Ilse Kilic & Fritz Widhalm. Thomas Havlik

Ilse Kilic / Fritz Widhalm

DAS KUNSTDUO

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die etcetera Ausgabe LitArena 4 wurde illustriert von Ilse Kilic und Fritz Widhalm. Thomas Havlik besuchte die beiden im Fröhlichen Wohnzimmer“ Herbst 2009.

 

Liebe Ilse Kilic, lieber Fritz Widhalm, seit seiner Gründung 1986 ist „Das fröhliche Wohnzimmer“ zu einer renommierten und verdienstvollen Edition geworden, die zeitgenössische experimentelle Literatur verlegt. Was hat euch damals eigentlich dazu bewogen, dass ihr euch entschieden habt, selbst einen Verlag zu gründen? Gab es eine konkrete Initialzündung oder zum Beispiel bestimmte Erfahrungen mit dem herkömmlichen Literaturbetrieb, die dazu geführt haben? Wie lässt sie sich beschreiben, die „Verlagsgründungs-Legende“?

 

Es gab einfach eine Gruppe von AutorInnen, die regelmäßig zusammenkamen, um miteinander zu diskutieren und zu trinken. Und immer mehr kam bei uns das Gefühl auf, dass jene Texte, die wir gerne lesen und auch selbst schreiben, nicht allzu viel Platz in der so genannten „herkömmlichen“ Verlagsszene hatten. Und so begannen wir eben, mit dem Gedanken zu liebäugeln, selbst etwas auf die Füße zu stellen. Eine wichtige Bezugsperson war Christine Huber, die ja dann die edition ch gegründet hat. Unsere Haltung war und ist eine gegen „BestSeller“. Also: mehr Bücher, die von wenigen gelesen werden können, weniger Bücher, die von vielen gelesen werden sollen. Das klingt jetzt etwas verwirrend, ist aber eigentlich ganz einfach und setzt auf die Eigeninitiative der LeserInnen. Und wenn wir nun an den LiteraturVerlag der europäischen Wenigerheiten (EYE Verlag von Gerald Kurdoglu Nitsche) denken, so können wir hinzufügen, dass wir eben in gewisser Hinsicht für mehr Wenigerheiten und für weniger Mehrheiten sind.

 

Was hat sich seit damals in der Kleinverlagsszene geändert?

 

Insgesamt war es für uns sicher noch etwas leichter, Subventionen zu erhalten. Auch die Idee, eine „non-profit“ Initiative ins Leben zu rufen, war generell präsenter. Wir haben halt noch von der Aufbruchsstimmung der Siebziger Jahre profitiert, die ja sehr viel auf Do It Yourself, Mitsprache und kleinere selbstverwaltete Strukturen gesetzt hat.

 

Gab/gibt es editorische Vorbilder?

 

Es gab auf jeden Fall die „edition neue texte“ in Linz, gegründet von Heimrad Bäcker. Und in Wien natürlich die „herbstpresse“ von Werner Herbst und Gerhard Jaschkes „freibord“. Da sahen wir, ja, so etwas ist möglich, man kann Bücher machen, ohne dabei finanziell ganz Bankrott zu gehen, es gibt die Begeisterung für Texte und einen gewissen Zusammenhalt. Und als wir das erste Mal nach Mainz kamen zur Mainzer MiniPressenMesse sahen wir, dass es eine Vielzahl kleiner Editionen gab, zwei riesige Zelte voll „Wenigerheiten“.

 

Seit einigen Jahren gibt es auch „Das Glücksschweinmuseum & Wohnzimmergalerie - listig, programmatisch chaotisch, geordnet“ in der Florianigasse in Wien, in dem ihr eurer umfassendes Programm in den Bereichen Literatur, Kunst, Musik und Comic präsentiert. „Das fröhliche Wohnzimmer“: ein “Gesamtkunstwerk“? Gibt es innerhalb eurer eigenen Arbeitsweise Kriterien, nach denen ihr bestimmt, dieser oder jener Stoff eignet sich am besten zur literarischen, filmischen oder zeichnerischen Bearbeitung? Welche Rolle spielt der innerhalb avantgardistischer Traditionen wichtige Begriff des „Zu-Falls“ in der Auswahl des Mediums, in dem ihr eure Stoffe bearbeitet?

„Welche“ Ilse, „welcher“ Fritz schreibt am liebsten, und welche(r) dreht zum Beispiel einen Kurzfilm oder macht ein Hörspiel? Ist das eine reine Lustfrage oder geht die Antwort mehr in Richtung „aus dem Inhalt ergibt sich die Form“?

 

Nunja, Gesamtkunstwerk, das klingt jetzt etwas monumental, für uns ist es einfach eine Lebensform. Eine Form, unsere Kunst mit unserem Leben in Einklang zu bringen. Dabei geht es auch darum, dass wir selbst durch unsere Arbeit einen Erkenntnisgewinn haben, einen Lustgewinn natürlich auch.

Es gibt also eine kleine oder größere, inhaltliche oder formale Idee und aus dieser ergibt sich wiederum eine gewisse Arbeitsweise, mittels derer wir unser Thema, unsere Idee aus verschiedenen Blickwinkeln wahrnehmen und dabei unser Denken neu organisieren. Wenn man zum Beispiel ein gereimtes Gedicht macht und sucht einen Reim auf Hund, dann eröffnet dieser vielleicht auch eine neue Variante, wie man einen Hund sehen kann. Jede Form ist eine Art Einengung des Blickwinkels, eine Kanalisierung des eigenen Blicks, der dann vielleicht umso schärfer wird, eine Art Teleskop. Oder: Wenn man Wasser beim Fließen behindert, sucht es sich seine eigenen Wege. Aber das sind jetzt alles nur Näherungswerte für den Umgang mit Inhalt und Form, in Wirklichkeit sind diese beiden Begriffe überhaupt nicht zu trennen.

Oft wird eine Idee zuerst ein Stück Literatur, das dann wieder verfilmt und/ oder besungen wird, wobei die Idee natürlich nicht die gleiche bleiben kann. So ist z.B. der Comic eine besondere Art des Erzählens und schafft seine eigenen Wahrheiten, ebenso wie der Trickfilm. Zufall ist in diesem Zusammenhang ein unscharfer Begriff, natürlich gibt es ihn, nicht nur in der Kunst, auch im ganz normalen Leben ist er immer präsent.

Schon allein die Situation, in der wir zum Beispiel an unseren Schreibtischen sitzen, bietet viele Gelegenheiten für Zufälle, wie zum Beispiel das Läuten des Telefons oder das Auftreten eines Computerproblems, das Herumhüpfen der Wohnzimmerkatze oder ein Lied aus dem Radio. Andererseits sind manche dieser Zufälle eben auch in irgendeiner Weise von uns möglich gemacht, durch die Art, wie wir arbeiten. Zum Beispiel könnte das Telefon auch auf „stumm“ geschaltet werden und es ist nicht unbedingt notwendig, eine Katze zu beherbergen. Andere Zufälle wie zum Beispiel eine Krankheit oder ein Sturz von einer zusammenbrechenden Leiter ließen sich offenbar nicht verhindern und beeinflussen unser Leben und damit unsere künstlerische Arbeit, ob wir es wollen oder nicht. Natürlich kann auch jeder Tippfehler Auswirkungen auf den weiteren Verlauf eines Textes haben.

 

Wie seht ihr selbst die Entwicklung des „Fröhlichen Wohnzimmers“, was habt ihr erreicht und was hat sich womöglich anders entwickelt, als ursprünglich intendiert war? Ihr habt ja, so viel ich weiß, beschlossen, künftig keine Einzelpublikationen mehr heraus zu geben, sondern nur noch Anthologien ...

 

Die Entwicklung des Wohnzimmers – also was wir uns überhaupt nicht überlegt hatten, war, dass so ein Projekt ja gewissermaßen ein Lebenswerk ist, also dass es eben etwas ist, das mit den Jahren an Wichtigkeit gewinnt. Wenn man einen Kleinverlag macht, so ist das natürlich erst interessant, wenn ein paar Bücher erschienen sind – also, wenn man nach einem Jahr aufhört, dann ist es schade, weil das einfach viel zuwenig Zeit ist. Naja, und natürlich braucht man auch eine gewisse Zeit, um zu lernen. Also, das haben wir uns nicht überlegt, dass es heißen kann, dass wir gewissermaßen eine Lebensentscheidung treffen. Jetzt ist das glücklicherweise ja gut gelaufen und wir haben genug Energien gehabt für all das und sind gewissermaßen in das fröhliche Wohnzimmer hineingewachsen.

Und was uns anfangs natürlich auch nicht klar war, ist die Tatsache, dass man einfach nie alle Bücher wird machen können, die man machen will. Und dass es einerseits schön ist, wenn AutorInnen das Wohnzimmer als Fixpunkt sehen und sich auf uns verlassen, dass sie immer wieder was schicken können, also genau das, was wir uns selber wünschen als AutorIn: einen Verlag, wo du einfach willkommen bist.

Wenn aber zuviele AutorInnen auf eine so kleine Edition setzen, dann heißt das, dass wir überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, etwas Neues zu entdecken, sondern dass wir einfach damit genug zu tun haben, unseren Fixsternen sozusagen immer wieder Platz anzubieten. Also, es muss einfach mehr kleine Verlage geben. Dass wir keine Einzelpublikationen mehr machen, hat aber auch damit zu tun, dass wir – nach immerhin zirka 80 Einzelpublikationen – einfach wieder mehr projektorientiert handeln wollten, also uns und unsere Ideen auch inhaltlich einbringen. Da gibt es dann eben Bücher zu verschiedenen Themen, wie eben jetzt das Buch „Arbeitstitel POP“.

 

„Ich möchte mit meinen Texten das private Glück als politische Größe definieren.“, steht in einer Sprechblase eines eurer Bilder, die ihr für diese etcetera-Ausgabe gezeichnet habt. Natürlich ist „Das Fröhliche Wohnzimmer“, beziehungsweise euer konsequent praktiziertes Vorbeiproduzieren am Mainstream per se eine Art „literaturbetriebstechnischer Haltung“. Ist es möglich diese zu definieren? Seit ihr jemals in eine Situation geraten, in der ihr sie beispielsweise gegenüber Subventionsgebern oder anderen Autoren nicht nur vertreten, sondern „verteidigen“ musstet?

 

Sicher wurden wir hin und wieder gefragt, warum wir das alles so und nicht anders machen. Ich glaube, im Grunde ist aber ganz klar, was wir meinen, zum Beispiel mit dem Satz vom privaten Glück als politischer Größe. Wir wollen einfach zeigen, dass eine andere Art von Denken und Wahrnehmen möglich ist.

In den siebziger Jahren hieß es, wenn man die Welt verändern will, kann man auch bei sich selbst anfangen. Und wir wollten eben sagen, ja, es ist möglich, dieses Leben so zu leben, dass man etwas für sich selbst und zugleich auch für andere macht. Es ist möglich, zu widersprechen und widersprüchlich zu sein.

Das ist an sich schon eine Stellungnahme gegen gesellschaftliche Zwänge wie zum Beispiel Konkurrenz und Leistungsprinzip.

Wir wünschen uns eben gesellschaftliche Bedingungen, die das „Glück“ leichter erreichbar machen für alle Menschen. Kurz gesagt: Eine andere Welt ist möglich, könnte möglich sein, sollte möglich sein.

 

Welchen Rat könntet ihr denjenigen geben, die sich entschließen, selbst einen neuen Verlag zu gründen? Insbesondere vielleicht: „Verlagsgründung in Österreich?“

 

Naja, also zuerst einmal muss man sagen, dass es eine feine Sache ist, bei der man viel lernen und Spaß haben kann, dass es aber schon auch eine Menge Energie kostet. Und man braucht auch ein Quäntchen Frustrationstoleranz, weil es einfach so ist, dass nicht alle Menschen, und auch nicht alle AutorInnen unheimlich nett oder kooperativ sind, manche aber eben schon. Ganz wichtig ist es, zu versuchen, ein Netzwerk aufzubauen, wobei das ganz schön anstrengend sein kann. Ich finde mittlerweile die Situation, dass jemand als AutorIn einen Kleinverlag macht, sehr gut, denn der oder die kann auch nachvollziehen, wie es einem Autor geht, wenn er z. B. keine Antwort bekommt.

Fairerweise sollte man also mit den AutorInnen so umgehen, wie man es sich selber wünscht. Bleibt zu sagen, dass wir als sozusagen alte Kleinverlagshasen uns wünschen, dass es mehr neue und jüngere Kleinverlagshasen gibt. Naja und zu hoch hinaus soll man vielleicht auch nicht wollen, erstens, weil das sowieso ein Blödsinn ist und zweitens, weil beide Beine am Boden doch auch ziemlich wichtig sind, wenn man stehen, gehen, laufen oder einen Luftsprung machen will.

 

Ganz herzlichen Dank für die Mühe!

 

Ilse Kilic:

Geb. 1958, lebt im Fröhlichen Wohnzimmer (www.dfw.at). Texte, Bilder und Töne.

Zuletzt erschienen: „Vom Umgang mit Personen“ (Ritter Verl., 2005); CD „Wenn ich ein Vöglein wär“ (dfw records, 2006), „Ach die Sprache“ (edition zzoo, 2006). Gemeinsam mit Fritz Widhalm Betreuung der Wohnzimmergalerie mit Glücksschweinchenmuseum in Wien.

 

Fritz Widhalm:

Geb. 1956, lebt in Wien. Text-, Bild- und Tonarbeiten. Zuletzt: „Pubertät mit Mädchen.

Visionen und Versionen“ (Edition ch, 2006); „Ich bin ganz normal. 12 Kilo danach.“ (www.fussnoten.org); Musikvideo „Quite Strange“ (wz-fi lm, 2006). Gemeinsam mit Ilse Kilic Film „Das Wandern“ sowie der bisher vierbändige hyperbiografische Entwicklungsroman.