57/konkrete Poesie/Interview: Ernst Punz im Gespräch mit Franzobel
Melker Wunder - Sozialkrimi Metropolis
Interview mit dem Autor Franzobel anlässlich der Premiere seiner Bühnenfassung des Stummfilmklassikers Metropolis von Fritz Lang bei den Sommerspielen Melk am 18. Juni 2014. Das Interview führte Ernst Punz.
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Fotos Wachaukultur: Franzobel und Ernst Punz |
Diese Ausgabe der Zeitschrift „etcetera – Literatur und so weiter“ widmet sich der „Konkreten Poesie“. Eine Legende besagt, ihr Künstlername sei anlässlich eines Fußballspieles zwischen Frankreich und Belgien entstanden, bei dem sie sich von der Bildschirmeinblendung „Fran 2:0 Bel“ zu Franzobel inspirieren haben lassen. Haben oder hatten sie in ihrem vielfältigen Schaffen mit „Konkreter Poesie“ zu tun?
Über meinen Namen gibt es zahlreiche Legenden, die mit dem Fußballspiel ist eine davon. Ich liebe es, verschiedene Lebensläufe zu schreiben, weil ich mich als lernfähiger, aber auch inhomogener Mensch betrachte. Zwar gibt es verschiedene gut verschnürte Wahrheits-Päckchen, die seit dreißig, vierzig Jahren im Keller liegen, aber bei anderen macht es Sinn, sie manchmal aufzumachen, um zu sehen, ob die einmal gefundenen Wahrheiten noch gültig sind oder schon modern. Eines von diesen Päckchen ist die Konkrete Poesie. Ich habe mich damit einmal sehr intensiv beschäftigt, Jandl, Heissenbüttel, Heimrad Bäcker, Priessnitz und die Wiener Gruppe waren lange Zeit meine Fixsterne, aber irgendwann muss man sich auch davon lösen, eigene Wege finden.
Wie war das eigentlich, als sie vom Intendanten der Sommerspiele Melk, Alexander Hauer, gefragt wurden, ob sie den weltbekannten Stummfilmklassiker Metropolis für die Bühne adaptieren wollen? Hat ihr Herz einen Luftsprung gemacht oder haben sie zuerst einmal tief durchgeatmet?
Ich war zwar nicht mehr ganz so jung, aber ich brauchte das Geld. Meine finanzielle Lage ist selbst nach über zwanzig Jahren freischaffender Schriftstellertätigkeit und zahlreichen Preisen und Stipendien noch immer nicht so, dass ich einen Auftrag ablehnen oder mir alles aussuchen kann. Daher habe ich jetzt einen Krimi geschrieben, Wiener Wunder, um einmal etwas mehr Bücher zu verkaufen. Metropolis hat mich aber immer ungemein fasziniert, insofern habe ich durchaus einen kleinen Luftsprung gemacht.
Fritz Lang hat Metropolis nach dem Roman seiner damaligen Frau Thea von Habour verfilmt. Da es damals noch keinen Tonfilm gab, musste er den meisten Text in Bilder umwandeln, abgesehen von den gelegentlichen schriftlichen Zwischentiteln. Sie sind nun den umgekehrten Weg gegangen. Haben sie den Roman gelesen, bevor sie ans Werk gegangen sind? Wie sehr haben sie sich von den Zwischentiteln leiten lassen?
Die Zwischentitel waren so etwas wie Bojen, die es zu erreichen galt. Ein paar sind davon wohl auch im Stück geblieben, andere wurden während des Schreibprozesses versenkt. Den Roman habe ich gelesen. Es gibt zwei, drei kleine dramaturgische Wendungen, die mir im Roman besser gefallen haben, aber insgesamt hat der Lang das schon sehr gekonnt extrahiert. Der Roman ist ja noch viel überfrachteter.
In Metropolis bringt die schöne junge Frau Maria den Helden Freder dazu, sich für die unterdrückten Menschen in der Unterstadt einzusetzen. Später wird Maria gekidnappt, in einem Keller eingesperrt (sic!) und von einem Wahngenie zur Femme fatale Maschinenmaria geklont. Im Unterschied zum Film spalten sie in ihrer Bühnenfassung Maria nicht in zwei Menschen auf, sondern lassen sie als ein Wesen mit verschiedenen Merkmalen auftreten, derer sie sich auch selbst bewusst ist. Was wollen sie den Menschen, insbesondere den Frauen, mit diesem modernen Ansatz sagen?
Nun, die Entscheidung Maria und Maschinenmaria mit nur einer Schauspielerin zu besetzen, wurde gemeinsam mit Regisseur Alexander Hauer getroffen. Wir fanden es letztlich spannender zu zeigen, dass beide Aspekte in einer Person vorhanden sind. Im Film werden ja auch beide Rollen von Brigitte Helm verkörpert. Die Grundaussage bei Fritz Lang, dass Frauen sowohl Huren als auch Heilige sind, ist aus heutiger Sicht problematisch. Ich habe versucht, das zwar zu übernehmen, aber mit kleinen Brüchen zu hintertreiben.
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v. l. n. r. Franzobel (Bühnenfassung), Alexander Hauer (Regie und Künstlerische Leitung) und Thomas Gansch (Musik für das Stück Metropolis) |
Es gibt Regisseure, die wollen Autoren auf keinen Fall bei den Proben dabei haben, andere wieder bedingen sich deren Anwesenheit sogar vertraglich aus. Arbeiten sie gerne auf der Bühne mit oder lassen sie es mit dem Schreiben bewenden? Wie war das mit Alexander Hauer bei den Sommerspielen Melk?
Ich bin bei Proben nie anwesend, das ist mir zu nervenaufreibend. Ich arbeite gerne mit Regisseuren am Text, gebe das Kind dann aber aus der Hand und komme erst zur Premiere. So war es auch in Melk.
Wenn sie für die Bühne schreiben, haben sie da bereits ein Kopftheater vor ihrem geistigen Auge laufen oder sehen sie nur die Buchstaben auf dem Papier oder dem Bildschirm?
Ich höre die Stimmen der Figuren und habe von einigen Szenen auch ungefähre Vorstellungen. Beim Romanschreiben ist das anders, da sehe ich die Personen und Szenen meist sehr genau vor mir.
Wenn sie in Melk Regie geführt hätten, hätten sie etwas anders gemacht? Wie sehr sind sie mit Alexander Hauers Inszenierung zufrieden oder unzufrieden?
Diese Frage habe ich mir nie gestellt, weil ich keine Ambitionen zur Regie habe. Mit der Inszenierung war ich sehr zufrieden. Es gab bei sehr vielen Vorstellungen Standing Ovations, Fußgetrampel und Bravo-Rufe, da bekommt man schon etwas Gänsehaut.
Metropolis bei den Sommerspielen Melk war vermutlich ein Meilenstein in ihrem künstlerischen Schaffen. Wollen sie weitere Stummfilme „zur Sprache bringen“? Woran arbeiten sie derzeit?
Es gibt ein paar weitere Stummfilme, die sich anböten, aber das hängt von den Theatern und den Stoffrechten ab. Momentan arbeite ich am zweiten Krimi. Nachdem „Wiener Wunder“ den Dopingsumpf im österreichischen Sport thematisiert, aber als Krimi konventionell gebaut ist, weil ich nicht sofort das Genre revolutionieren wollte, was bei den meisten Lesern sehr gut ankommt, hat der zweite Krimi die Mühl-Kommune zum Thema und soll formal etwas exponierter werden.
Ihre Frau Maxi Blaha ist Schauspielerin, hat zuletzt bei den Gutensteiner Raimundspielen die Fee Lacrimosa in einer modernisierten Inszenierung von Der Bauer als Millionär gespielt. Wie befruchtend wirkt sich ihre Partnerschaft auf ihr jeweiliges künstlerisches Schaffen aus? Kritisieren sie einander? Ist ihnen die Meinung ihrer Frau für ihre Werke wichtig?
Maxi ist meist meine erste Leserin und ihre Meinung gilt mir sehr viel. Umgekehrt helfe ich ihr oft bei der Rollengestaltung. Künstlerisches und Privates sind nicht getrennt, was auch unser beider Lebenseinstellung ist, wir leben für und mit und von der Kunst. Es ist ein großes Glück, wenn man sich austauschen kann, aber auch Verständnis bekommt, wenn einmal eine intensive Arbeitsphase alles andere überlagert oder man zweifelt oder man zu viel Erfolg hat oder es gar nicht gut läuft.
In dieser Ausgabe von „etcetera“ sind auch Texte zum Thema Kafka zu lesen, die bei den jährlichen Schreibtagen der Literarischen Gesellschaft St. Pölten in Drosendorf im Waldviertel entstanden sind. Sie haben selbst eine Komödie namens Kafka geschrieben. Worum geht es darin, was bedeutet ihnen Kafka und finden sie ihn auch so lähmend, wie die meisten unserer Zeitgenossen oder entdecken sie bei ihm auch Belebendes und Befreiendes?
Mein Kafka-Stück ist fast zwanzig Jahre alt. Ich habe damals seine Tagebücher gelesen und war erstaunt, wie lustig der Kerl sein konnte, was dann auch die Grundmotivation für das Stück war: einen lustigen Kafka, eine tragische, aber auch lächerliche Figur, die sich ständig umbringen will, dauernd mit der Freundin Schluss macht. Ich liebe Kafka sehr, aber er gehört irgendwie ins 20. Jahrhundert.
Herzlichen Glückwunsch zum Erfolg mit Metropolis, alles Gute für den neuen Krimi und danke für das Interview.
Franzobel
Geb. 1967 in Vöcklabruck, lebt als freischaffender Fahrradfahrer in Wien und betätigt sich gelegentlich auch als Autor von Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken und Essays.
Literaturtipp: Franzobel „Metropolis oder Das große weiche Herz der Bestie“, Passagen Verlag, ISBN 978-3-7092-0128-2