z.B der künstlerische Animationsfilm Le ravissement de Frank N. Stein [The Ravishing of Frank N. Stein] des Schweitzers Georges Schwizgebel. Auch im Comic tritt Frankenstein nicht nur im Horrorgenre, sondern ebenso als Superheld oder freundliche bis lustige Figur auf. Wie ich bereits im Titel festgestellt habe: Das Monster lebt und lebt und lebt und wird durch sein Erscheinen in immer neuen Adaptionen noch lange Teil unserer Medienlandschaft bleiben. 

Zur Zusammenstellung und Struktur der Chronologie
Zum Schluss möchte ich noch kurz meine Arbeitsweise näher erläutern. Sehr hilfreich waren für mich vor allem zwei Publikationen: The Frankenstein Legend von Donald F. Glut, aus dem Jahr 1973, und Drácula vs. Frankenstein von Ángel Gómez Rivero, aus dem Jahr 2006. The Frankenstein Legend gibt einen Überblick über Frankensteinadaptionen in Theater, Film, Literatur und Comic. Drácula vs. Frankenstein enthält eine sehr ausführliche Filmografie. Im Hinblick auf das Medium Film war auch die IMDb, Internet Movie Database, eine wertvolle Quelle. Hier waren oft Informationen über seltene Filme zu finden. Was Comic und Bildschirmspiel angeht, muss ich meinen Dank an die vielen bloggenden Comic- und Bildschirmspielfans richten, die oft in kleinteiligster Recherche die Entwicklung der Frankensteinfigur in einem bestimmten Comicverlag oder einem bestimmten Bildschirmspielentwickler aufschlüsselten. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die folgende Liste in keiner Weise einen Vollständigkeitsanspruch erhebt und nur eine Auswahl darstellen kann. Jedoch liegt dieser Sammlung der Versuch zu Grunde möglichst wertungsfrei zu agieren. Das einzige Kriterium für die Aufnahme in diese Liste bestand darin eine Adaption des Frankensteinstoffs zu sein oder im Fall einiger Werke das Thema des künstlichen Menschen zu behandeln, das in enger Verbindung zum Frankensteinmotiv steht.
Der Chronologie sei an dieser Stelle noch eine kurze Erläuterung vorangestellt. Neben jedem Werk lässt sich eine Signatur finden, die zur leichteren Einordnung des Werks beitragen soll. Diese Kürzel geben genauere Informationen zum Medium an. Roman [ER] und Kurzgeschichte [EKG] lassen sich beide unter der Kategorie epische Literatur [E] finden. Unter diese Kategorie fallen ebenfalls die Sammelbände mit epischen Texten, meist Kurzgeschichten. Ihre Signatur lautet [ESB]. Einen Ausnahmefall bildet ein vermerktes Bilderbuch mit der Signatur [BB]. Alle filmischen Adaptionen stehen unter der Überkategorie [F] Film, weiter in [FS] Spielfilm und [FK] Kurzfilm unterteilt. Animierte Filme tragen die Signatur [FSA] für animierten Spielfilm oder [FKA] für animierten Kurzfilm. Serien sind mit [FSR] gekennzeichnet. [FF] für frühen Film wurde als eigene Kategorie eingeführt, da ich es nicht sinnvoll finde frühe Filme in Kurz- und Spielfilme zu unterteilen, da sich zu diesen Zeitpunkt die Spielfilmkonventionen noch nicht entwickelt hatten. In der Kategorie Lyrik und Lyrics [L] wird in [LL] für Liedtexte und [LG] für Gedichte unterschieden. Theater [T] gliedert sich in [TS] Sprechtheater, [TM] Musical, [TB] Burlesque und [TP] Puppentheater. Magazine sind mit [M] gekennzeichnet, Comics mit [C] und Bildschirmspiele, als Überbegriff für Video-, Computer- und Konsolenspiele, mit [BS]. Ich habe mich bewusst gegen die Unterscheidung der Begriffe Comic und Graphic Novel entschieden und beide unter Comic zusammengefasst, da dieser Unterscheidung oft eine Wertung anhaftet: Comic als Bildergeschichten für Kinder und Graphic Novel als eine legitimere Kunstform. Eine Einteilung die ich so vermeiden wollte. Auch habe ich mich entschlossen keine Unterscheidung nach Genres zu treffen, da dies vielen Werken nicht gerecht werden würde, die sich nicht eindeutig einem Genre zuordnen lassen. Eine Ausnahme bilden die erotischen Filme unter [FSE] für erotische Spielfilme und [FKE] für erotische Kurzfilme, da es bei meiner Recherche überraschender Weise zu einer Häufung in diesem Genre kam. Die Entscheidung auch diese Werke in die Chronologie mitaufzunehmen ist meinem Vorsatz geschuldet die Auswahl möglichst wertungsfrei zu gestalten. Je nach Medium variieren die Angaben in der Chronologie. So sind bei literarischen Werken Autor/Autorin angegeben, bei filmischen Regisseur/Regisseurin, beim Comic Zeichner/Zeichnerin und Verlag, wenn nicht im Eigenverlag erschienen, sowie bei Bildschirmspielen die Produktionsfirma. Bei Informationen, die nicht vollständig zu verifizieren waren, wurde auf Vermutungen verzichtet und stattdessen ein [?] an die betreffende Stelle gesetzt. 

Quellen:
Brittnacher, Hans Richard; May, Markus: Phantastik. Interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2013
Glut, Donald F.: The Frankenstein Legend. Metuchen, N.J.: The Scarecrow Press, Inc. 1973
Rivero, Ángel Gómez: Drácula vs. Frankenstein. Madrid: Ediciones jaguar 2006 
Schor, Esther: The Cambridge Companion to Mary Shelley. Cambridge: Cambridge University Press Cambridge 2003 
Taschwer, Klaus: 200 Jahre Frankenstein, in: Der Standard, am 13./14. Jänner 2018

Auswahl-Bibliographie zu Mary Shelley:
Bennet, Betty T.: The Letters of Mary Wollstonecraft Shelley, Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1980-83
Bennet, Betty T., Robinson, Charles E.: The Mary Shelley Reader, New York: Oxford University Press, 1990
Crook, Nora (Hg.): The Novels and Selected Works of Mary Shelley, London: William Pickering, 1996
Feldman, Paula R., Scott-Kilvert, Diana: The Journals of Mary Shelley, 1814-1844, Oxford: Oxford University Press, 1987