J. J. Preyer: Gestalten, nicht behaupten! Thomas Fröhlich

J. J. Preyer
Gestalten, nicht behaupten!

 

Der 1948 in Steyr geborene und dort lebende Josef J. Preyer gehört nicht zu jenen Autoren, die vermeinen, permanent zu allem und jedem ihren Senf abgeben zu müssen, wie es – leider – recht viele in diesem Land tun (meistens dann, wenn ihnen schriftstellerisch nichts einfällt). Stattdessen macht er am liebsten das, was er hervorragend kann: nämlich schreiben. Ob Krimis, Thriller oder „Gartenromane“, ob bei Literatureditionen oder im Rahmen von Romanheftserien wie etwa Jerry Cotton – der ehemalige Deutsch- und Englischprofessor Preyer hat absolut keine Berührungsängste zwischen so genannter Hochkultur einerseits und Genreliteratur andererseits. Was ihn zwar für die beamtete hiesige Literaturkritik relativ uninteressant erscheinen lässt, seine immer zahlreicher werdenden Leser jedoch umso mehr freut. Seit beinahe zwanzig Jahren schreibt er auch Sherlock Holmes-Storys, die u.a. im deutschen Blitz-Verlag erschienen sind – wie etwa sein letzter Roman Die Moriarty-Lüge" (Rezension im Heft). Dem etcetera überließ er exklusiv die Holmes-Kurzgeschichte Bella Donna" und gewährte Thomas Fröhlich folgendes Interview.

Lieber Herr Preyer, was war die Initialzündung für Ihre Beschäftigung mit Sherlock Holmes?

Wie wir seit Freud wissen, liegen die Wurzeln unserer Stämme, Äste, Blätter und vielleicht auch Dornen in der Kindheit. In meiner Kindheit gab es einen aufgelassenen Luftschutzraum im Keller unseres Hauses, in dem die Nachbarn Überflüssiges entsorgten. Dazu gehörten zu meinem Glück auch Bücher, darunter Conan Doyles Sherlock Holmes-Romane. Ich las diese Krimis zuerst, in einer großen Pappschachtel versteckt, im Schein einer Taschenlampe, dann wurde ich mutiger und trug das fremde Eigentum auch in unsere Wohnung. Als mein Vater das herausfand, erwartete ich eine Moralpredigt. Stattdessen erinnerte er sich an seine eigene Jugend, an Heftromane, in denen andere Autoren den Meisterdetektiv bunte Abenteuer erleben ließen. Er begann die Bücher aus dem Keller selbst zu lesen und erzählte mir einige Geschichten, an die er sich noch erinnern konnte. Im Kino sahen wir am Beginn der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts den Hund von Baskerville mit Christopher Lee und Peter Cushing, einen Film aus den legendären Hammer-Studios. Zu Weihnachten erhielt ich neue Holmes-Romane aus dem Blüchert-Verlag.

Wenn Männer älter werden, werden sie wieder kindisch, heißt es. Das war bei mir im Jahr 1996 der Fall. In Erinnerung an das Leseabenteuer der Jugend schrieb ich meinen ersten eigenen Sherlock-Holmes-Roman.

Wie stellen Sie sich Holmes vor? In einem Interview sagten Sie einmal, dass Sie Rupert Everett als bis dato beste Filmbesetzung empfanden? Finde ich auch, aber wie ist Ihre Begründung?

Ich stelle mir Holmes als meinen Latein- und Englischprofessor im Gymnasium vor. Ein hochbegabter, kaputter Mann. Arrogant und doch verletzlich, über den Dingen stehend, weil er genügend Tabletten und Whisky konsumierte. Den Lehrstoff hatte er im kleinen Finger der linken Hand, sodass er seine Stunden halb bewusstlos abspulte und wir dennoch nicht aufzumucken wagten. Wir Schüler waren sein Watson. Ohne uns wäre er erledigt gewesen. Der Kampf gegen unsere Unwissenheit war sein Kampf gegen das Böse in der Welt. Unser Unwissen war sein Moriarty.

Bei Rupert Everett kommt zu dieser feinsinnigen Arroganz noch die sexuelle Ambivalenz dazu, sodass eine vor Spannung zwischen entgegen gesetzten Polen schillernde und flirrende Persönlichkeit entsteht, die natürlich Watson an ihrer Seite benötigt, um nicht Form und Substanz zu verlieren.

Wie erklären Sie die Faszination der Gestalt Sherlock Holmes heute - immerhin nach 125 Jahren?

Holmes und Watson verkörpern die Kämpfer gegen das Böse, die in der Literatur oft paarweise auftreten: Don Quichotte und Sancho Pansa, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, Stan Laurel und Oliver Hardy, Jerry Cotton und Phil Decker …

Sie verwenden in Ihren Holmes-Stories oftmals Anspielungen auf andere literarische Werke der damaligen Zeit (bei der Moriarty-Lüge etwa die Schriften von Oscar Wilde). Was ist so faszinierend an der viktorianischen Literatur?

Mich fasziniert an der viktorianischen Literatur die Existenz aller Leidenschaften, die nun in vielen Werken des 21. Jahrhunderts detailliert vor den Lesern ausgebreitet werden. Das Reizvolle an der viktorianischen Literatur sind also das Vorhandensein dieser Leidenschaften und der vorsichtige sprachliche Umgang damit. Der Mensch wird nicht nackt gezeigt, sondern erotisch ver- und enthüllt.

Sie sind ja ein Vielschreiber (was überhaupt nicht negativ gemeint ist – ganz und gar nicht). Was ist Ihr Antrieb beim Schreiben?

Diese Frage führt an den Anfang unseres Gesprächs zurück, zu Freud. Er würde mich, wäre ich sein Patient oder Klient, mit wasserhellen Augen prüfend betrachten und dann feststellen: Der Mann schreibt aus Angst. Aus Angst vor dem Tod und der Einsamkeit, die damit einhergeht. Ich würde protestieren und einwenden, ich schriebe aus Lust, aus Lebenslust, um meine Fantasien ausleben zu können. Freud würde feststellen: „Also aus Angst, von den Phantasien in den Wahnsinn getrieben zu werden.“ Mir würden die Worte fehlen, mich dagegen zu verteidigen.

Sie schreiben in unterschiedlichen Bereichen, von der so genannten Hochkultur bis hin zu Jerry Cotton. Was die Gralshüter der „reinen Lehre“ wahrscheinlich eigenartig finden. Was ist für Sie – ganz persönlich – Literatur? Und welche Aufgabe hat sie bzw. soll sie Ihrer Meinung nach haben?

Ein literarischer Text soll eine Einheit von Inhalt und Sprache bilden. Er soll Leben und Szenen gestalten, nichts behaupten. Die Sprache soll den Charakter des Erzählers (damit ist nicht in erster Linie der Autor gemeint) reflektieren. Wenn der Verfasser zusätzlich etwas Wesentliches mitzuteilen hat, wird Literatur aus dem Text. Ich begnüge mich manches Mal mit Unterhaltung, manches Mal möchte ich mehr ausdrücken, Fragen, das menschliche Dasein, den Tod betreffend, aufwerfen, Antworten suchen, diese aber wie Shakespeare in groteske Geschichten kleiden, auch den Clown, und besonders diesen, Weisheiten erleben, erkennen und aussprechen lassen.

Was lesen Sie selbst am liebsten?

In meinem Beruf als Deutsch- und Englischlehrer an Gymnasien musste ich im Studium und danach viele Bücher lesen, die ich freiwillig nie zur Hand genommen hätte. Übrig blieb mein Interesse an Shakespeare und Goethe. Ansonsten lese ich Kriminalromane, hauptsächlich von englischsprachigen Autoren.

Gibt es etwas, was Sie uns noch auf den Weg mitgeben wollen?

Mir ist unlängst ein Zitat von Shakespeare in der Übersetzung von Friedrich Schiller untergekommen, das ich als Motto meiner Schreibarbeit recht passend finde:

Was ist Leben?
Ein Märchen ist es, das ein Tor erzählt,
Voll Wortschwall, und bedeutet nichts.

Ich danke für dieses Gespräch!

J. J. Preyer
Geb. 1948 in Steyr, OÖ. Ab dem 14. Lebensjahr literarische Veröffentlichungen. Studium Deutsch und Englisch in Wien. Lehrtätigkeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung. 1982 Initiator des Marlen-Haushofer-Gedenkabends, der nicht zuletzt durch die Teilnahme von Hans Weigel den Anstoß zur Wiederentdeckung der Autorin gab. Mitarbeit an der Kinderzeitschrift KLEX von Peter Michael Lingens. 1996 gründete er den Oerindur Verlag, Verlag für lesbare Literatur und Krimis. Letzte Veröffentlichung: Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge, Blitz-Verlag, 2012.

Zur LitGes Rezension Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge: Josef J. Preyer

LitGes, etcetera 48/ Teddy/ Oktober 2012