53/LitArena 6/2. Platz: Seralin. Denise Kamschal
Denise Kamschal
Seralin
Klack: Quieki ist das einzige männliche Meerschweinchen und weil er die Pfoten nicht von den anderen lassen kann lässt die Familie ihn kastrieren. Nur dumm, dass es am Land keine Kleintierpraxen gibt. Aber weil man sich sowieso untereinander kennt und ein Spezialpreis lockt, darf es auch mal ein Landtierarzt sein. Quieki überrascht mit seinen Minaturorganen und Mutter kommt ohne ihn wieder nach Hause. Sie erzählt uns nichts davon, denn der Tierarzt hat ein derartig schlechtes Gewissen, dass er nicht nur nichts für den Eingriff verlangt, sondern auch noch eine Entschädigung parat hat. Wir sitzen alle gemeinsam am Tisch, als eine Woche später Quieki am Tisch steht. Regungslos. Montiert auf einer Holzplatte.
Klack: Rein objektiv sitze ich in der kleinen Küche, auf der mit pinkem Schlangenlederimitat überzogenen Essecke und würge das Essen meiner Mutter hinunter. Ich esse es kalt. Die inzwischen Schmalz gewordene Sauce stört mich nicht. Ich bin Realist. Ich erwarte von Fertigsaucenpulver keine Weltwunder. Ich starre in den kleinen Fernseher neben dem Herd, während meine Mutter wie immer nackt durch die Wohnung rennt und mein momentaner Stiefvater mit einer Wünschelrute Currykreuzungen ausmisst. TV kills the freak. Naja, aber wenigstens weiß ich jetzt, wo genau ich sitzen muss, um das Gift der modernen Welt mich verstrahlen zu lassen. Ich bin in der Pubertät und meine Wahrheit ist es, dagegen zu sein. Wer bin ich schon die Welt neu zu erfinden.
Klack: Meine Exfreundin heiratet und ich darf dabei sein. Sie heiratet den Typen, wegen dem sie mich verlassen hat. Sie weiß nicht, dass ich ihn eigentlich haben wollte. Zu viel für mich, weil sie mir am Herzen liegt, und ich damals in einigen Belangen einfach zu feig war. Feigheit zuzugeben, ist noch nicht meine Stärke und dieses Eingeständnis wird sie auch nie erfahren, außer ich hinterlasse postvital einen aufklärenden Brief. Jedenfalls ist von vornherein klar, dass ich noch
für einen Skandal sorgen werde, auf das Problemkind ist Verlass. Schnell betrunken und schwer verwirrt, nehme ich all meinen Mut, oder Dummheit, da bin ich mir nicht so ganz sicher, zusammen, und tue das einzig logisch Schlüssige. In ihrem Jugendzimmer, voller Erinnerungen, lasse ich Belehrungen über mich ergehen. Sie sagt nichts Unwahres, aber anhören muss ich mir bei Gott nicht alles. Ich habe sie ja nicht geheiratet. Also springe ich aus dem Sessel auf, drücke sie gegen die Wand und küsse sie. Das war die erste und einzige Ohrfeige, die mir jemals wehgetan hat.
Klack: Es ist mitten in der Nacht und ich habe keine Zigaretten mehr. Draußen ist es so lauwarm. Man braucht noch keine Bankomatkarte, um den Automat davon zu überzeugen, mir zu erlauben, bei ihm bezahlen zu dürfen. Wäre ich unangefochtener König, ich hätte die gleiche Haltung. Ich trage eine Boxershort am Kopf und weigere mich sie abzunehmen. Auch nicht als eine Gruppe Jugendlicher vorbei kommt. Ganz im Gegenteil. Ich bewerfe sie mit Müll. Warum auch nicht? Ich mag einfach keine jungen Menschen. Sie rauben uns das bisschen Zukunft, das wir noch übrig haben und spucken uns mit ihrer Lächerlichkeit ins Gesicht. Peinlich berührt gehen sie weiter. Ihrer Meinung nach haben sie mir ja nichts getan. Grund genug um noch einmal in den Abfalleimer zu greifen und noch deutlicher zu machen, was ich von solchen „Scheißkindern“ oder „schirchen Gfrastern“ halte. Im Endeffekt gehe ich mit einem aufgeschürften Ellenbogen und einem Kat auf der Stirn schlafen und diese Zigarette danach, hat endlich einmal wieder geschmeckt. Immerhin.
Klack ohne Objektiv: Ich sitze mit einer Runde am Tisch. Die Stimmung ist getrübt. Entweder wichsen sie mit ihrem Gedankengut gerade auf irgendwelche Missstände oder jemand ist gestorben. Ich weiß es nicht, ich höre ihnen nicht zu. Ich sitze nur hier, um einen Schein von sozialem Verhalten zu erwecken. Ich beginne zu grinsen und bin dabei festzustellen, dass ich mit jeder Person an diesem Tisch Sex hatte und keiner von den anderen etwas davon weiß. Nicht die zwei besten Freunde, nicht das Pärchen, nicht mein Freund. Man schätzt mich nicht für vieles, bis auf meine Diskretion. Und jetzt rechtfertige dich für dein Lachen. Erkläre, warum Parkinson bei seinem Vater dich so amüsiert. Ich sage nur: „Frag deine Freundin“, und die Sache ist gelaufen. In so gut wie allen Fällen erledigt der Satz, frag deine Freundin, alle deine zwischenmenschlichen Probleme, wenn dein innerpsychosomatischer Charakter sich offenbart. Sie habe ich nie wieder gesehen und er, im Nachhinein, war dankbar.
Momentaufnahme. Klack: Ich weine von ganzem Herzen in die Schulter meines Vaters. Wir sind auf einem Begräbnis und der Großteil der Leute freut sich, mich zu sehen. Endlich zeigt dieses rationale, stoische Miststück Emotionen. Mein Onkel fotografiert diesen Augenblick sogar. Was mein Vater nicht weiß, ich betrauere meinen echten Vater. Nicht meinen biologischen. Ein Jahr später stirbt auch er und ich habe beiden nie gesagt, was ich von ihnen halte. Einen Brief gibt es, den ich an ein Grab lege. Ich rede nicht mit Leuten, ich schreibe ihnen Briefe. Meine Mutter meint, der Brief hat sie inhaltlich sehr berührt. Bis heute versteht sie nicht, warum ich ihr nie verzeihen werde.
Klack, klack, klack: Ich habe Kopfschmerzen und sitze in einem Fauteuil in der Luxussuite einer Hotelkette. Der egohygienischste Moment meines Lebens steht kurz bevor. Sieben Männer vögeln gerade eine Freundin aus der Pornobranche. Ja sieben, es ist möglich. Die Fotos von diesem Shooting gibt es als Beweis noch immer auf einer Homepage. Sieben Männer sind zu Gange und sie sehen dabei mich an. Nicht sie. Mich. Der Natur gegenüber habe ich mich somit gerechtfertigt. Der Rest ist mir ziemlich egal. Zur Feier des Tages betrinke ich mich. Just als mir die Abartigkeit von Sex bewusst wird, übermannt mich der Ekel über diesen Vorgang und ich übergebe mich. Gleichzeitig bereue ich, dass kein Mülleimer in der Nähe ist. Ich frage mich, wie heftig Magensäure Seide zerfrisst. Es ist eben nie hübsch, wenn man sich anderen offenbart. Wenigstens habe ich dieses Mal nicht gelacht. Es wäre auch keine Freundin in der Nähe gewesen, um mich jetzt noch zu retten.
Klack: Ich warte seit Ewigkeiten bei meinem Auto. Eigentlich ist es das Auto eines Freundes, randvoll mit leeren Zweiliterflaschen. In meiner Langeweile klebe ich mit Gaffaband ein riesiges Anarchiezeichen auf die Rückscheibe, bis meine zwei Kollegen endlich kommen, um das Leergut zu einem Weinbauern zurückzubringen. Einer hat jede Menge Gras dabei. Manche Vorurteile gegenüber Dreadlockträgern sind eben doch wahr. Als wir am Weingut ankommen, empfängt uns der Winzer und überredet uns zu einer Weinverkostung seiner neuesten Werke. Bis es dunkel ist, haben wir achtzehn Fässer verkostet und ein Kollege schläft bereits im Stehen, eingekeilt zwischen zwei Fässern. Nach und nach entpuppt sich der Winzer als waschechter Nationalsozialist und wenig später prügeln wir, oder ich alleine, ich weiß es nicht mehr, uns mit dem Bauern und flüchten mit Geschrei. Es ist ein Wunder, dass wir, zum einen mit gefühlten acht Promille noch Auto fahren können und zum anderen nicht von der Polizei gestoppt werden. Das Leergut füllt noch immer den Wagen.
Klack: Sie redet und redet und redet. Ich mag sie wirklich, aber sie versteht so vieles nicht. Weder mein Desinteresse im Leben weiter zu kommen, noch, warum ich nichts aus mir mache. Auch nicht warum ich Männer neben ihr habe. Dabei ist sie für mich wirklich das unerreichbare, unantastbare Wesen, das mir die Sinne raubt, wenn sie nicht da ist und ich den Verstand verliere, wenn ich sie sehe. Ich verhalte mich wie ein Vollidiot, sobald sie in der Nähe ist, und dennoch habe ich es irgendwie geschafft, dass sie etwas für mich empfindet. Aber ich kann es einfach nicht. Ich schaffe es nicht, mich an sie zu gewöhnen. Ich ertrage ihre Nähe nicht und deshalb tue ich nichts anderes, als exzessiv unsere, nennen wir es eben Beziehung, zu zerstören. Noch während sie ihren, wahrscheinlich zurecht, wütenden Monolog rezitiert, vermisse ich sie schon und weiß, dass ich die nächsten Wochen in einer Achterbahn des Ausschweifens, Leidens und der Euphorie enden werde. Zwischen Zigarettenstummeln, leeren Flaschen und Beinen. Ich und meine Eskapaden. Ich sitze nur da und sage kein Wort. Ich glaube, sie bricht mir gerade mein Herz. Wie jeden Tag. Sie fehlt mir heute noch, aber für mich ist sie in dieser Sekunde der Mensch gewordene Tod.
Rein objektiv, klack: ich sitze in einem Keller. Khachaturians Masquerade dröhnt in die Dunkelheit, während drei Dragqueens und eine übergewichtige Lesbe versuchen eine performative Choreographie auf die Beine zu stellen. Immer und immer wieder. Dafür werde ich bezahlt. Nackte Tatsachen wunderschön aussehen zu lassen. Leider ist die Wahrheit eine hässliche Sache. Aber ich bin Masochist. Mir bereitet es mehr Freude, vergebliche Existenzen mit vergeblichen Projekten vergebens zu fördern, als einem Kleingärtner Beileid zum Tod seines putzigen Goldfisches Wittgenstein zu wünschen. Nein eigentlich doch nicht. Am besten wäre es, beide im Goldfischglas zu ertränken und Klein-Wittgenstein darf die Klospülung betätigen. Ich bin vierundzwanzig, ich habe nichts Besseres zu tun.
Klack: Er sieht großartig aus. Leider ist er Künstler, aber man sieht ihm nicht an, dass er gerade nicht auf der Bühne steht. Es gibt keinen anderen Weg, als mir Mut anzutrinken. Vergebens leider, der Punkt, an dem der Mut steht, rast an mir vorbei und alles, was mir bleibt, ist die Hoffnung, dass er genau so betrunken ist, wie ich, um mich zu vergessen. In den kommenden Wochen folge ich ihm, wann ich nur kann und beobachte ihn. Ich lerne sein Umfeld kennen und mache mich dabei zum Affen. Ich fühle mich unsicher, also hole ich mir meine Bestätigungen anderswo. Diese inzestuösen „Künstlerkollektive“ sind nicht meine Welt. Sie ermüden mich, daher stört es mich nicht, so gut wie alle zu vergraulen. Ich bin der Rowdy am Kinderspielplatz. Bei seinem heutigen Auftritt ist es dann so weit. Seine Blicke auf der Bühne erregen mich derartig, dass es nur schwer zu ertragen ist. Ich überlege sogar, schnell auf die Toilette zu gehen. Eine Stunde später sind wir mit einer kleinen Gruppe in einem still gelegten Kellergewölbe und feiern eine Privatparty, auf der er mit irgendeiner Frau herum macht. Aber kaum später liegen wir zu Viert auf einer ranzigen Couch und sehen verdammt gut dabei aus, Sex Drugs and Rockn‘ Roll zu verkörpern.
Klack: Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und scheine unfotogen zu sein. Der gute Mann muss über fünfzig Fotos von mir machen. Anscheinend fand es jemand nicht ganz so lustig, dass ich ihm vollkommen stoned erklärt hatte, warum Gott, wenn es ihn denn gäbe, ihn als Witzfigur auf die Welt geschickt hat, es aber wiederum einen Gott geben müsse, weil so einen Scheiß wie ihn, sich keiner hätte einfallen lassen können. Nun ja, nicht nur das. Ich hatte sicher auch noch andere Thesen, die ihm nicht gefielen, aber anderen Menschen die Würde zu nehmen... seid ehrlich. Er hat mir in die Seite gestochen und danach ins Gesicht geschlagen. Er lief davon und ich blieb einfach in meiner Wohnung sitzen. Ich muss zugeben, ich war kurz perplex. Und das erste „Scheiße“ entkam mir erst, als es anfing weh zu tun. Verdammt weh zu tun. Als mir klar wurde, dass ich sterben werde, unternahm ich nichts. Keine Rettung, keine letzten Anrufe. Nicht einmal den Fernseher habe ich aufgedreht. Ich meine, hey, ich bin high gestorben. Eigentlich hat mich keiner rückblickend wirklich bemerkt, doch bei wem ist das schon der Fall. Aber zuerst, zuerst, rauche ich erst einmal meinen Ofen fertig.
Denise Kamschal
Geb.1986 in Oberstdorf, 2005 Matura am „Neusprachlichen Gymnasium der Ursulinen“ in Graz, lebt und arbeitet seitdem in Wien.
Tüftelt an Sounddesigns, richtet Projektionen aus, stellt Künstler ins rechte Licht und baut Bühnen in einer Lehre als Veranstaltungstechnikerin
im “Koproduktionshaus Wien brut”. Mag die Natur in ihren eigenen vier Wänden.
Erschienen im etcetera Nr 53/ LitArena 6 / Oktober 2013