Bettina Zorn: Ö.V.M. - Österreichs Verplante Museumspolitik. Marie-Therese Goiser

Bettina Zorn
Ö.V.M. - Österreichs Verplante Museumspolitik

Ein Gespräch über die aktuelle und vorherige Museumspolitik im Völkerkundemuseum mit Dr. Bettina Zorn, Leiterin der Ostasien-Abteilung des Wiener Völkerkundemuseums. Interview führte Marie-Therese Goiser im Juli 2011.

Frau Dr. Bettina Zorn, seit 1995 sind Sie Leiterin der Ostasien-Abteilung des Wiener Völkerkundemuseums. Seitdem musste das Museum bereits einige Veränderungen erfahren. Aktuell stand noch das Projekt „Museum Neu“ im Haus. Könnten Sie uns eine kurze Retrospektive geben?

Seit 1995 zieht sich die Diskussion der Neugestaltung und Neudefinition des Völkerkundemuseums durch unsere Museumsprojekte, bei welchen wir uns in den letzten Jahren auf die politische Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur verlassen müssen. Seit 1928 wurde das Museum weder inhaltlich noch technisch generalsaniert, es musste folglich an einen neueren Stand adaptiert werden. Seit 1995 war auch die Einrichtung des Depots im Gespräch, 2004 wurde sie dann auch umgesetzt. 1997 wurden die Sammlungen in ein externes Depot ausgelagert, womit auch kein direkter Zugang zu den Objekten bestand, und 2004 kamen sie dann wieder ins Haus zurück. Weitere Bedingungen für die Generalsanierung waren: Die Sanierung der Büroräume und die der Dauerausstellungsräume. die Dauerausstellungsräume wurden jedoch bis heute nicht saniert. Die Teilausgliederung begann Ende der 90er Jahre, die dann, aus wirtschaftlichen Erwägungen, in die Ausgliederung der Bundesmuseen und im Falle des Völkerkundemuseums zu einem Anhängen an das Kunsthistorische Museum münden sollte. Somit waren wir dem Kunsthistorischen Museum unterstellt.

Mit dem Regierungswechsel im Oktober 2008 wurde ein neues Konzept geboren. Das Projekt „Museum Neu“ entstand Ende 2008, welches eine Verschmelzung des Völkerkundemuseums mit dem Museum für Volkskunde vorsah. Mit meinem Eintritt ins Museum 1995, war zwar die Rede von Renovierung, jedoch nicht, dass ein weiteres Museum ins Haus kommen sollte. Diese Idee ist noch sehr neu.

Welches Image des Völkerkundemuseums will man verändern?

Das Wort Völkerkunde gibt es ja nur im deutschsprachigen Raum und fast alle Museen, die Völkerkunde heißen, benennen sich zu „Museum für Kulturen“ oder „Museum for World Cultures“ um. Dieser Trend möchte das Image des Kolonialdenkens des 19. Jahrhunderts - mit dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aspekts der Ausbeutung - verändern. Die Anschauung des Völkerkundemuseums war damals die Idee der „Anderen“ und diese galt es zu repräsentieren, aber wir waren es, die die Objekte gesammelt und ausgestellt haben. Dieser Sammeleffekt, sprich unser Tun zu hinterfragen, steht noch viel zu wenig zur Diskussion. Wir müssen uns noch mehr mit uns selbst auseinandersetzen.

Das Völkerkundemuseum wurde Ende der 90er Jahre von einem eigenständigen Bundesmuseum zu einem Teilmuseum des Kunsthistorischen Museums, der wissenschaftlichen Anstalt. Welchen Nutzen sah man in der Zusammenlegung?

Das deutsche System in Berlin, Stiftung preußischen Kulturbesitzes, schließt alle Museen unter der Leitung einer Institution, nicht der des Ministeriums, zusammen. Und ich denke, dass das die Idee war, von der man sich hat inspirieren lassen wollen. Die Idee war wohl die eines Schneeballeffektes, der klein anfängt und wächst und wächst und die anderen dann schluckt. Hier kommt die Position eines Direktors zu tragen, in wie weit er es schafft, sich von anderen abzusetzen. Und in diesem Fall waren die Weichen sehr gut gegeben, dass wir eben zu schlucken waren, genauso wie das ÖTM (Österreichisches Theatermuseum). Weiter lässt sich eine globale Veränderung sichtbar machen. Wie es auch das Humboldtforum in Berlin probiert, versucht man mit einem neuen Projekt, die Völkerkunde gesellschaftspolitisch gerechter zu präsentieren und dem 21. Jahrhundert entsprechend anzupassen.

Sozusagen der Versuch sowohl das Lokale wie das Globale in einer riesigen Museumslandschaft zusammenzufügen. Das war das Grundkonzept. Zudem fielen u.a. zusätzlich Renovierungen an.

In welchem Kontext wäre hier das Projekt „Museum Neu“, welches eine Verknüpfung der europäischen und außereuropäischen Völkerkunde ansteuert, zu sehen?

Wir versuchen, an das 21. Jahrhundert angepasst, ein Konzept zu entwickeln, welches nicht auf Abgrenzungen von Kulturen, „Wir“ und die „Anderen“, beruht. Es soll ein Dialog und Austausch sein. Und deswegen macht es auch Sinn, das Europäische und das Außereuropäische zusammenzuführen.

Das wäre das Argument mit der Volkskunde, weil vor allem im deutschsprachigen Raum nie eine Trennen dessen stattgefunden hatte, z.B. in Hamburg ist der europäische Teil immer im Völkerkundemuseum integriert gewesen. Und nicht zu vergessen: Das Völkerkundemuseum war im 19. Jahrhundert ein Teil des Naturhistorischen Museums! Sowohl die volkskundliche Abteilung wie die ethnographische Abteilung des Naturhistorischen Museums wurde ausgegliedert und zu eigenständigen Museen. Aber genau das war ja sozusagen der Köder, dass es eben funktionieren kann. Das Konzept war, dass es finanziell ein Ziel sein sollte, mit der Zusammenlegung der Museen, Synergieeffekte zu erzielen. In Frankreich hatte man auch diese zwei getrennten Institutionen gehabt: den Louvre, den kunstorientierten, europäischen Teil, und das Musée de l‘homme, den ethnographischen Teil.

Im Zuge der Auflösung des Musée de l‘homme hat man die außereuropäischen Kunstwerke in den Louvre integriert und für den Rest ein neues Museum gebaut: das Musée du quai Branly in den 1990er Jahren. Jedoch ist dies auch kein Konzept, das wirklich überzeugt. Alles hat Mängel. Gegenwärtig gibt es kein Konzept, welches wirklich überzeugend ist.

Aktuell scheint das Projekt „Museum Neu“ nicht mehr zur Diskussion zu stehen. Warum?

Das kann ich Ihnen sofort beantworten: Weil völlig falsch diskutiert und geplant wurde. Mir kommt es vor, als hätte man ein Schloss auf Wolken gebaut, anstatt auf ganz solidem Grund. Und dieser solide Grund ist die Finanzierung, ein äußerst wichtiger Faktor für ein Projekt und im musealen Fall zählt auch der politische Wille, von dem ich ausgehe.

Sehen Sie in der Zusammenlegung des Völkerkundemuseums und des Museums für Volkskunde überhaupt einen Sinn?

Das Museum für Volkskunde hat große finanzielle Probleme, da es kein Bundesmuseum mit nennenswerter staatlicher Unterstützung ist, sondern ein Verein. Zusätzlich befindet es sich in einem Palais, welches dringendst einer Sanierung bedürfte. Die Idee war nun hier diese zwei bedürftigen Museen, welche eine größere finanzielle Spritze benötigten, als kulturpolitisches Projekt zu einem größeren Museum zu vereinen. Weiter entspricht sich die Materialgruppe beider Museen: hauptsächlich organisches Material, Holz, alle Arten von Pflanzenmaterialien, Stein und Metall und Textilien. Wir hätten also eine zirka noch einmal so große Sammlung unterzubringen.

Sind die Räumlichkeiten im Völkerkundemuseum Ihrer Meinung nach für zwei Museen ausreichend?

Der Dachboden wäre zwar noch weiter ausbaubar, aber für eine weitere genauso große Sammlung ist der Platz nicht vorhanden. Im Keller wurde bereits ein Zwischenstock eingezogen, somit wurde die Depotfläche für das Völkerkundemuseum schon einmal verdoppelt, und dazu kamen eigentlich auch noch Teile eines zweiten Kellers. Dort sind allerdings nur Steine gelagert und ähnliches Material. Für die Objektgruppe im Haus sind die neuen Räumlichkeiten nicht geeignet. Auch für das Museum für Volkskunde wären sie das nicht. Viel wichtiger wäre es, die Ausstellungsräume zu sanieren und das gesamte Museum für die Besucher zugänglich zu machen.

Welchen Spielraum lässt die finanzielle Situation des Völkerkundemuseums zu?

Wir verfügten immer über Geld, doch in den letzten Jahren hatten wir ein verkürztes Budget. Mit einem Budget von 6 Millionen Euro stehen wir nicht ganz oben im Ranking. Das MAK (Museum für angewandte Kunst) steht mit 9 Millionen weit über uns. Dieses Problem betrifft aber auf jeden Fall nicht nur das Völkerkundemuseum. Seitdem wir nicht mehr eigenständig sind, ist unser Geld manipulierbar. Wir können nicht mehr bestimmen, wie wir unser Geld einsetzen. So sind z.B. unsere Ausstellungen für die zweite Hälfte des Jahres 2011, aus budgetären Gründen, auf 2012 verschoben und die Ausstellungen von 2012 teilweise auf 2013 verschoben worden. Mehr Geld als Unterstützung ist uns bereits vor 2007 versprochen worden, ist aber nie angekommen. Das ist dem Museum für Völkerkundekunde noch nie passiert! Und deswegen ist die finanzielle Frage auch sehr wichtig und daraus resultierend zu kalkulieren:

Was sind die Grundkosten? Was fallen für Kosten an? Somit führen wir eigentlich unseren politischen Auftrag nicht aus, denn wenn wir geschlossen sind, nicht renoviert wurden, fahren wir nicht mit 100 Prozent, sondern mit nur 75 Prozent! Wenn wir einmal annehmen, dass 75 Prozent eigentlich unserer Ziel ist, dann sind wir bei 30 Prozent ...

Bis jetzt planen wir mit Geld, das wir gar nicht haben. Das geht natürlich nicht. Auch das spiegelt das Phänomen unserer heutigen Gesellschaft wider. Wir pokern. Wir pokern zu hoch. Schlagwort: Griechenland. Wir tun so als ob, und eigentlich haben wir die Basis nicht. Also eigentlich gilt die Idee, wir müssen wieder zurück zur Basis kommen und erwirtschaften wir mehr, dann ist das unser Plus, womit wir unter Rücksprache mit den Abteilungen strategisch gewinnbringend irgendwo investieren könnten. Aber wir können nicht damit rechnen, weil erfahrungsmäßig ist das nie passiert. Leider wird aber so agiert.

Neben dem Projekt „Museum Neu“ der SPÖ kämpft FPÖ-Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner gegen den „Schmelztiegel der Völker“ und verlangt die erneute Eigenständigkeit des Völkerkundemuseums und des Museums für Volkskunde als Bundesmuseen.
Bei solchen Aussagen könnte man sich denken, dass Migration scheinbar nichts mit der österreichischen Volkskunde zu tun hat... Wie wird im Völkerkundemuseum mit Migration umgegangen?

Wir tun uns sehr schwer. Wir sind eigentlich nur ein Spiegel der Gesellschaft, und wir müssten das aufbrechen. Und genau solche Aussagen der Politker bringen uns in aussichtslose Situationen. Der Begriff des Migranten ist natürlich zu überdenken! Dieses psychologisch-atmosphärische Bild, das immer wieder in unsere Gesellschaft gedrängt wird, ist zu hinterfragen. Die Migration ist die Bewegung, aber man ist nicht immer in Bewegung, irgendwann ist man auch sesshaft. Dann muss ein neues Konzept gefunden werden. Da tut sich jeder schwer, die Politik, unsere Gesellschaft. Wir auch! Denn wir benutzen noch immer den Begriff der Migration... Migration ist doch schon ein Widerspruch in sich! Hier wird sehr gut ersichtlich, dass die Politik unglaublich wichtig ist. Genau hier lässt sich erkennen, dass alles zusammenhängt. Es darf nicht das von außen aufgesetzte Konzept sein, sondern man muss sich selbst mit der Thematik auseinandersetzen. Und wir hier im Museum versuchen der Bevölkerung diese Möglichkeit zu geben.

Bei der Eröffnung des Völkerkundemuseums am 25. Mai 1928 hat der Direktor Fritz Röck gesagt: „Das Völkerkundemuseum ist völkerverbindend und völkerversöhnend.“
Mir geht hier der Begriff der „Völkeraufklärung“, sprich völkeraufklärend, im Sinne des Umgangs und der Auseinandersetzung mit kontroversen Themen in der Völkerkunde ab. Wie kommt es, dass immer nur Ägypter und japanische Kimonos und Fächer gepusht werden?

Wir stehen stark unter dem Erfolgszwang der Besucherzahlen. Hier gibt es auch die Schwierigkeiten, den Ansprüchen und Anforderungen der Besucher gerecht zu werden und mit Blockbuster-Ausstellungen die Besucher zu locken. Gold zieht immer... Das sind genau diese Konzepte, bei denen man sich fragen muss: Was ist Erfolg? Die Schwierigkeit ist hier sicherlich den Mittelweg zu finden. Wir sind daran etwas Neues aufzubauen, ein neues Image. Wir sind am Image schmieden und erhoffen uns Veränderung in den nächsten Jahren, auch was die Inhalte der Ausstellungen betrifft, um das Interesse der Besucher aufrecht zu erhalten. Zurzeit sind wir durch die fehlenden Räumlichkeiten in unserer Präsentation eingeschränkt.

Bettina Zorn
Geb. 1961. Studium der Sinologie, Urgeschichte, Ethnologie und Biologie in Freiburg, Basel und China (Wuhan University, Beijing University). Sie promovierte in Chinesischer Archäologie. Leiterin der Abteilung Ostasien des Museums für Völkerkunde seit 1995.

LitGes, etcetera 47/ März 2012/ Unser dummer Pöbel meint