93 / Wirklich/Unwirklich / Interview / Johannes Kofler

Anlässlich der Ausstellung in der Galerie THOMAN, Seilerstätte 7, Wien, Jänner bis März 2023, interviewte Eva Riebler den Künstler Johannes Kofler.

Ihr Geburtsort Sterzing lässt Sie eher zu Österreich tendieren?
Als Südtiroler wird man ja in eine kulturelle Sonderstellung hineingeboren, man wächst doppelsprachig auf, lebt zwischen zwei großen Sprachräumen in einem kleinen Land welches als Bindeglied zwischen Nord und Süd gesehen werden kann, eine Art Grauzone. Dies eröffnet zwei riesige Kulturräume in denen man sich zu Hause fühlen, sich frei bewegen kann, wo man gewisse Denkmuster verstehen kann; wenn man will erweitert das den Horizont und beinhaltet einige Vorzüge, welche ich nicht missen möchte. Für mich persönlich eine sehr schätzenswerte Situation, welche ich nutze. Ich bin quasi in das Bivalente dieser Welt hineingesetzt, ich tendiere nicht zu Nationalitäten.

Lag die Motivation zur Bildenden Kunst in der Familie?
Mein Großvater war Kunstschmied und fertigte klassische Tiroler Grabkreuze, faszinierend das kalte Eisen in solch warm geschnörkelten Formen, nahezu weich. Meine Mutter malte auf Seide, und generell war unser Haus mit guter oder auch schlechter Kunst gefüllt. Irgendwo wurde ich hier sicher befruchtet bzw. sprang der Funke über. Zurückblickend habe ich mich als Junge immer in Bildwelten vergraben, hineingeträumt, mir darin meine Realitäten geschaffen, ob es jetzt ein Bildband, ein illustriertes Buch oder ein Lucky-Luke-Heft war, ich saugte alles auf. Die Darstellung faszinierte mich immer, und daraus kam unter anderem auch der Wunsch und der Drang selber darzustellen, Bildwelten zu bilden.

Mit wieviel Jahren begann in Ihnen die Idee zu reifen, Künstler zu werden?
Wie oben beschrieben, ich malte schon als Junge im Kopf, zudem verspürte ich einen großen Drang zu schaffen, zu kreieren. Nach einer eher orientierungslosen pubertären Phase entschloss ich mich, die Kunstlehranstalt in Gröden zu besuchen, so gegen Ende der Neunziger. Als ich da mein Talent entdeckte bzw. mein Talent gefördert wurde, war es um mich geschehen. Kunstgeschichte, Farblehre, Maltechnik, Zeichnen usw. standen hoch im Kurs, und davon profitiere ich heute noch. Wir genossen eine klassische Kunstausbildung wie
sie an manchen Universitäten nicht geboten wird. Nach drei Jahren erhielt man den Titel „Maestro d’ Arte”, dieser befähigte früher zum Unterrichten als Kunstlehrer, nach fünf Jahren
schloss man mit der Matura ab. Wie gesagt, ab da war es um mich geschehen, ich erkannte langsam meine Fähigkeit mich über einen Bildträger zu vermitteln.

Sie haben nachts gearbeitet um tags malen zu können…?
Ich habe auch tagsüber gearbeitet, um in der Nacht malen zu können. Die Brötchen müssen ja irgendwo herkommen, man muss sich Zeit fürs Atelier freischaufeln, viel Zeit. Kunst benötigt Freiraum, speziell in einer anfänglichen Findungsphase; im besten Fall stellt sich dann später oder viel später eine gewisse Abrufbarkeit in der Arbeit ein. Viele schaffen das nicht. Im Atelier wird auch viel Zeit vergeudet. Vergeudet ist vielleicht der falsche Begriff, denn es tut sich ja auch was in diesem Prozess. Bei der Nachtarbeit mochte ich das morgendliche Zwielicht, eine undefinierte Zeit voller Spannung und spektakulären Lichtverhältnissen. Alles ist möglich, und der Tag ist nicht beschrieben. Dasselbe gilt bei Abenddämmerung für die Nacht. Ich sehe im Zwielicht generell einen Bezug zu meiner Arbeit. Nachmittag und Abend ist aber meine „Malzeit“, und da kam mir die Nachtarbeit entgegen.

Wie kamen Sie auf die geniale Idee bei Lüpertz 2012-2014 zu studieren?
Ob genial, bin ich mir nicht sicher, aber es bot sich die Möglichkeit, mir ein paar Tipps vom Profi abzuholen. Das tat mir sehr gut, und es erweiterte mein Fundament erheblich. Lüpertz stärkte mir den Rücken, und wir verstehen uns; er hat mich ein Stück weitergebracht. Durch ihn lernte ich auch einige tolle Kollegen und Wegbegleiter kennen.

Ihre Motive auf der Leinwand sind oft rosa oder rot eingerahmt, warum?
Eingerahmt ist der fasche Ausdruck, ich ziehe ja keine Linien um das Motiv herum. Das sind Überreste der darunter liegenden Flächen, ein flächiges Konstrukt, das formgebend wirkt. Ich entscheide, was offen bleibt und was nicht, es ist ein Zeichnen mit Flächen. Vorliebe für Rosa oder Rot habe ich keine, mir ist wichtig, dass es farblich passt und stimmig ist, es muss ja funktionieren. Eine Farbe kommt ja selten alleine, und wenn eine Farbe nach Rosa schreit, dann soll sie Rosa haben. Zudem liebe ich es wenn man den Bildaufbau nachvollziehen kann, nichts wird gelöscht oder vertuscht, eine ehrliche, tiefe und rohe Malerei.

Sie meinen das zwei Meter große Ölbild: Der Affe an der Laterne?
Auch da; es zieht sich wie ein Faden durch meine Arbeit. Und der Affe hängt nicht an einer Laterne, sondern an einem hängenden Topf, es gibt ja diese Knüpftechnik. Also eigentlich
„Affe hängt an hängendem Topf”. Spaß beiseite, wenn Sie an eine Laterne denken habe ich alles richtig gemacht. Es darf eine Laterne für den Betrachter sein, es ist meine Absicht den Betrachter nicht bis ans Ende zu begleiten. Keine vollendeten Tatsachen.

Ihre Themen: Meist sind es nur einzelne Personen wie bei „Der Trinker“, „Es muss Liebe sein“ oder Tiere (Schwäne, Biene, ein Rabe in „Tod nach Castaneda“, eine halbe Maus …)
Ich mag keine überladenen Situationen, es geht darum sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, Unnötiges zu vermeiden. Überflüssiges wird konsequent gestrichen, eliminiert, keine aufgeblasenen Verschönerungen, das führt zu Verzweiflungstaten in der Malerei. Das Ziel ist, Situationen nicht durch Ablenkungsmanöver zu verschwenden. Durch diese Reduktion entstehen zum Teil fokussierte Nahaufnahmen, das funktioniert im Moment sehr gut, und ich kann damit leben. Hinzu kommt, dass man sich so auf das Darzustellende konzentrieren, es filtern und analysieren kann, maltechnisch. Dies hat auch zur Folge, dass Situationen ins Abstrakte rutschen, aus der Welt gegriffen, in Einzelteile zerlegt. Man muss sich erst mal orientieren und neu aufstellen. Es ist überaus wichtig, wie man etwas in Szene setzt, darin steckt enormes Spannungspotential. Ich kann ja alles malen, die Frage ist nur, wie ich es berechtigt auf die Leinwand bringe. Inspirieren lasse ich mich dabei meistens vom Belanglosen, Alltäglichen, obwohl ich natürlich auch von historischen Anleihen oder wertvollen Textzeilen lebe. Am meisten interessieren mich Situationen, die eine scheinbare Leichtigkeit hervorrufen, jedoch bei näherer Betrachtung so quasi als Wolf im Schafspelz dastehen. Eine Form der Parabel.

Sie sind Linkshänder?
Ja, ich bin Linkshänder. In der Schule bereitete mir dies einige Probleme, damals mussten wir noch mit Tinte und Füller schreiben. Meine Hefte waren bis ins Unleserliche verschmiert, und ich sollte mich krümmen bis zum Gehtnichtmehr. Unbelehrbar wie ich war, führte es zu fragmentarischen Schriftstücken, die sahen aus wie Arbeiten von De Kooning oder Ghenie. Vielleicht habe ich damals schon verstanden, dass es nur auf das Wichtigste ankommt und man mit ein paar leserlichen Worten, wenn es die richtigen sind, den Inhalt einer ganzen Seite nachvollziehen kann.

Beim Ölbild mit dem Titel: „ausgebrannt” aus dem Jahre 2022 kann man eine negative Situation nachvollziehen und trotzdem wirkt es heiter ...
Ja, dem armen Typen läuft quasi das Hirn aus dem Schädel, ich kenne das Gefühl, und es ist nicht gut. Es geht darum, auch mit negativen Situationen umzugehen, Resilienz zu beweisen, das Licht zu sehen, sich wieder aufzufangen und weiterzumachen. Weiteratmen, Hoffnung und Zuversicht spielen eine große Rolle in meinen Arbeiten. Es gibt immer Hoffnung in meinen Arbeiten.

Gefährlich, aber nicht blutrünstig wirkt auch die 1m große Axt als dominantes Motiv. Wie kamen Sie auf dieses Motiv, da Sie ja gar keine Geschichten erzählen wollen?
Es ist einfach nur eine Axt, die im Licht der Herbstsonne einen scharfen Schatten an die Wand wirft. Ich erzähle Ihnen in dieser Arbeit nicht, dass ich diese Axt total verrostet im Garten ausgegraben habe, sie entrostet, geschliffen und mit neuem Stiel versehen habe. Auch erzähle ich Ihnen nicht, wie sehr ich diese Axt schätze, weil sie zeitlos ist, weil sie Generationen begleitet und ihnen als Werkzeug zur Seite steht, weil sie Geheimnisse birgt. Es interessiert niemanden. Obwohl für mich als Romantiker alles Grund genug ist, um diese Axt zu malen. Das sehen Sie jedoch nicht und es ist auch gut so, Sie haben Ihre eigene Geschichte dazu. Warum soll ich Ihnen meine aufbrummen bzw. Sie mit meiner Geschichte belasten? Ja, ich erzähle keine Geschichten, ich gebe dem Betrachter die Möglichkeit sich seine eigene zu erschaffen, und das ist äußerst spannend.

In meinem Lieblingsbild, durch das ich auf Sie aufmerksam geworden bin, liegt so viel Witz. Und zwar im Bildaufbau, in der Abwesenheit der gesamten Maus – es ist nur ihr Schwanz und Hinterteil im Bild …
Ja, das mit der Maus, auch hier geht es mit einem Augenzwinkern um eine Imagination, welche ich in der Darstellung provoziere. Das Leben nicht zu schwer zu nehmen, ernst ja,
aber nicht zu schwer, ich muss mich selbst immer darin üben. Auch so ein wiederkehrendes Spiel in meiner Arbeit, der Witz, zum Teil auch in Situationen, die gar nicht so witzig sind. Es ist eine Tollpatschigkeit mit der man dem Leben begegnen kann, wie Alf, man kann es eh nur bis zu einem gewissen Punkt steuern, den Rest muss man hinnehmen, sich hingeben. Wenn es nicht klappt erinnere man sich an die Aufnahmen vom Webb Teleskop, wenn man daran glaubt. Ich saß also eines Nachts im Atelier, ganz still in Gedanken versunken, da kam sie raus, die Maus, ich wusste die Fraßspuren an den Bildern stammen von ihr, sie huschte einfach so vorbei, als ob nichts wäre, eine Selbstverständlichkeit. Gedanklich entwickelte sie sich bei mir zum eiskalten Monster da sie ja an meinen Bildern nagt, das Ergebnis ist die genannte Arbeit. Herrlich.

Und wie kamen Sie zum Titel der Ausstellung: „Keine Geschichten zu später Stunde”?
Ich erzähle keine Geschichten in meinen Arbeiten, vielmehr fordere ich den Betrachter auf, selbst darüber nachzudenken. Ich überlasse ihm den Abschluss, ich finde die subjektive Freiheit ist überaus wichtig und fördere sie in oder durch meine Bilder. Ich gebe also nur den Input, den Rest erledigt der Zuschauer, das ist bewusst so gestaltet und manchmal sehr schwierig, die Offenheit in der Malerei zu belassen bzw. sie zu ermöglichen. Eine Gratwanderung. Darum auch der Titel zur Ausstellung. Zudem finde ich Geschichten zu einer späten Stunde unerträglich.

Wie würden Sie Ihre Technik beschreiben?
Die Malerei beginnt mit den ersten Grundierschichten, meisten bis zu fünf sehr dünne Schichten, grad wie dicht das Gewebe sein soll. Ist das Format grundiert und getrocknet, hänge ich es an die Wand. Meistens habe ich dann schon ein Motiv im Kopf und überlege mir. wo ich in der Komposition hellere oder dunklere Stellen brauchen werde. Darauf zerstöre ich das ganze Weiß wieder und fülle es mit wässrig terpentinverdünnter Ölfarbe, intuitiv, berücksichtige jedoch das Motiv und die Komposition.
In dieses Farbchaos trage ich dann mit entschlossenen Pinselschlägen das Vordergründige, Darzustellende, selbstbewusst und ohne Vorzeichnung. Eine sehr wichtige Phase die passen muss, voller Impulsivität und Frische, fast wie im Aquarell nur mit Ölfarbe. Sind die Formen annähernd definiert, verdichte ich das Bild sehr flächig nach hinten, ich beginne zu reduzieren, einzukochen, das Wesentliche zu filtern. Hier gilt es auch, diese tollen frischen ersten malerisch spannenden Situationen nicht zu vermalen, den ersten Wurf nicht zu vermalen, da muss ich ständig auf der Hut sein. Fehler sind dabei willkommen, auch der Zufall hilft mir. Wichtig ist es, dies zu erkennen und ins Vorteilhafte zu drehen, auch davon lebt die Arbeit. Fatale Fehler kann ich mir nicht erlauben, ich male ehrlich, vertusche nichts und liebe Malspuren, wenn man den malerischen Prozess nachvollziehen kann, wenn der/die Maler-in dazu steht. Indem ich das Bild nach hinten verdichte, habe ich erstens die Möglichkeit formliche Korrekturen vorzunehmen, ein Zeichnen mit Flächen, und zweitens entsteht eine seltsame Räumlichkeit und Tiefe durch die Stellen, welche ich offen lasse bzw. eliminiere. In diesem Prozess sind konsequente Entscheidungen die Hauptdarsteller, auch farblich, das zieht sich über mehrere Schichten. Die Farbwahl ist eher von spontanem Ablauf, aber sie muss gefühlvoll angepasst und stimmig sein, Farbgefühl ist wichtig. Die Farben und ihre Temperaturen werden auch immer abgemischt. Funktioniert ein Bild, lege ich mir ein Malverbot auf. Wann ist ein Bild fertig? Vielleicht nie, darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf, funktionieren muss es, Bilder müssen funktionieren. Diese Arbeitsweise ergibt Bilder, die sich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bewegen, von vorne nach hinten gemalt, auf den Punkt gebracht.

Und Grün gibt’s ja eigentlich nicht.
Natürlich gibt es Grün, vorzugsweise Gelb und Blau, selten benutze ich Farben direkt aus der Tube.

Gibt es Phasen in Ihrem Schaffen? Kennen Sie das Gefühl, stets getrieben zu sein?
Natürlich, man muss ins Atelier und man bekommt Entzugserscheinungen wenn nicht. Ein Bild schreit nach dem nächsten, man kommt nicht davon los, die Phase hält an. Ich glaube Kunst ist lebenslänglich!

Das geht nur, wenn man nicht arbeitet …
Das geht auch, wenn man nebenher noch einen Job hat, es ist aber ein riesiger Kraftakt. Als Künstler ist man ja immer am Arbeiten, Kunst ist 24/7, Kunst fährt nicht in Urlaub.

Gibt es Phasen, sich wieder neu definieren zu müssen?
Nein, weiterbringen ja, sich entwickeln ja, auch sich mal überdenken! Definition bedeutet ja Stillstand, da lebe ich lieber undefiniert, zum Glück definiert man sich nicht.

Gibt es Zeiten des Schaffensrausches …
Immer.

und des Zweifels …
Immer.

der Pause bis Lähmung?
Auch.

Wie finden Sie zur Identität als Künstler zurück?
Warum zurück, entweder man ist Künstler oder nicht. Das muss und kann man akzeptieren.

Heute in der schnelllebigen Zeit, der Kriegszeit …
Es ist enttäuschend und ärgerlich. Die Arbeiten sind weit weg vom Politischen, und ich will sie auch davon fernhalten.

Was wünschen Sie sich allgemein?
Man muss für alles dankbar sein.

Und was wünschen Sie sich für Ihr Schaffen?
Da brauch ich mir nichts wünschen! Ich muss mich auf mich verlassen, da ist kein Platz für Wünsche. Weitermachen!

In diesem Sinne bedanke ich mich herzlich und wünsche erfolgreiches „Weitermachen„!

 

Johannes Kofler
Geb. 1982 in Sterzing (Südtirol), lebt und arbeitet in Brixen; Besuch der Kunstlehranstalt in Gröden. 2012-2016 Malerei mit Markus Lüpertz an der Akademie in Düsseldorf.
johanneskofler@gmx.net