Helga Hofer: Das Kind in mir. Eva Riebler
Helga Hofer
DAS KIND IN MIR
Eva Riebler führte das Interview mit der Künstlerin Helga Hofer, Herbst 2008. (etcetera 35)
Liebe Helga, du feierst große Erfolge in der Malerei (Galerie Rytmogram, Kunst.Messe.Linz, ...) obwohl du - oder soll man sagen - weil du - Autodidakt bist und dich durch keine Kurse oder Ähnliches verbilden hast lassen.
Ich bin zwar Autodidakt, habe mich aber immer intensiv mit Kunst beschäftigt und auseinandergesetzt. Es ist mir ein Bedürfnis, ein fundamentales Wissen über Kunst und Kultur zu haben. Mit 17 habe ich die Schule abgebrochen, geheiratet und Kinder bekommen. Neben der Erziehung von drei Kindern habe ich immer viel gelesen, Tagebücher verfasst, Schreibversuche gemacht und gewebt. In den 80er Jahren bin ich mit meinen Webbildern in die Öffentlichkeit getreten. Konsequent zu malen habe ich Anfang der 90er Jahre begonnen. Ich weiß nicht, ob ich anders malen würde, wenn ich eine professionelle Schulung durchlaufen hätte.
Deine bevorzugten Themen sind Erinnerungen an deine Kindheit bei deiner Oma in Teufenbach, St. Florian am Inn.
So ist es nicht, dass meine Erinnerungen an die Kindheit mein bevorzugtes Thema in der Malerei wäre. Es ist nur so, dass ich, seit ich male, immer wieder Kindheitserinnerungen thematisiere. In der Lebensphase, als ich eher zum Schreiben als zum Malen tendierte, schrieb ich meine Kindheitserinnerungen nieder. Beim Schreiben sind sie nie so farbig und drängend geworden, sie sprudelten geradezu aus mir hervor und mir wurde klar, dass ich eine gute Kindheit hatte, und das, obwohl ich ganz und gar immer am Rande von Abgründen war: lediges Kind einer neunzehnjährigen Mutter, der leibliche Vater auf und davon, die Großeltern auf der untersten sozialen Stufe der dörflichen Gesellschaft, die Großmutter ständig krank, der Großvater ein lungenkranker Steinbrucharbeiter. Bei den Großeltern wuchs ich auf, meine Mutter arbeitete in einer Schuhfabrik in Linz. Jedes Wochenende fuhr sie mit dem Zug von Linz nach Teufenbach nahe Schärding, um mich zu sehen. Ihr jüngerer Bruder und ich holten sie von der Bahnhofstation ab. Dort stieg sie aus dem Zug, und als erstes sah ich ihre roten Stöckelschuhe auf den Stufen des Zugwaggons, und dann ihr schönes Kleid und dann ihr lachendes Gesicht. Schon als Kind träumte ich – und das ist der erste Traum, an den ich mich
erinnern kann, wenn ich die roten Stöckelschuhe meiner Mutter anzöge und damit auf einen hohen Baum kletterte, bliebe ich vom Krieg verschont. Ich war das erste Kind der Familie, die Geschwister meiner Mutter liebten mich. Ich hatte immer selbstgenähte Kleider an und ich wurde bestrickt und behäkelt. Ich erinnere mich, dass meine Mutter eine himbeerrosa Weste mit großen, weißen Knöpfen für sich, für mich und für meine Puppe strickte.
Meine Großmutter erzählte mir Geschichten, mein Großvater legte sich jeden Tag mit mir ins Bett und nannte mich „seinen Engel“. Als ich acht war, starb zuerst meine Großmutter an einem Gehirnschlag. Am Tag ihres Begräbnisses, also drei Tage später, starb mein Großvater an Magenkrebs. Ich machte für beide in dem Zimmer, in dem sie gestorben waren und das nun leer stand, einen Altar mit Kreuz und Blumen, und dort betete und weinte ich eine Zeitlang hingebungsvoll. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich eindeutig mehr um meinen Großvater trauerte als um meine Großmutter. Als Kind hatte ich starke religiöse Empfindungen. Ich weiß noch so gut, wie ich, wenn in der Kirche mit brausender Orgelbegleitung von allen Großer Gott, wir loben dich gesungen wurde, Gänsehaut bekam. Es war wie ein Erschaudern vor der Gottheit. Ich fühlte mich so stark als Teil der religiösen Gemeinschaft, über der mächtig und allumfassend der Große Gott stand! Zu gerne hätte ich bei den kirchlichen Ritualen eine Rolle gespielt. Ich beneidete die Ministranten und war immer in einen von ihnen verliebt. Ich schaffte es mit meinem Verhalten, mit dem ich bekundete, sehr gläubig zu sein, den Pfarrer davon zu überzeugen, dass ich Vorbeterin sein konnte. Er überzeugte meine Eltern, dass ich ins Gymnasium gehen sollte, was damals auf dem Land für Mädchen nicht üblich war.
Ich habe als Kind viel über Gott nachgedacht. Ich fühlte mich von ihm beobachtet. Ich forderte ihn heraus, indem ich Taten beging, die eindeutig böse waren, und wartete auf die göttliche Reaktion. Auch war ich sehr zwiespältig eingestellt, was das ewige Paradies anging. Ich stellte es mir nämlich extrem langweilig vor. Trotzdem war es anzustreben. Das andere Extrem war die Höllenglut, die wollte ich natürlich auch nicht.
Mit 13 begann ich zu zweifeln. Mit sechzehn war mir klar: Ich musste nicht glauben, wenn ich nicht wollte, und nichts würde geschehen.
Ich hatte alle Freiheiten und konnte den ganzen Tag mit den anderen Kindern durch alle Gärten und Wiesen und die Häuser des Dorfes streunen. Es gab kein Haus, von dem wir nicht vom Keller bis zum Dachboden alle Winkel kannten. Ich weiß, dass mir schon als Kind die Schönheiten der Natur aufgefallen sind, die Blumen in den Gärten, das Herbstlaub der Bäume am Bach. Und schon als Kind hat mich die Poesie der Dinge beeindruckt: die helle Bäckerstube, die roten Schuhe der Mutter, die Glasfenster in der Kirche, die gestickten Deckerln der Frau Ritter, einer Banaterin, die warmen Farbtöne der Holzhäuser.
Den poetischen Empfindungen standen die Ängste gegenüber. Ich hatte Angst vor dem ohrenbetäubenden Gequieke der Schweine zur Fütterungszeit. Kein Mensch sagte mir, warum sich plötzlich so aus dem Nichts ein derartiges Getöse erhob. Ich fürchtete den Rauchfangkehrer und schrie hinter der Tür, solange er im Haus war. Ich hatte auch Angst vor dem Mann der Freundin meiner Mutter, weil er so stark gebräunt war und so eine laute Stimme hatte. Wenn ich im Haus der Freundin meiner Mutter war und er von der Arbeit heimkam, lief ich sofort aus dem Haus. Ich hatte panische Angst vor dem Krampus. Etwas später in meinem Leben lernte ich das Fegefeuer und die Hölle zu fürchten. Ich glaubte, aus den Rissen der ausgetrockneten Erde könnten die Teufel steigen, und ebenso waren mir die Brunnen nicht geheuer. Auch der Wassermann und der Finstermann waren zu fürchten. Und in der Nacht gab es immer jemand, der hinter dem Kasten lauerte und mir das Herz aus dem Leib reißen wollte, wenn ich nicht sofort schrie und schrie, bis meine Mutter kam und Licht machte. Und eine Zeitlang glaubte ich immer den Tod neben mir zu spüren.
Schon als Kind bereitete mir Zeichnen und Malen ein großes Vergnügen. Ich erinnere mich, wie ich am Tisch sitze und Faschingsumzüge zeichne. Ich hatte Lust am Erfinden von Kostümen, andrerseits wollte ich aber auch einen Räuber so darstellen, wie es sich gehört. Das waren gegensätzliche Empfindungen, die mich beschäftigten. Aber meistens hatte ich Freude mit meinen Produkten. In der Schule war ich die erste, die eine Person im Profil zeichnen konnte, und ich erinnere mich, wie ich das den anderen zeigen durfte. Damals wollte ich Lehrerin werden. In der dritten Klasse VS schrieben wir einen Aufsatz zum Thema: „Was ich einmal werden möchte“. Mein Aufsatz wurde in einer Zeitung veröffentlicht.
Ich war ein robustes Kind. Ich raufte mit den Buben und war immer eine Anführerin.
Seit ich male, male ich immer wieder Szenen aus der Kindheit. Ich habe die Absicht, das Thema einmal konsequent zu behandeln. Das Kind, das ich war, bin ich noch immer.
Voriges Jahr öffnetest du dein Traum-Tagebuch und maltest Motive und Träume von dir oder deiner Freundinnen und Nachbarn. Wie kamst du auf diese Idee?
Seit ich 16 bin, schreibe ich Träume, an die ich mich anschaulich erinnern kann, täglich nieder. Wenn nun beim Lesen oder Erzählen der Träume Bilder in mir aufsteigen, male ich sie. Nicht bei allen Träumen ist das der Fall. Und so, wie sich im Geist die Bilder formten, malte ich sie. Wenn ich mit Menschen über dieses Thema ins Gespräch komme und sie mir von ihren Träumen erzählen und ich Bilder dazu sehe, male ich auch diese.
Du maltest Serien von naiven Booten, schwarzen Vögeln ... was inspirierte dich dazu, was willst du damit ausdrücken?
Boote spielen in meiner Bilderwelt eine große Rolle, das stimmt. Ausschlaggebend dafür ist die archetypische Bedeutung des Bootes als bergendes und bewegendes Gefäß auf den Wassern des Lebens. Das Urboot ist die Gebärmutter. Im Boot kann man sich vertrauensvoll treiben lassen, wenn man will, man kann aber auch das Ruder in die Hand nehmen und es lenken und steuern. Mit dem Boot kann man von einem Ufer zum andern gelangen, sogar vom Diesseits ins Jenseits. Und das Boot hat, ganz äußerlich, eine schöne geometrische Form. Vielleicht ist seine Form aber auch deshalb so schön, weil seine Funktion eine gute ist.
Warum Vögel?
Vögel sind Mittler zwischen Luft und Erde, sie sind geflügelt und dadurch den Engeln nahe. Meine Vögel sind aber sehr erdverbunden. Sie sitzen auf Zweigen und Früchten und Schollen, auf Booten und Frauen. Sie wissen von ihren Flugfähigkeiten, sie wollen aber eine Zeitlang auf etwas Festem verweilen, und das ist der Moment, den ich auf meinen Bildern festhalte.
Warum keine Männer?
Diese Frage wird mir oft gestellt. Und noch nie konnte ich sie zu meiner Zufriedenheit beantworten. Ich weiß selbst nicht genau. Erstens habe ich kaum einmal das Gefühl, sie malen zu müssen. Wenn ja, dann male ich sie wie selbstverständlich. Es gibt also Männer auf meinen Bildern. Meine Bilder haben viel mit meinem Leben zu tun. Und ich bin Frau und erlebe wie eine Frau und ich male aus meinem weiblichen Körpergefühl. Ich weiß nicht, ob die Tatsache, dass ich in meinen Bildern Männern selten Raum gebe, darin begründet ist, dass das männliche Prinzip aggressiv, gewaltbereit, zielgerichtet ist. Es ist mir aber wichtig zu betonen, dass ich das Männliche auf der Welt genauso positiv sehe wie das Weibliche. In der Kunstgeschichte ist es gar nichts Besonderes, dass Frauen vorwiegend Frauen darstellen.
Dein heuriges Thema ist?
Ich möchte einmal konsequent an meinen Kindheitserinnerungen dran bleiben, aber das lässt sich nicht erzwingen. Oft ergibt sich durch die Arbeit ein neues Thema, das ich dann verfolge.
Kurzbiografie: Helga Hofer
Geb. 1955 in St. Florian am Inn; verheiratet, drei erwachsene Kinder. Seit Anfang der achtziger Jahre autodidakt künstlerisch hervorgetreten. Am Beginn standen Textilarbeiten. Seit Mitte der neunziger Jahre vor allem Ölmalerei. Publikationen: „Flammengrün“, Zeichnungen und Gedichte aus Paliano, Helga Hofer/ F.X. Hofer, edition innsalz, Aspach 2001. „Husch“, Extra-Rampe, Gedichte für Kinder, Zeichnungen von Helga Hofer, Linz 2001, „Flora – Pflanzenportraits“, Bilder Helga Hofer, lyrische Texte F.X. Hofer, edition innsalz, Aspach 2005. Einzelausstellung zuletzt: Stadtmuseum Deggendorf, Dezember 08. Ausstellungsbeteiligungen zuletzt: Vertretung auf der Kunstmesse in der Landesgalerie Linz durch Galerie RYTMOGRAM im Rahmen der OÖ Landesausstellung Salzkammergut.