94 / Herz&Haut / Editorial / Herz&Haut – Gedanken zum Schwerpunktthema

Fußball und Schreiben schließen einander nicht aus. Jedenfalls trifft das auf den Schriftsteller und Dramatiker Albert Ostermaier (geboren 1967 in München, Kleist-Preisträger) zu, der mit seinem Gedicht „Ode an Kahn“ berühmt wurde.
Genau genommen ist Ostermaiers Ode keine Ode, die sich an literaturwissenschaftliche Kriterien hält, doch Dichter*innen dürfen das. Der Sportlyrik Ostermaiers möchte ich an dieser Stelle keine weitere Aufmerksamkeit schenken, sondern vertiefe mich in seine zwei Lyrikbände, die unmittelbar Stoff lieferten für unser Heftthema Herz & Haut (Heft 94).
Ja man könnte meinen, Ostermaier habe so etwas wie eine
leise Vorahnung, dass Schreiben immer eng mit den Zuständen
des Körpers verwoben ist.

In „Herz Vers Sagen“ 1995, und „fremdkörper hautnah“ 1997, beide bei Suhrkamp erschienen, spielt der Autor mit den Sujets Körper, Herz und Haut. Kein simples „Herzschmerz- Gefühl“ bringt er in seinen Gedichten hervor, sondern ringt um die Eroberung der Leser*innen-Herzen. Davon spricht sein Eingangsgedicht „Ratschlag für einen jungen Dichter“
aus dem Lyrikband „Herz Vers Sagen“:

als dichter musst du wissen wie
man leute killt köpfe zwischen
zeilen klemmt sie plätten satz für
satz das ist das blei das du hast
ein gutes gedicht braucht heut
zutage einfach einen mord damit
die quote stimmt …

Wenn Worte unseren Körper verlassen und zu Material generieren, auf dem Bildschirm des Computers als Textfragment erscheinen oder auf dem Papier, treten wir in Beziehung mit der Welt. Für Ostermaier ist diese Interaktion gleichzusetzen mit dem Werben um jene Leserschaft, die dranbleibt und eben nicht zwischenzeitlich zum Pinkeln geht (wie bei Sportübertragungen im Fernsehen), sondern am Text bleibt.
Ostermaier möchte Herzen erobern mit seinen Texten (und Theaterstücken), will Körper in Wallung bringen, ein Holpern des Herzens, schweißnasse Haut und Hände, die sich klammern an Poesie, an die des Autors. Ich hefte mich an Ostermaiers Verse, an sein Gedicht „coloriert“, aus „fremdkörper hautnah“, 1997:

ja ich zog rum hab mich zum
narren gemacht mein ehrgeiz
ging in lederjacken den kragen
hoch im nacken das herz
gepanzert mit tabak war
aus noch härterem leder …

Gepanzert gegen die Zumutungen der Außenwelt: Davon erzählen die Gedichte Ostermaiers, spiegeln seine Gedanken, verändern diese wiederum.

Mit „Herz Vers Sagen“ (1995) traf mich der Autor mitten ins Herz. Genauer gesagt die Titelgebung seines Lyrikbandes, denn sie passte zur gegenwärtigen Ausnahmesituation.
Das zweimalige Herzversagen meines Vaters brachte mein Herz ins Stolpern. Sein Schlaganfall, der die Sprache zum Verstummen zwang, löste Erinnerungen aus in mir. Erinnerungen an zurückliegende Gespräche, an Leerstellen und Zwischenräume, in denen die Sprache damals fehlte, obwohl sie vernehmbar war, jedoch in anderer Form.

Mit dem Schreiben lassen sich Gedanken außerhalb des Körpers festhalten. Und mit dem Schreiben verändert sich vieles. (Hörst du die Signale?/ ZEIT WISSEN Magazin 6/17). Lorenz Engell, Professor für Medienkultur an der Bauhaus- Universität in Weimar, betont: Wir befinden uns immer in einem Spiel mit dem Außen, mit dem Früher oder Später, verkörpert durch die Schrift (ZEIT WISSEN Magazin 6/17).

Mit unserem Schreiben ordnen sich die Gedanken, passieren nicht gleichzeitig wie beim Fühlen oder in einem Bild. Diesem Ordnen der Gedanken beim Schreiben folgt die Autorin Jelena Semjonova-Herzog, wie es sich in ihrem Gedicht „Zwischen Himmel und Erde“ spiegelt: Zitat:

Von einer seltsamen Stimmung ergriffen
spüre ich, wie sich in mir
Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft treffen.

Das vorliegende Schwerpunktheft entstand aus der sorgfältigen Auswahl aus über achtzig Einsendungen. Ich hoffe, Sie finden Ihr Lieblingsgedicht oder einen Prosatext, der Herzen berührt und auch nach Tagen noch nachklingt.

Cornelia Stahl