55/verloren/Interview: Eva Riebler-Übleis im Gespräch mit Christian Gmeiner
Eva Riebler-Übleis im Gespräch mit
Christian Gmeiner
Christian Gmeiner im Interview anlässlich der Ausstellung „Erinnern“ im DOKU, Prandtauerstr. 2, St. Pölten im Jänner 14. Die Fragen stellte Eva Riebler
Wie entstand die Idee zu dieser Ausstellung ERINNERN?
Da es so etwas in NÖ auf diese Weise noch nicht gab, wollte ich die aktuelle Erinnerungskultur mittels künstlerischer Objekte und Dokumentationen von Interventionen im öffentlichen Raum gemeinsam und übersichtlich präsentieren. Wichtig sind mir verschieden wirksame und interessante Projekte.
Wie wähltest Du die Teilnehmer für diese Ausstellung?
Die Auswahl trafen für’s erste junge Kunststudierende. Sie bekamen von mir sehr viele, auch internationale Beispiele für die aktuelle Erinnerungskultur vorgestellt und haben daraus ausgewählt und mit den jeweiligen Künstler*innen persönlich Kontakt aufgenommen. Daraus ergab sich ein Nebeneinander von arrivierten Künstler*innen, wie z.B. Ulrike Truger, Bele Marx und Gilles Mussard, Leo Zogmayer, Norbert Maringer, Hans Kupelwieser und jungen aktiven Künstler*innen. Wichtig ist auch die Eigeninitiative aller Beteiligten, so können Sie diese Ausstellung auch als spezielle Intervention sehen. Ich hatte mir aber vorbehalten, weitere Positionen zu ergänzen und habe dies auch entsprechend durchgeführt.
Wie siehst Du die Verbindung zwischen dem Thema ERINNERN und dem Thema unseres etcetera-Heftes VERLOREN?
Es gibt „Schweigestellen“ in der Gesellschaft. Daher schaffe ich seit Jahren eine neue Erinnerungskultur und stellte an verschiedenen Standorten Stahlskulpturen auf und schaffe ein Forum für didaktische Begleitung. Unter anderem beim Projekt „MOBILES ERINNERN“, bei dem es um die Todesmärsche ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter*innen gegangen ist. Elfriede Jelinek schrieb einige Jahre später das Theaterstück über die Ermordung von Juden am Anwesen von Margit v. Batthyany in Rechnitz., Peter Turini nimmt 2007 das Thema „Todesmarsch der jüdischen Ungarn im Theater „Jedem das Seine“ auf. Der St. Pöltner Historiker, Manfred Wieninger, verfasste einen sehr interessanten, historisch belegten Kriminalroman über das SS-Massaker an jüdischen Familien im Mai 1945 in Persenberg. Dieses Geschehen schien aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verloren gegangen zu sein. Durch den Auftrag des St. Pöltner Bürgermeisters Stadler anlässlich meines Projekts „Mobiles erinnern“ in St. Pölten, ist über das Zwangsarbeiterlager ungarisch-jüdischer Familien in Viehofen erstmals geforscht worden. Beim gleichzeitigem Symposion im St. Pöltner Rathaus kam das Persenbeuger Massengrab im St. Pöltner jüdischen Friedhof durch PD Dr. Eleonore Lappin Eppel zur Sprache und die neuen Forschungsergebnisse über das Lager präsentierte Mag. Manfred Wieninger. Weiters wurde ich auch vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst beauftragt, als Netzwerkkoordinator für „erinnern. at“ im Bereich Niederösterreich meine Ideen, planerische Arbeit und Projekte einzubringen. Vieles, was aus dem Bewusstsein verloren schien, ist in der Ausstellung präsentiert: die Arbeiten anderer Künstler und Künstlerinnen sind auch für viele junge Studierende anregend wie Schwarz-Weiß-Fotos vom Jüdischen Friedhof oder Vergrößerungen von Lagerbriefen von 1944/45. Verlorene Bücher gab es bereits unter Dollfuß. Er ließ politisch unliebsame Werke im Traunsee versenken. Spannend ist auch der Bezug Ulrike Trugers zum Tod Oma Fumas. Sie hat ihm in ein Denkmal gesetzt, das Sie ausnahmsweise mit der Flex und nicht händisch herstellte, um die Grausamkeit und Brutalität zu betonen, wie sie sagt.
Erklärst Du Deine zwei Projekte, die in dieser Ausstellung im DOKU-Center des Stadtmuseums St. Pölten zu sehen sind, näher?
Aus dem Jahre 2000 stammt das Projekt STALAG VX B Krems-Gneixendorf. Das war das zeitweise größte Kriegsgefangenenlager im 2. Weltkrieg auf deutschem Boden. Etwa 65.000 Kriegsgefangene, man stelle sich das mal vor, waren dort teilweise interniert und auch die Außenlager wurden dort verwaltet. Im Lagerfriedhof wurden nach Kriegsende Franzosen, Engländer und Amerikaner exhumiert, hier kamen auch 1564 „Russen“ ums Leben. Etwa 50 % aller gefangenen Sowjetsoldaten starben in Gefangenschaft. Da ich erstmals von ehemaligen Kriegsgefangenen in Frankreich davon erfahren habe, obwohl ich in Krems aufwuchs und auch zur Schule ging und nichts darüber hörte, war mir das Thema in Zusammenhang mit Waldheim, Haider, Krenn,…ein Anliegen. Ich setzte Zeichen in Form von sechs Stahltafeln, eine bei der ehemaligen Einfahrt ins Lager mit der Aufschrift „ERINNERN“ in den 12 Sprachen der damaligen Kriegsgefangenen. Sie können bei der Zufahrt zum Flugplatz diese Stahlstele sehen. Den Lagerfriedhof kennzeichnete ich, der bis dahin auch als Müllablagestätte verwendet wurde, obwohl aus verschiedenen osteuropäischen Staaten dort noch immer Tote bestattet sind. Sie sehen in Gneixendorf weitere vier quadratische Tafeln an den Ecken des ehemaligen Lagers, jeweils einen Kilometer voneinander entfernt, ein Fragezeichen mit dem Text STALAG VXII B. Mir war dabei wichtig, dass jeder und jede Einzelne aufgerufen ist, nachzudenken und zu hinterfragen, was mit dem ehemaligen Kriegsgefangenlager im Zusammenhang steht. Ich organisierte auch mit Schüler*innen, Studierenden und Lehrenden Exkursionen und Vorträge vor Ort, da gerade sie am stärksten in die Gesellschaft dieses Thema wirkungsvoll einbringen können. Im Zusammenhang mit dem Viertelfestival war bei den drei von mir organisierten Veranstaltungen („Walk-around“ am Gelände; Rathaus Krems Dokumentationsausstellung; Filmvorführung Billy Wilders STALAG 17) sehr großes Interesse am Thema sichtbar. Es wurde in den Medien reichhaltig und professionell darüber berichtet. Mein zweites präsentiertes Projekt ist „MOBILES ERINNERN“ und war zwischen 2004 und 2009. Von Ungarn – Slowakei – Österreich - Israel, auf etwa 40 Standorte bezogen, genau dort, wo ungarische Jüdinnen und Juden gegen Kriegsende ermordet wurden. Für mich war wichtig, dass die „Erinnerung vor Ort“ wach gehalten wird und nicht auf bestimmte Orte wie Ausschwitz, Mauthausen,… fern der eigenen Lebensbezüge angesiedelt wird. Das für mich wichtige war, dass ich durch die mobile Stahlplastik das Thema Todesmarsch „vor Ort“ sichtbar machen konnte und durch zahlreiche Symposien mit Expert*innen und Politiker*innen Denkprozesse auslösen konnte. Nicht zuletzt hat ein Begleittext des Bundespräsidenten Thomas Klestil Politiker*innen in kleineren Orten von der Wichtigkeit der Erinnerung überzeugen können. Viele, nahezu an allen Orten, an denen ich damit war, sind Privat- und Schulinitiativen entstanden. Zahlreiche Gedenktafeln, künstlerische Gestaltungen sind dort in der Zwischenzeit entstanden.
Wie viele Jahre Deiner künstlerischen Tätigkeit hast Du diesen politischen Projekten gewidmet?
In den letzten 15 Jahren habe ich besonders aktiv im öffentlichen Raum zum Thema NS-Zeit und verdrängte Geschichte gearbeitet. Für mich war wichtig zu zeigen und klären, wie uns die Erziehungsmuster und die schmerzliche Vergangenheit unserer Gesellschaft prägen. Wir sind, wie ich hoffe, Reflektierende ….
Du stelltest Dein Erinnerungstafeln an 30 verschiedenen Orten aus und sammeltest die Reaktionen der Bürgermeister und Bewohner. Wo hattest Du die negativsten Erfahrungen?
In Bratislava hatte ich nach dem Gedenken mit den Behörden große Schwierigkeiten, da der Bürgermeister plötzlich nicht mehr für das Erinnern an Juden war, obwohl er vorher angekündigt hat, eine Rede zu halten. Er ging dann sogar soweit, dass ich eine enorm hohe Strafe bezahlen sollte, da er der Meinung war, dass ich die Stahlplastik einen halben Meter vom ursprünglichen Platz entfernt auf die Wiese gestellt hätte und das Gras dadurch verbogen wurde. Das war auf einem großen Parkgelände im Stadtteil Petržalka und hätte keinerlei Gefährdung mit sich gebracht. Mir hat auch niemand ganz genaue Anweisungen über den Aufstellungsplatz zukommen lassen. Nur durch die Intervention des österreichischen Botschafters wurde alles positiv geregelt. In Strasshof hatte ich vom Bürgermeister zynische E-Mails bekommen. Er wollte das Gedenken vorerst nicht, obwohl ein riesiges Lager im Ort war, und dort viele ums Leben kamen. Sein späterer Interview 10 Verloren|März 2014 Vorschlag war, dass wir am 20. April, an Hitlers Geburtstag, meine Stahlplastik aufstellen sollten. Irene Suchy hat in ihrem interessanten Buch „Strasshof an der Nordbahn - Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung“ auf diese unglaubliche Kommunikation Bezug genommen. In Bruck an der Leitha wurde mein Objekt „Mobiles Erinnern“ bewusst beschädigt. Auf einige Zettel gekritzelte Texte waren rechtsradikale Sprüche lesbar. Es kam zur Anzeige, die auch die Stadt unterstützte.
2005 warst du in St. Pölten, ich glaub am Riemerplatz. Wie war die Reaktion hier auf das Erinnerungs-Projekt?
Die Reaktionen waren sehr positiv. Im Briefkasten neben dem Objekt waren interessante Texte zu lesen. Unter anderem erhielt ich Kenntnis, dass seitdem das Interesse an Geschichte gewachsen ist und das Institut für jüdische Geschichte bei Veranstaltungen mehr Besucher*innen zählt. Der ORF brachte einen Beitrag, ebenso die Zeitungen. Politiker*innen waren von nahezu jeder Partei am Wort. Großartig fand ich, dass die Stadt St. Pölten im Rathaus ein Symposion mit einer dafür neu entstandenen Publikation veranstaltet hat.
Ist die Verantwortung des Künstlers eine größere?
Für‘s erste glaube ich, dass jede und jeder Mensch gleich viel Verantwortung für ein gedeihliches Miteinander trägt. Dazu gehört eben auch Erinnerung und dazugehörige Schlussfolgerungen bzw. bewusste Handlungen daraus. Der Künstler kann vieles schneller sichtbar machen. Viele sind, wie ich meist denke, sensibler, nehmen sich mehr Zeit für essentielle Fragen. Nehmen auch Abstand vom Alltag, dadurch kann vieles für einen berührender, erlebbarer und entsprechend sichtbarer sein.
Ist Deine Zeit als Projektkünstler beendet und führst Du als Maler Deine figuralen Bilder der früheren Jahre weiter?
Meine Malerei betreibe ich, wie seit langem, konsequent und ohne Spekulation auf kurzzeitige Trends und Medienwirksamkeit. Meine Arbeiten sind in verschieden Galerien und Sammlungen präsentiert und ich werde immer wieder zu Ausstellungen und Katalogbbeiträgen eingeladen. Durch eine radikale Veränderung in meinem Privatleben, merke ich sehr deutlich, wie sehr die Malerei für mich unverzichtbar und existenziell tragfähig ist. Ich habe mich ja gegen alle Trends als junger Maler für figurale Malerei entschieden und baue konsequent meine Möglichkeiten weiter aus. Meinen meist sehr spannenden Weg kann ich so intensiv erleben. Projekte im öffentlichen Raum sind sehr zeitaufwändig und müssen natürlich genauestens überlegt sein, ob es dafürsteht. Bislang habe ich aber immer wieder diesbezüglich Herausforderungen gesucht, angenommen und umgesetzt. Ich werde künftig sorgsamer und effizienter mit meiner Zeit umgehen.
2005 warst Du mit Deiner „Mobilen Erinnern“ in St. Pölten. Wie würdest Du hier vergleichsweise mit Hartberg in der STMK aufgenommen?
Mag. Pulle hat im Auftrag des Bürgermeisters sehr professionelle Organisationsarbeit geleistet, ebenso Mag. Wieninger bei seinen Recherchen und Neuentdeckungen. Die wichtigsten Persönlichkeiten waren vor Ort und haben auch Beiträge gebracht. In Hartberg hat sich der Pfarrer einige Tage vorher plötzlich von dem Gedenken distanziert, die Gemeinde allerdings ein Symposion zugesagt, welches sogar auf Grund des großen Interview-Interesses wiederholt wurde. Wie ich denke, kann so ein Widerstand das Gegenteil bewirken, besonders erfreulich für mich war, dass die Bildhauerin Ulrike Truger und der Schriftsteller Martin Pollak sehr viel Interesse daran gezeigt haben und interessante Statements abgaben.
Am Riemerplatz waren für 3 Wochen die Exponate, sprich Erinnerungsobjekt ausgestellt. Wie war die Akzeptanz der Stankt Pöltner Bevölkerung?
Nun, im Moment kann man nur aus vielen, schon erwähnten Fakten Schlüsse ziehen. Die gefundenen Zettel waren positiv, für das Projekt zu verstehen. Habe im Laufe der letzten Jahre diesbezüglich Anfragen bekommen und auch diesbezüglich publiziert. Im Internet findet man Näheres insbesondere Schlussfolgerungen unter http://www.erinnern.at/bundeslaender/ niederoesterreich/institutionen-projekte/projekt-mobileserinnern
Christian Gmeiner
Geb. 1960 in Wien, Studien: Kunstpädagogik Kunst und kommunikative Praxis (Lehramt Bildnerische Erziehung) Design, Architektur und Environment für Kunstpädagogik (Lehramt Werkerziehung). Meisterklasse Malerei und Grafik: (Eric Van ESS). Ausbildung für Kamera und Filmregie Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz und Hochschule für angewandte Kunst, Wien. Lehrtätigkeiten in Wien und Krems und Dozententätigkeiten in Europa und USA.
Interview „Erinnern“ im DOKU, Prandtauerstr. 2, St. Pölten im Jänner 14. ©Fotos DOKU
Erschienen im etcetera Nr. 55 / verloren / März 2014