84 / Waldgang / Interview / Harald Darer

Harald Darer
Literatur und Leben kann ich nicht voneinander trennen!

Cornelia Stahl interviewte 2020 den aus Mürzzuschlag stammenden Autor Harald Darer.

Welche Assoziationen verbinden Sie mit dem Thema Wald?
Als Landkind war für mich in den Wald zu gehen so selbstverständlich wie alltäglich. Ohne Grund in den Wald zu gehen, also um Wald zu baden, wie es heute heißt, hingehen unvorstellbar. In den Wald gingen wir, um die Zeit totzuschlagen. Um zu spielen, Dämme und Unterschlupfe zu bauen. Zum Pilze und Eierschwammerl suchen und um diese dann dem Dorfgreißler zu verkaufen. Mit dem Geld wurden Zigaretten und Süßigkeiten gekauft. Er war eine Parallelwelt zur engen Wohnung, zum Kinderzimmer, das wir mit Geschwistern teilen mussten, zur Schule mit ihren Klassenzimmern, die nach Plastik rochen. Diese Erinnerungen beziehen sich aber nur auf den Sommerwald.
Den Winterwald habe ich nur selten betreten, im Winter war der Wald für uns tot. Auch die Kontakte zu den Freunden schliefen in den Wintermonaten ein. Erst als im Frühling der Schnee im Wald zu schmelzen begann, tauten auch die Kontakte wieder auf. Je älter ich wurde, desto weniger ging ich in den Wald, andere Dinge wurden bedeutender und schienen wichtiger. Er wurde uninteressant und langweilig. Der Wald als Zufluchtsort hatte seine Wirkung verloren.

Als gelernter Elektroinstallateur absolvierten Sie eine Lehre und ebenso die Leondinger Akademie für Literatur. Wo haben Sie mehr Kompetenzen für das zukünftige Leben erworben?
Die Schule hatte ich abgebrochen und der Vater hat gesagt, dass man nicht zu Hause sitzt, also habe ich mich für eine Lehre entschieden. Jede Ausbildung ist eine einschlägige Ausbildung, die auf den Arbeitsmarkt zugeschnitten ist. Und die Leondinger Akademie für Literatur war erst viel später, 2009/2010 habe ich sie besucht. Die Lehre war weitgehend ohne Leidenschaft, aber die Literatur war als Jugendlicher bereits meine Leidenschaft.
Ich wollte schon immer etwas damit machen, aber ich wusste nicht wie. Die Leondinger Akademie für Literatur war für mich so etwas wie ein Einstieg in diese Branche überhaupt, um zu testen, ob ich das überhaupt kann, das Schreiben. Ich hatte da meine Zweifel.

Und worin lag die Leidenschaft? Wen haben Sie literarisch bevorzugt?
Als Kind war für mich die Literatur eine Art Lebensretterin. Begonnen hat es mit Wilhelm Busch, Erich Kästner und Ringelnatz. Es folgten Kinderbücher von Enid Blyton.

Welche Rolle spielten Bibliotheken in Ihrer literarischen Sozialisation?
In unserem Ort gab es eine kirchliche Bibliothek und eine Schulbibliothek. Wir hatten auch einen engagierten Deutschlehrer, der uns viel Freiraum ließ. Wir durften in die Schulbibliothek gehen und uns Lektüre nach unserer Wahl ausleihen. Von diesem Zeitpunkt an begann mein Interesse für Literatur.

Die Zeitschrift „Tarantel“ (Herausgeber Gerald Grassl) gehört zum Arbeitskreis Literatur der Arbeitswelt. Sehen Sie sich in der Tradition der sogenannten „Arbeiterliteratur“?
Eigentlich nicht gewollt. Ich muss sagen, dass meine Romane immer mit meinem Leben unmittelbar zusammenhängen. Literatur und Leben kann ich nicht voneinander trennen, sie sind miteinander verwoben. Von daher lag es auf der Hand, dass der Roman „Blaumann“ auch mit der Arbeitswelt zusammenhängt und von dieser erzählt. Ich hatte Lust dazu, mich mit meinem eigenen Leben als Arbeiter auseinanderzusetzen. Es geht mir immer um Beziehungen und darum, wie sich diese Umstände auf die Beziehungen und den Einzelnen auswirken. Und ich möchte schreiben, worin ich mich auskenne.

Ich komme zurück zu Ihrem Debüt „Wer mit Hunden schläft“. Könnten Sie etwas zur Entstehung sagen?
Dieser Roman ist tatsächlich in der Leondinger Akademie für Literatur entstanden. Ich hatte viele kurze Texte, wusste aber nicht, ob daraus ein Roman entstehen soll oder kann. Und damals habe ich damit begonnen, an diesem Roman zu arbeiten. Der gute Ernst (Gustav Ernst – Anm. d. Verf.), der auch die Akademie leitet, hat mir sehr viel geholfen, auch danach noch.

Können Sie sich noch daran erinnern, wie lange Sie an diesem Roman gearbeitet haben?
Zwei Jahre waren es.

Im Roman „Blaumann“ beschreiben Sie die Abgründe und das Innenleben eines Arbeiters. Was war Ihre Intention dahinter?
Ein Antriebsmotor ist auch immer die Wut, die Wut über die Verhältnisse.

Welche Wut konkret?
Na, die Wut über Arbeitsverhältnisse, wie sie damals waren und heute teilweise immer noch sind. Die Verhältnisse, vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren, waren erschwert. Heute hat sich das geändert durch die Automatisierungstechnik. Jetzt sind einige Berufe, in denen man körperlich schwer arbeitet, teilweise ausgestorben. Grundsätzlich sind der Druck und die Erwartungshaltung gleichgeblieben, beziehungsweise noch gestiegen, vor allem der Stress, dem die Leute ausgesetzt sind. Und das ist bei mir immer eine Initialzündung, für das Schreiben. Dann beginne ich meist mit dem Schreiben von Szenen, die Geschichte entwickelt sich dann beim Schreiben. Ein Romanbogen entsteht.

Welche Funktion erfüllt Literatur für Sie persönlich?
Ich konnte schon frühzeitig in eine andere Welt eintauchen. Bei uns gab es daheim wenig Literatur. Für Freunde und Familie war das kein Thema. Als Jugendlicher war es eskapistisch in eine andere Welt zu flüchten. Und beim eigenen Schreiben war es möglich eine andere Sprache zu finden und wiederum eine andere Welt.

Eine andere Sprache zu finden, wofür…?
Für die eigene Wirklichkeit. Literatur ist auch eine Übersetzung der Wirklichkeit, für die man niemals die richtigen Worte finden kann. Aber ich hatte beim Schreiben ein gutes Gefühl. Woher das kam, wusste ich nicht. Ein leeres Blatt vollzuschreiben hat mich auf eine gewisse Weise befriedigt. Ich wollte eine eigene Sprache finden, eine Sprache, die mir gefällt. Sätze, die schön sind, die nirgendwo hineinpassen, die man in der Alltagssprache so nicht verwendet.

Wer hat Sie ermuntert, dranzubleiben und Ihren Weg weiter zu verfolgen?
Die Aufmunterung hielt sich in Grenzen. Es überwog der Zweifel. Ich wusste, es gab ein paar Geschichten von mir, die in Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden, aber der Zweifel blieb, ob es reichen würde für einen längeren Text. Und als der Roman soweit fertig war, fix fertig war, dann habe ich gedacht, wen sollte das interessieren. Der Zweifel ist bis heute geblieben, jedoch sollte man sich hinsetzen und sich sagen, jetzt schreibe ich es fertig.
Oder man muss es gleich verwerfen.

Vielen Dank für das Interview!

 

Harald Darer
Geb. 1975 in Mürzzuschlag, debütierte mit dem Roman „Wer mit Hunden schläft“. Veröffentlichung zuletzt: „Blaumann“, 2019 Picus Verlag und Romanauszug in Kolik - zeitschrift für literatur 84, Feb. 2021, Titel „Mongo”. Link zum Nachhören des Interviews unter: „Die Geschichten entwickeln sich mit dem Schreiben“.
https://cba.fro.at/488676

Cornelia Stahl
Dipl. Sozialökonomin, lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich als Lehrerin, Bibliothekarin und Rezensentin für „bn-Bibliotheksnachrichten“ Salzburg und etcetera. Sie ist Radiojournalistin der Sendung „Literaturfenster Österreich“ beim Freien Radio Orange und absolviert eine Ausbildung zur Schreibpädagogin beim BÖS in Wien. Redakteurin/Jurorin von LITARENA, dem Etcetera- Heft der LitGes für Jungautorinnen unter 27 seit 8 Jahren.