55/verloren/Interview: Johannes Schmidt im Gespräch mit dem Heftkünstler Norbert Gmeindl

Johannes Schmid im Gespräch mit
Norbert Gmeindl

Im Jänner 2014 führte Johannes Schmid mit dem Maler und am Stiftsgymnasium Melk tätigen Norbert Gmeindl ein Gespräch.

Wann wurdest Du Dir Deiner künstlerischen Begabung bewusst?
Ich fühle mich nicht besonders begabt, ich zeichne einfach gerne. Es gibt unter den Schülern einige, die nicht minder gut zeichnen können. Es war für mich ein großer Erfolg, in die Akademie der bildenden Künste aufgenommen worden zu sein. Es ist immer schwierig, sich selbst einer Begabung zu rühmen; dies muss von außen geschehen.

Hat Dich jemand auf Deinem Werdegang als Künstler besonders gefördert?
Meinen Eltern blieb meine Neigung nicht unentdeckt. Meine Mutter hat von mir 500 Kinderzeichnungen gesammelt. Ich durfte als Bub die Decke meines Zimmers künstlerisch gestalten. Mein Zeichenprofessor im Gymnasium war ein ausgezeichneter traditioneller Zeichner und Maler. Unser Verhältnis war gewissermaßen neutral. Als Volksschüler habe ich geglaubt, ich müsste selbst ein Buch schreiben, um dieses zu illustrieren. Denn zu Hause standen viele illustrierte Bücher. Später natürlich erkannte ich, dass man den Beruf des bildenden Künstlers unabhängig vom literarischen Schaffen ausüben kann. Nach dem zweiten Studienjahr stand mir mein Professor Melcher auf Grund meiner Arbeitshaltung kritisch gegenüber. Letztlich aber gewann ich einen der Abgangspreise. Man hätte mir zeigen müssen, wie man im Kunstbereich Fuß fassen kann. Ich bin nicht imstande, aus meiner Kunst Kapital zu schlagen. Ich bin in dieser Hinsicht nicht aktiv genug.

Hat es einen speziellen Grund, dass Du Dich vor allem der Tuschzeichnung widmest?
Mit dem Tuschestift lässt sich besonders präzise arbeiten. Ich liebe auch die Reproduzierbarkeit. Letztlich ist diese Vorliebe aber unerklärlich. Manchmal, eher selten, zeichne ich etwas vor. In der Regel aber arbeite ich, ohne vorzuzeichnen. Lediglich komplizierte Figuren entwerfe ich auf einem anderen Blatt. Mir behagt das Präzise und Harte des Tuschestifts. Ich würde gerne aber auch große Arbeiten machen. Dies verhindern aber die Lebensumstände. Wohin damit? Ich habe die Räumlichkeiten nicht. Doch muss ich sagen, ich habe einen Zeichenzwang; ich zeichne immer und überall. Technisch interessiert mich schwarz-weiß. Zu Beginn einer Zeichnung bin ich mir des Themas und der Ausführung nicht immer bewusst. Ich lasse mich während des Zeichnens selbst überraschen. Bei einigen Arbeiten habe ich dies dokumentiert, indem ich von jedem Arbeitsschritt Kopien gemacht habe. Oft muss ich mich entscheiden, welche Richtung ich bei meiner Zeichnung nehmen soll. Dies erklärt auch die Wiederholung gewisser Elemente. Ich gestalte verschiedene Varianten eines Themas, lote Möglichkeiten aus. Ich bin jemand, der intensiv in Büchern blättert und Ausstellungen besucht und von dort Anregungen empfängt.

Dein Thema ist unverkennbar der Verfall? Sind Verfall und Untergang für Dich Faszinosa, die Dein Weltbild bestimmen?
Ja. Ich war auch in einer Musikgruppe und habe dafür kleine Heftchen produziert, in denen das Thema Verfall ebenfalls thematisiert wurde.

Du befasst Dich intensiv auch mit Völkerkunde?
Welchen Einfluss auf Dein Werk hat das Studium der Kultur vor allem indianischer Völker?

Dies hängt mit den vielen Büchern zusammen, die mein Großvater über verschiedene Kulturen und Reiseberichte hatte. Mich interessiert die materielle Kultur, vor allem Nordamerikas, des pazifischen Raums und Sibiriens. Hinzu kommt jetzt Zentraleuropa, alpines Brauchtum. Die Frage nach dem Ursprung ist für mich dabei von Interesse. Woher kommen zum Beispiel gewisse Umzüge, Perchtenläufe? Das zweite Interesse gilt der Spätrenaissance, dem Manierismus, der phantastischen Kunst früherer Epochen. An der Völkerkunde interessiert mich auch, wie sie in Europa rezipiert wird, z. B. in Comics. Aufnahme, Berichterstattung, populäre Umsetzung, Transformation in eine triviale Kultur sind Gegenstand meiner Auseinandersetzung. Viele Elemente in Deinem Schaffen scheinen Archetypen wiederzugeben? Hast Du Dich mit der Psychologie C. G. Jungs auseinandergesetzt? Ich habe mich mit keiner Psychologie oder Philosophie befasst, die Archetypisches zum Gegenstand hat. Meine Kenntnis hierüber habe ich aus Märchen, Sagen und Comics. In meinen Zeichnungen kommen keine Individuen vor, sondern archetypische Gestalten oder Typen, das ist sicher richtig. So der scheiternde Held. Auch in den Comics sind die Figuren stereotyp, scharf konturiert, exemplarisch. Sollen Deine Figuren in den Grafiken „Verlorene ” darstellen? Verlorene? Ja, vielleicht, aber nicht ausdrücklich. Es könnte aber schon ganz gut zum Titel eurer aktuellen Ausgabe passen. Figuren in zuweilen ungewöhnlichen, auch aufregenden Situationen. Vieles nicht so bedeutungsschwer, eher befremdlich, absurd und komisch. Zumeist ist nichts entschieden: Bedrohte oder Bedrohende, Schlafende oder doch Tote. Stellen für Dich Weltuntergang, die Anarchie und die Sintflut vorherrschende dauerhafte Themen dar? Ich seh das Alles gar nicht so negativ. Verfall, zerbröckelnde Mauern, aber auch Fossilien, gestrandete und geborstene Schiffe und Archen, aber auch aus ihren Trümmern gebaute Hütten und primitive Paläste. Einsame Landschaften unterm Sternenhimmel, Rauch aus verloschenen Feuern oder Vulkanen. Vieles verdankt sich dem Medium Schwarz-Weiß-Zeichnung, das einem diese Themen geradezu aufdrängt, und entsteht erst während der Arbeit.

Ist die Welt Deiner Figuren immmer schon eine feindliche, hoffnungslose und somit eine verdammte gewesen? Oder gab es „bessere Zeiten“ und daher schmerzt der Verlust besonders?
Es gab vielleicht bessere Zeiten, die sich aber zunehmend verkomplizierten und pervertierten und ihr Verlust schmerzt gar nicht so besonders. Die Welt meiner Zeichnungen ist eher melancholisch in einem grüblerischen und assoziativen Sinn. Ich bin ja einer der Musikgruppe 8 ODER 9 und habe früher für unsere seltenen Auftritte kleine kopierte Heftchen herausgebracht. Das Unernste und das Pathetische lagen da eng beieinander : 8 ODER 9 lieben die Vergänglichkeit und ihr eigenes langes Leben.

Du bist in einem Jahrhundert geboren, in dem zwei Weltkriege stattfanden und die Zerstörung der Natur ein ungeahntes Ausmaß angenommen hat. Ist Deine Darstellung des Verfalls eine Reaktion darauf?
Ja. Meine Darstellungen zeigen nicht Hoffnungsloses, sondern eben Vergänglichkeit. Wenn es mir selbst schlecht geht, vermag ich den Verfall nicht darzustellen, dann kann ich eben keine Totenschädel zeichnen. Wie ich einen Tumor hatte, war dies über längere Zeit der Fall. Ich brauche eine gewisse Distanz. Der Sinn meines Schaffens liegt darin, mein Leben zu bewältigen. Ich fühle mich am lebendigsten, wenn ich mit meiner Frau verreise. Dann zeichne ich nicht stundenlang; dies tue ich unter dem Jahr.

Wie beurteilst Du den gegenwärtigen Kunstbetrieb in Österreich?
Werden die Künstler unseres Landes ausreichend gefördert und werden die richtigen Künstler gefördert? Ich kann dies nicht wirklich beurteilen. Was mich irritiert, ist das Gebaren der großen Museen. Viele Ausstellungen sind einfach zu dürftig. Als Museum würde ich mich darauf konzentrieren, eine solide und umfassende Dauerausstellung zu installieren. Mich stört auch die unablässige Neuordnung der Objekte. Es gibt zu wenig Beständigkeit. Ich liebte früher das NHM besonders, am Vormittag waren viele Säle leer, mir gefielen die historischen Vitrinen mit Saurierzähnen usw., auf belehrende Schautafeln kann ich verzichten. Besonders schmerzlich empfinde ich den Zustand des Völkerkunde- jetzt Weltmuseums. Es ist eines der bedeutendsten der Welt; es beherbergt z. B. die Sammlungen von Cook und Natterer, Objekte von den Osterinseln und vieles mehr. Dies alles ist nicht mehr zu sehen. Nur mehr der Penacho, die altmexikanische Sammlung aber lässt sich nicht besichtigen. Dieser Zustand währt schon länger als zehn Jahre. Man stelle sich vor, man geht ins KHM und findet keinen Holbein oder Rembrandt mehr. Du bist Gymnasiallehrer. Erlebst Du den schulischen Alltag als Bereicherung oder eher als Einschränkung Deines Künstlertums? Was ich als positiv befinde, ist, dass mir der schulische Alltag eine gewisse Struktur gibt. An freien Tagen produziere ich nicht mehr als an Schultagen. Zeichnen ist für mich ein Ausgleich zum schulischen Alltag, vielleicht auch eine gewisse Korrektur. Hat die Schule die Möglichkeit künstlerisch begabte Jugendliche ausreichend zu unterstützen? Allein die Existenz des Faches ist schon eine Art der Förderung. Man findet immer Schüler, die sich für ein Fach, so auch für bildnerische Erziehung begeistern und einen künstlerischen Beruf ergreifen. Welche Projekte planst Du für die nächste Zukunft? Ich möchte ein Buch mit meinen Zeichnungen herausgeben. Ich gehe unter vor Büchern, daher mein Wunsch selbst auch zu publizieren.

Ausstellungen (Auswahl)
2006 „Wo warst Du? All Ambra”, Kunstpavillon, Innsbruck
2006 Galerie Altnöder, Salzburg
2008 „klein+fein”, Galerie Altnöder Salzburg
2009 Tat Eve, Forum Stadtpark, Graz
2009 Zauber der Zeichnung (Zeichnungen in Österreich 1946-
2009), Galerie im Lanserhaus, Eppan (Italien)
2010 Wir wohnen, Kunstraum NOE, Wien
2010 Tonto#12-Nordpol, Künstlervereinigung MAERZ, Linz
2010 Wir wohnen, Kunstraum NOE, Wien
2010 „Mentalität Zeichnung”. Zeichnung in Österreich 1970-2010,
RLB Kunstbrücke, Innsbruck
2012 Melk Alte Post/Solo

Norbert Gmeindl, seit Kindheit ein manischer und wohl auch verträumter Zeichner und Gestalter, verzaubert zu hoher Inspiration und Imagination. Flugsaurier, Mammut und Zauberinnen ziehen in seinen Bildwelten ihre magischen Kreise. An Gmeindls Orten der Zuflucht treffen mythische Elemente an seltsamen Kultstätten in einem zeitlosen Jetzt aufeinander. Er umkreist in seinen Objekten und kleinformatigen Tuschezeichnungen das Unheimliche, Verträumte, Romantische, manchmal auch Herzzerreißende - voll Sehnsucht nach einer Welt, die nicht im Hier und Jetzt verankert ist.

Erschienen im etcetera Nr. 55 / verloren / März 2014