45/ LitArena 5 - 2. Platz - Bescheid: Daniel Zipfel
LitArena 5
Siegertext 2.Platz
Daniel Zipfel
BESCHEID
Der Asylantrag des ARAM Mohammed vom 22.10.2001 wird gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, abgewiesen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des ARAM Mohammed nach Syrien ist gemäß § 8 Absatz 1 AsylG zulässig.
„Kommen Sie vorbei zum Kaffeetrinken, hatte die Stimme am Telefon gesagt. Sie musste zu einem älteren Mann gehört haben, mit einer Färbung aus Damaskus, aber höflich, verbindlich, trotzdem. Kommen Sie.“ Während er sprach, sah Herr Aram seinem rechten Zeigefinger zu, der über die Kante meines Schreibtischs strich, über die ganze Länge und wieder zurück, und zwischendurch innehielt, bis der Dolmetscher fertig übersetzt hatte.
Begründung: Der Antragsteller (ASt.) brachte am 22.10.2001 beim Bundesasylamt einen Asylantrag gemäß § 3 AsylG ein. Ferner gab der ASt. an, den Namen ARAM Mohammed zu führen, Staatsangehöriger von Syrien und am 13.11.1951 geboren zu sein.
Bei den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab der ASt. an, er habe in Syrien als Angestellter der Gemeinde Qamishli gelebt. In seiner Freizeit habe er einen Verein besucht, welcher sich mit der Pflege der kurdischen Sprache sowie der Organisation traditioneller kurdischer Veranstaltungen befasste. Dieser Verein war aufgrund der politischen Lage nur im Verborgenen tätig und habe auch eine politische Komponente gehabt, jedoch sei der ASt. vor allem am Ausüben des Brauchtums interessiert gewesen. Eines Tages sei er in das Büro des Bürgermeisters geholt worden, wo ihm vorgehalten wurde, ein Gemeindebediensteter solle sich nicht bei kurdischen Vereinen engagieren und er habe dies zu unterlassen.
Noch am selben Tag habe der ASt. einen Anruf von einer unbekannten Person erhalten, er solle sich beim Büro des syrischen Geheimdienstes melden.
„Ich möchte nicht kommen zum Kaffeetrinken“, hatte ich erwidert, „ich habe nichts getan.“
„Wir tun Ihnen auch nichts, wir möchten Sie nur auf einen Kaffee einladen.“, hatte die Stimme beharrt: „Wir plaudern ein wenig, und dann können Sie wieder gehen.“
Ich wusste, ich würde nicht wieder gehen können, also hatte ich wiederholt, dass ich nicht kommen würde. In eine schöne Schule geht Ihre Tochter, hatte die Stimme geantwortet. Ein sehr schönes Gebäude, so grün der Hof.
Ich hatte gewusst, ich würde nicht wieder gehen können, aber ich bin trotzdem hingegangen. Das Gebäude war in der Al Omawi-Straße, Hausnummer 56, 2. Stock, Büro Nummer 233, darin saß ein Beamter mit einem Namen, erhieß Rafat Hemidi.“
Im angeblichen Büro des Geheimdienstes sei der ASt. Kurz verhört und anschließend in eine Zelle verbracht worden, wo man ihn in weiterer Folge zwei Tage lang misshandelt habe (Elektroschocks, Vergewaltigung etc.). Schließlich habe man ihm angeboten, für den Geheimdienst Informationen über die anderen Mitglieder des kurdischen Traditionsvereins zu beschaffen. Aus Furcht vor weiteren Misshandlungen willigte der ASt. ein. Er habe dann auch, wie von ihm verlangt, einige Informationen weitergegeben, sei jedoch schlussendlich mit seiner Tochter aus Syrien geflüchtet. Seine Frau sei aus finanziellen Gründen zurückgeblieben und würde regelmäßig vom Geheimdienst seinetwegen belästigt werden.
„Der Beamte Rafat Hemidi war ein freundlicher Mann, in Zivilkleidung, mit einem Schnurrbart und einer dunkelblauen Krawatte. Sein Büro duftete süß nach Parfum, der Geruch musste in den roten Vorhängen und den dunklen Möbeln kleben, und dazwischen mischte sich der Geruch von Tabak. Er hieß mich willkommen und bot mir einen Kaffee an. Ich verneinte, aber er stand dennoch auf, ging zu einem Beistelltisch mit einer kleinen Espressomaschine und stellte zwei Tassen darunter. In den Kaffee schüttete er Zucker hinein, viel Zucker, ich protestierte, ich würde nicht soviel Zucker wollen, aber er antwortete freundlich, natürlich würde ich so viel Zucker nehmen, es sei doch mein letzter Kaffee. Eine kleine Schokolade legte er noch dazu und drückte mir die Tasse in die Hand.
Herr Aram, sagte Rafat Hemidi meinen Namen, als würden wir uns schon lange kennen und übers Wetter reden. Sich ständig über seine Zivilkrawatte streichend, erklärte er, dass ich mich an terroristischen Aktivitäten gegen den Staat beteiligt hätte. Ich trank den Kaffee, als würden wir übers Wetter reden, und ich erinnere mich an den süßen Geschmack auf meiner Zunge. Ich wusste, dass ich sagen konnte, was ich wollte, es würde nichts nützen. Lassen Sie meine Familie in Ruhe, sagte ich also. Rafat Hemidi meinte, er würde sehen, und er könne mir nichts versprechen, und dann fragte er mich, ob ich meinen Kaffee fertig getrunken habe. Ich schüttelte den Kopf, obwohl die kleine Tasse leer war. Draußen auf der Straße hörte man den Nachmittag, die Autos, die Stimmen der Passanten.
Rafat Hemidi nickte, sah mich geduldig an und wartete, während er einen großen Kugelschreiber in der Hand drehte. Schließlich befand er, ich hätte jetzt fertig getrunken, und ich antwortete, dass ich nichts getan habe, aber die Tür des Büros ging trotzdem auf und zwei Polizisten packten mich. Ich würde alles tun, wiederholte ich, aber Rafat Hemidi winkte ab und räumte meine Tasse weg. Ich hätte meine Schokolade nicht gegessen, meinte er enttäuscht, während sie mich aus dem Büro zerrten. Die Fliesen des Gangs waren gekachelt, weiße Fliesen, und die Schritte der Polizisten, die mich gepackt hielten und mir die Arme hinter dem Rücken festdrehten, hallten durch den Gang, und sie schleiften mich die Treppe hinunter, die Treppe war schon dunkler als der Gang aber, es hallte noch immer und manchmal flackerte das Licht.“ Herr Aram verstummte, und der Dolmetscher rieb sich die Augen. Erst nach einer Weile setzte er fort, leise und stockend kamen die kurdischen Sätze, sodass immer wieder nachgefragt werden muss, bevor der Dolmetscher sie ins Deutsche kleiden konnte, mit leichtem Akzent.
Das Vorbringen des ASt. wurde aus mehreren Gründen als unglaubwürdig und nicht plausibel bewertet. So war der ASt. in der Einvernahme beim Bundesasylamt nicht in der Lage, relevante Einzelheiten seiner Fluchtgeschichte konkret zu beschreiben, wie etwa die genaue Anzahl an Mitgliedern des kurdischen Vereins oder bauliche Details des Gebäudes, in dem sich der Geheimdienst angeblich befunden hatte. Befragt nach dem genauen Hergang der angeblichen Misshandlungen entschlug sich der ASt. sogar gänzlich der Aussage und sagte gar nichts mehr. Die Einvernahme konnte erst nach einer Pause von mindestens einer halben Stunde fortgesetzt werden.
„Mir war kalt, als sie fertig waren. Ich war nackt und das kalte Wasser brannte auf meiner Haut, stach wie Nadeln in mein Gesicht, in meine Ohren, mit denen ich nicht mehr hören konnte. Das Wasser stach in meine Brustwarzen, die verkohlt waren von den Elektroden und schwarz wie meine Füße und meine Genitalien. Etwas Warmes floss aus allen Öffnungen meines Körpers und das Wasser, stank ein kalter Gestank nach Fäkalien und verkohltem Fleisch, aber vielleicht war ich das selbst und dann wurde wieder alles schwarz.“
Er müsse das nicht schildern, sagte ich, aber ich glaube nicht, dass er mich hörte, und auch der Dolmetscher unterbrach ihn nicht. Mir blieb nichts anderes übrig, als alles aufzuschreiben.
„Ein Mann trat mir in den Bauch, ich wachte auf und hörte ein Pfeifen im Ohr, das immer lauter wurde und den ganzen Raum ausfüllte, sich aufblähte wie ein Ballon und als es ein wenig abschwellte, hörte ich die Stimme des Mannes wie ganz weit entfernt. Dass sie mich vielleicht leben lassen würden, und vielleicht auch meine Familie, aber ich hatte vergessen, wen er meinte. Dann schwoll das Pfeifen wieder an und alles wurde wieder schwarz.“
Mithin ist es unplausibel, dass der Geheimdienst den ASt. foltert, wenn er ihn als Informanten rekrutieren wollen würde, zumal dies aus Sicht des Geheimdienstes der Loyalität des ASt. abträglich wäre. Zudem wäre eine solche Vorgehensweise des Geheimdienstes ungeschickt, eine derart lange Anhaltung des ASt. (2 Tage) würde seinem Umfeld – allen voran seiner Frau – ja auffallen und ihm die nötige Unauffälligkeit als Informant nehmen. Des Weiteren ist unklar, weshalb der ASt. sich überhaupt in das Büro des Geheimdienstes begeben hat, musste er doch wissen, was ihn dort erwarten würde. Und selbst wenn man das Vorbringen des ASt. als glaubwürdig erachten würde, so hätte er ja nun nichts mehr zu befürchten, da er das Angebot einer Informantentätigkeit schlussendlich angenommen hat. Überhaupt ist es unplausibel, weshalb der ASt. aus Syrien überhaupt ausreisen konnte, wenn er vom syrischen Geheimdienst gesucht wird.
Herr Aram fragte, ob er rauchen dürfen, und ohne meine Antwort abzuwarten, kramte er in seiner Hosentasche nach der Zigarettenpackung, zündete sich eine davon an und blies den Rauch in die Luft. Der Dolmetscher räusperte sich.
„Ich verriet Shekha Rashid, die in unserem Verein Geld gesammelt hatte für Blumen, um sie auf das Grab eines Parteifunktionärs zu legen, den der Geheimdienst umgebracht hatte. Ich verriet Ciwan Uhuad, der mir ein Flugblatt in die Hand gedrückt hatte, in dem zu einer Demonstration aufgerufen wurde. Ich verriet Samer Al Nidal, weil ich ihnen einen Namen nennen musste, aber gleichzeitig sicher war, sie würden ihm nichts anhaben können, weil sein Schwager Polizeioffizier war.“
Da auch sonst keine Gründe vorlagen, weshalb dem ASt. ein Aufenthalt in Österreich zu gewähren wäre und von diesem auch keine sonstigen Gründe vorgebracht wurden, war sein Asylantrag abzuweisen. Eine baldige Rückkehr nach Syrien zusammen mit seiner Tochter wird zudem zu einer neuerlichen Zusammenkunft mit der zurückgelassenen Ehefrau führen und dadurch dem Familienleben des ASt. zutiefst förderlich sein.
„Ich verriet meine Frau, weil ich ohne sie fuhr, auch wenn sie mich dazu gedrängt hatte, weil das Geld nur für unsere Tochter und mich ausreichte.“ Auf einmal stoppte der Zeigefinger und blieb auf der Tischkante liegen. Der Dolmetscher rieb sich die Schläfen. Herr Aram schwieg lange.
Er dämpfte die Zigarette an der Packung aus. Seine Augen weinten. „Das Pfeifen höre ich noch oft.“
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.
etcetera 45/ Oktober 2011/ Litarena 5
Daniel Zipfel
Geb. 1983 in Freiburg, studierte Rechtswissenschaften in Wien und Alcalá de Henares (Spanien), bevor er als Jurist im Flüchtlingsbereich zu arbeiten begann. Seine Kurzgeschichte Wasserrohrbruch an einem verregneten Morgen erschien 2007 als einer der Gewinnertexte des FM4 Literaturwettbewerbs „Wortlaut“ in der dazugehörigen Anthologie. 2011 wurde er mit einem Auszug aus seinem Romprojekt Die Agentur zu einem Seminar mit der deutschen Schriftstellerin Juli Zeh nach Berlin eingeladen. Lebt und arbeitet in Wien.