Johann Feilacher: Gugging, ein Ort zwischen Kunstmarkt und Menschlichkeit. Ingrid Reichel

 
Johann Feilacher
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Johann Feilacher
Gugging, ein Ort zwischen Kunstmarkt und Menschlichkeit

Ungekürzte Fassung des Interviews.
Ingrid Reichel besuchte Johann Feilacher, den künstlerischen Leiter des Art-Brut-Centers Maria Gugging am 15. Januar 2013.

Weil ich von einer Literaturzeitschrift komme, beginnt Johann Feilacher von sich aus von Edmund Mach, dem Gugginger Literaten, zu erzählen:

Edmund Mach hatte eine spannende Geschichte. Er hat als Dichter und Schriftsteller in Gugging gelebt und gearbeitet. Mach hatte einen Lebenstraum, er wollte immer nach Amerika gehen. Er ist als Jugendlicher schon oft in Genua gewesen, wollte mit dem Schiff rüberfahren, das hatte aber nie funktioniert.
Als er im Haus der Künstler schließlich gelebt hat, hat er mich dann wirklich gepiesackt: „Ich will unbedingt nach Amerika.“ Alleine konnte er das nicht, also haben wir beschlossen, gemeinsam dort hin zu fliegen. Da er sehr publikationsfreudig war, habe ich Freunde von der Neuen Züricher Zeitung angerufen. Eine Journalistin und ein Fotograf kamen mit, um den Lebenstraum eines Schriftstellers zu dokumentieren und für die NZZ zu publizieren. Er war Mitte 60 und gesund. Wir hatten auch die Gesundenuntersuchung gemacht. Nach Chicago und St. Louis landeten wir in New York. Im Holiday Inn in Chinatown, wo er unbedingt hin wollte, haben wir am Abend vor dem Rückflug zum Abschluss zu viert noch in der Bar etwas getrunken. Dann ist er in unser gemeinsames Zimmer gegangen. Als ich um 23 Uhr hinaufgekommen bin, ist er tot im Bett gelegen. Er wollte - sozusagen - nicht mehr zurück. Ganz friedlich ist er dort eingeschlafen.

Woran ist er gestorben?

Wir haben ihn nicht obduziert. Er hatte langjährig einen Diabetes, der aber behandelt war. Wahrscheinlich hatte er einen Schlaganfall. Wir hatten auch die Mordkommission dort, wissen Sie, so Kojak und Co.

Wo liegt Mach begraben?

Wir haben ihn drüben verbrennen lassen. Aber seine Urne ist hier in Österreich begraben worden.

So ist er doch nicht wunschgemäß in Amerika geblieben…

Nein, er ist nicht endgültig in Amerika geblieben, aber seine Seele sozusagen.

Woher kam dieser Traum?

Den hat er immer schon gehabt. Wenn man seine frühen Texte liest … er war ja Amateurboxer und dann hatte er Englisch und noch etwas studiert, er war auch semi-professioneller Tennisspieler, kam aber dann aus diversen Gründen in die Psychiatrie und hat hier zu schreiben begonnen.

Ich habe gelesen, es gibt zurzeit zwölf Bewohner im Haus der Künstler. Aber nur sechs von ihnen werden ausgestellt.

Es ist so: Es sind zwölf talentierte Menschen. Es gehören viele Faktoren dazu, damit aus einem Menschen mit Talent auch ein aktiv ausübender Künstler werden kann. Wenn Sie psychische Probleme haben, ist es noch schwieriger. Das heißt, es wird nicht aus jedem Talent ein Künstler. Wir schaffen nur die Möglichkeiten, um sie dahin zu führen.

Sind noch Plätze frei?

Wir hätten noch zwei Plätze frei, ja.

Nach welchen Kriterien werden die Mitbewohner ausgesucht?

Hier kann nur der bleiben, der wirklich auf irgendeinem künstlerischen Gebiet ein Talent hat. Wenn kein Talent vorhanden ist, können wir die Person nicht aufnehmen. Das gehört zu den Grundkriterien des Hauses.

Wer beurteilt das? Sie oder gibt es da ein Gremium?

Nein, ich halte von Gremien in der Beurteilung nichts, weil das ist so wie Demokratie: Das ist schön, und es passiert nichts Furchtbares, aber es passiert auch nichts Besonderes. Kunst ist aber etwas Besonderes, etwas ganz Individuelles, daher kann es auch nur individuell ausgesucht werden. Letztendlich suche ich sie aus. Anhand eines Zeichentests kann man feststellen, ob jemand in der Lage ist, nicht nur so wie die Masse, sondern in einem eigenen Weg, formale Lösungen in der Zeichnung zu finden. Ich sehe das nicht als subjektive Lösung, sondern als intersubjektiv. Ich bin nur ein Mitglied einer bestimmten Gruppe von Leuten, die sich täglich mit Kunst beschäftigen - mit zeitgenössischer Kunst und Künstlern - und das seit dreißig Jahren. Das heißt, wen oder was ich auswähle, ist sozusagen eine gruppenspezifische Auswahl am Durchschnitt der westlich orientierten Kuratoren. Das klingt schein-individuell, ist es aber nicht.

Haben diese Personen schon vorher gemalt, sich künstlerisch betätigt?

Njaein, das ist ganz unterschiedlich. Es gibt jede Form von Geschichten. Es gibt Leute, die noch nie gezeichnet haben und trotzdem ein Talent haben. Sie wissen es meistens nicht. Die Kunst ist, die zu finden. Das kann man anhand von Zeichentests machen.

Wie oft finden solche Tests statt?

No, zufällig. Die meisten, die sich bewerben, haben schon lange auf irgendeine Art und Weise gezeichnet. Oder deren Verwandte, oder Betreuer kommen, Bekannte, Galeristen oder wer auch immer. Das Problem dabei ist, dass jemand, der mit dem zeitgenössischen Kunstgeschäft nichts zutun hat, und auch kein Sammler ist, meist ein ästhetisches Erleben hat, das etwa 100 Jahre zurückliegt. Die sind etwa im Jugendstil verhaftet; den Impressionismus empfinden sie als schön, Expressionismus ist schon kritischer. Das heißt, dass jene Arbeiten, die hergeschickt werden, deren ästhetischen Erleben entsprechen. Wenn also einer „schöne impressionistische“ Bilder malen kann, dann ist er ein Künstler. Für Zeitgenossen ist er das nicht, sondern ein Handwerker. Um Kunst zu machen, gehört etwas Eigenes dazu. Deswegen ist es schwierig, wirklich talentierte Leute zu finden. Überspitzt gesagt, man findet sie im Mistkübel. Denn wenn jemand etwas ganz Neues findet, dann ist das für die ungeübte Seher-Umgebung eine unangenehme visuelle Information und die wird meistens weggeschmissen. Die landet im Mistkübel. Oft werden die GUTEN Arbeiten weggehauen und die handwerklich guten Arbeiten, die aber künstlerisch nicht interessant sind, werden aufgehoben.

Im Jahr 2000 hat sich der Künstlerpavillon von der Klinik autark gelöst. Sie sind seit 1986 Leiter.

Ja. Vor 26 Jahren habe ich die Leitung übernommen. Ich habe damals schon aus der ehemaligen Primariatsabteilung eine reine Wohngemeinschaft gemacht. Es war kein Teil der aktiven Klinik mehr, sondern eine Wohngemeinschaft, die hier am Gelände war.

Hat es das Haus schon gegeben, oder wurde es extra gebaut?

Das Haus wurde 1890 gebaut. Es war die Infektionsabteilung. Früher hat man die Infizierten, weil man noch kein Antibiotika kannte, ganz weit weg in den Wald geschickt. Nach dem Krieg war es lange Zeit die Alkoholikerabteilung, weil man geglaubt hat, dort kommen die weniger zum Schnaps, das war aber ein völliger Unsinn. Der Wein wurde hinter den Bäumen vergraben, da konnte man beim Ausgang einen Schluck nehmen. Und dann hat 1981 Leo Navratil, der frühere Leiter, dieses Haus als Teil der Abteilung II bekommen und hat es Abteilung für Kunsttherapie genannt. Ich habe sie 1986 in Haus der Künstler umbenannt.

Wie viele waren am Anfang maximal untergebracht?

Am Anfang waren es 18. Im Vergleich zu den damaligen Klinikräumen waren wir hier besser ausgestattet. Für heutige Standards natürlich nicht. Wir haben die Plätze, die frei wurden, sehr lange einfach nicht mehr nachbesetzt, da hier Substandard war. Vor zwei Jahren hat letztendlich der Landeshauptmann geholfen, wir haben Geld für einen Zubau und eine Totalsanierung der alten Räume erhalten. Für heutige Zeit war es zwischendurch katastrophal. Jetzt haben wir sehr schöne Räume mit zeitgemäßem Standard, die wir auch jedem anbieten können.

Trotzdem ist es eine reine Männerabteilung geblieben.

Nein, nein überhaupt nicht. Ich habe das bereits im Jahr 2000 geändert. Wir hatten immer wieder Frauen zwischendurch.

Damals war es halt sehr schwierig, eine Etage musste wegen der Sanitäranlagen für Männer reserviert bleiben. Jetzt hat jedes Zimmer seine eigene. Wir haben eine Frau schon seit langem da. Ich würde auch jederzeit Frauen aufnehmen. Wir hätten auch zwei Frauenplätze frei. Das Problem ist nur, dass viel seltener talentierte Frauen zu finden sind. Wir suchen. Ich hätte gerne mehr Frauen. Das wäre ein Gewinn.

Interessant, auf der Homepage erscheinen nur Männer, vielleicht habe ich ihren Namen überlesen.

Die Frau, die im Haus wohnt, wird von der Galerie nicht vertreten, dafür aber eine andere Frau, die regelmäßig das Atelier besucht.

Werden auch immer Gäste ins Atelier eingeladen?

Das Atelier ist ein offenes Atelier für jeden, der sich anmeldet. Auch Sie können da malen. Die Künstler aus Gugging arbeiten hier, weil es ihnen gefällt, weil sie mit anderen kommunizieren können, da gibt es z.B. einen Malermeister aus Wien, einen Artist in Residenz aus Deutschland, dann wieder einen Studenten der Akademie, es ist ein bunter Haufen. Aber es gibt auch Menschen, die besondere Bedürfnisse haben, und die können im Sinne einer Tagesbetreuung mitbetreut werden.

Wie wird das bezahlt?

Über die Sozialabteilung des Landes (NÖ). Im Prinzip machen wir eine Spezialform einer Beschäftigungstherapie. In Wirklichkeit schaffen wir einen Arbeitsplatz mit Talentförderung, sodass, wenn genügend Talent vorhanden ist und es die psychisch Lage erlaubt, ein Künstler entsteht. Leonhard Fink z.B. hat diese Qualität erreicht. Seit 9/10 Jahren ist er hier. Er hat ganz jung angefangen und vor zwei Jahren einen großen Entwicklungssprung gemacht. Nun wird er in der Galerie vertreten und ich habe erstmalig sogar zwei Bilder von ihm im Museum hängen.

Haben diese Menschen Heilungschancen? Die meisten bleiben hier bis zum Lebensende

Was ist Heilung?

Naja, dass sie wieder wegkommen

Das heißt nicht geheilt. Heilung ist ganz was anderes. Heilung würde heißen, dass eine Krankheit weggeht und nicht wieder kommt. Das gibt es in dieser Form der Psychiatrie nicht. Was wir tun können, abgesehen von psychotherapeutische Methoden und medikamentösen Einstellungen, ist, dass auch ein Behinderter, seinen Bedürfnissen gemäß gut und glücklich leben kann. Darum geht es und genau das fördern wir hier.

Aber ein Zurück in die (normale) Gesellschaft gibt es nicht?

Im Prinzip ist jeder freiwillig hier. Es kann jederzeit jeder gehen. Wir haben viele Gäste, die es immer wieder draußen versuchen, was meistens nicht funktioniert.

Da das Haus der Künstler ein privater Verein ist und es keine Klinik mehr gibt, wie funktioniert die medizinische Versorgung, wenn man sich eine Psychiatrie vorstellt? Sie selbst sind ja Psychiater.

Es ist keine Psychiatrie. Es ist eine Wohngemeinschaft, wie eine Künstlerkolonie. Wenn dort einer eine Grippe hat, geht er zum Hausarzt, wenn er einen Diabetes hat, geht er zum Internisten. Genauso ist es hier.

Aber sie sind als Psychiater hier.

Nein, ich bin nicht als Psychiater hier. Ich habe als Konsiliarius noch extra einen Psychiater. Ich bin simpler Heimleiter. Das heißt, Sie müssen nicht Psychiater sein, um so ein Heim zu leiten. Keine Frage, man tut sich leichter. Der normale Heimleiter würde einen Konsiliarius herholen. Oder die Herrschaften gehen nach Bedarf zum Arzt in die Praxis. In unserem Fall machen wir es anders. Wir können uns dadurch erlauben auch Menschen aufzunehmen, die etwas schwieriger sind.

Die Gugginger Künstler sind am Kunstmarkt gut vertreten. Wie wirkt sich das finanziell aus? Kann dieses Geld auch für Umbau- oder Sanierungsarbeiten verwendet werden?

Nein. Jeder hier ist freischaffender Künstler. Wenn einer dieser Künstler, der zuerst von der Sozialabteilung finanziert wurde, mehr verdient, dann zahlt er zurück. Das heißt, Gugginger Künstler sind regresspflichtig. Und das funktioniert. Je nach Einkommen zahlen sie zurück. Oder im Idealfall wie bei Tschirtner, Walla und Hauser zahlen sie alles selbst. Tschirtner war z.B. reiner Selbstzahler, das heißt, die Landesregierung hat sich in diesem Fall sämtliche Sozialgelder durch den Eigenverdienst des Künstlers erspart. Natürlich steigen die Preise nach dem Tod, wie bei Walla, Tschirtner … das ist die normale Kunstentwicklung.

Aber davon hat natürlich keiner etwas.

Aber irgendwer profitiert doch?

So wie bei jedem anderen profitieren die Erben.

Aber die meisten haben keine Verwandten mehr, haben keine Kinder …

Dann kassiert der Staat. Bei August Walla z.B. ging das Erbe an die Finanzprokuratur des Staates Österreich.

Warum kann Gugging nicht erben?

Ich habe die echte Individualität eingeführt. Nicht eine Institution kassiert, sondern der Künstler ist eine freischaffende eigene Persönlichkeit. Das ist das Wichtige. Er ist gleichgestellt. Er hat die gleichen Rechte, die gleichen Probleme wie jeder andere Künstler. Das war immer meine Grundeinstellung. Wenn es keine Verwandten gibt, erbt der Staat die Werke und der verkauft sie dann.

Der Staat archiviert die Werke nicht?

Nein, der Staat bzw. die Finanzprokurator will nur Cash.

Ist das nicht ungeschickt?

Darüber gibt es keine Diskussion. Es ist auch keine schlechte Politik, denn es gibt keinen Beamten, der mit Kunst umgehen könnte. Damit es Geld bringt, müssten der Staat eine Galerie betreiben und das geht nicht.

Aber die Galerie wäre doch schon da …

Ja, aber die muss die Werke kaufen bzw. ersteigern. Die Finanzprokuratur lässt die Werke von Experten schätzen und veranstaltet eine gedeckte Versteigerung. Gedeckt heißt: Man weiß nicht, um wieviel andere mitsteigern. Um mitzusteigern muss man mindestens den Schätzwert zu einem bestimmten Termin anbieten. Wenn man hoch genug ist, höher als andere, kann man das Werk vom Staat kaufen.

Wie steht nun der Verein der Gugginger Künstler finanziell da?

Es ist so, es gibt hier für jede Betätigung eine Institutionen. Da ist der Non-Profit-Verein für die allgemeinen Dinge und die Förderung der Künstler. Dieser Verein hat ein Department, das die Wohngemeinschaft und das Atelier betreut. Dann gibt es die private KG, die im Besitz der Künstler ist. Und diese hat eine GesmbH, das ist im Prinzip die Galerie. Sie ist im Besitz von sechs Künstlern.

Wie ist das möglich, sind diese Künstler nicht entmündigt?

Entmündigung gibt es schon seit 30 Jahren nicht mehr. Es gibt nur mehr eine Besachwaltung. Das bedeutet, ein Rechtsanwalt vertritt die Interessen der Gugginger Künstler in der KG, damit alles korrekt ist. Aber wenn die Galerie einen Gewinn abwirft, gehört er ihnen. Wobei die Galerie nicht wirklich Gewinne macht. Sie ist dazu da, damit jeder Künstler selber einen Vertrag mit der eigenen Galerie hat, die seine Werke vertritt. In Wirklichkeit ist es der Vertriebsmodus, den sie selber über unsere Mitarbeiter machen.

Da gibt es auch Angestellte.

Ja, es gibt überall Angestellte. Im Verein, im Heim, in der Galerie. Das Museum selbst wird von der NÖ Museumsbetriebsgesellschaft betrieben und hat ihre eigenen Angestellten.

Das heißt die Galerie muss sich selbst finanzieren?

Ja, sie muss sich völlig selbst finanzieren. Es ist alles privatwirtschaftlich organisiert. Niemand fällt jemandem zur Last. Wir müssen wie jede andere Galerie darum raufen, Bilder weltweit zu verkaufen. Wir agieren mit 30 Galerien: in New York, Chicago, Paris, Berlin …

Ich nehme an, das organisieren Sie?

Nein, das haben ich schon an Frau Mag.a Nina Katschnig abgegeben, die bei mir vor 15 Jahren (1997) angefangen hat. Sie hat schon nach drei Jahren die Galerie geleitet. Später haben wir die Galerie in ein moderneres Konstrukt umgewandelt. Sie ist nun die Geschäftsführerin der Galerie.

Natürlich arbeiten wir alle zusammen. Die Kunst ist, einen Kopf zu haben, der weiß, dass es um ein großes Ganzes geht und nicht um ein Detail. Es geht nicht nur um ein Museum, um eine Galerie, um einen Verkauf. Es geht letztendlich um die Ideologie, die ich von Anfang an hatte, dass talentierte Menschen, die sich selbst nicht vertreten können, die Chance erhalten auch international respektiert zu werden und etwas zu verdienen. Dieser Grundidee sind all diese Institutionen untergeordnet und führen zu diesem Ziel. Letztendlich auch das Museum, das eine Erhöhung ist. Jede museale Ausstellung, die wir im Ausland machen, ist eine Imageerhöhung. Gleichzeitig bringt es den Gugginger Künstlern etwas mehr Geld.

Sie dürfen aber nicht vergessen, dass von einem Bild, das an der Wand hängt und € 2000.- kostet, nach Abzug aller Steuern, etwa 20 % Prozent übrig bleiben. Sie sehen, soviel ist da nicht zu verdienen. Soviel wird auch nicht verkauft. Erst nach Todesfall, Sie wissen wie es läuft, dann steigen die Preise in Business-Qualitäten. Das hat aber dann mit uns nichts mehr zu tun.

Die Galerie vertritt nicht nur die Gugginger Künstler, sondern auch außenstehende Künstler.

Wir haben gerade jetzt zwei Künstler von außen dazu genommen, weil wir eine gute Mischung brauchen. Das heißt die Galerie macht wie jede andere Verträge mit Künstlern, die entweder von Gugging sind oder nicht. Mit den Gugginger Künstlern alleine könnte derzeit die Galerie nicht überleben. Wir müssen Künstler dazu nehmen, vor allem internationale, weil sonst das System nicht funktionieren würde. Mag.a Katschnig bestimmt das für die Galerie, als Kurator und künstlerischer Leiter des Museums bestimme es ich für das Museum. Wir haben auch noch eine Privatstiftung für die Künstler, die Bilder stiften, damit das Museum eine Sammlung hat, die allgemein öffentlich erhalten bleibt. Die Werke gehören dann der Allgemeinheit.

Gab es schon einmal eine künstlerische Idee, die nicht realisierbar war? (Zu kostspielige Materialkosten etc.)

Nein. Die sind alle realistisch.

Im Eingangsbereich der ISTA ist ein Mahnmal* ausgestellt. Es soll an die NS-Medizinverbrechen, die in dieser Nervenheilanstalt verübt worden sind, erinnern. Es ist von Dorothee Golz und wurde 2008 von einer internationalen Jury ausgewählt. Gab es gar keine Bestrebungen die Gugginger Künstler für das Mahnmal zu beauftragen?

Vor 20 Jahren wurde bereits ein Mahnmal errichtet. Das war so eine schwindelige Tafel, weil der damalige Direktor der Klinik es nicht so groß machen wollte. Sie stand unten beim Teich und wurde dann entfernt. Heute steht das Mahnmal bei der Kirche. Das zweite Mahnmal wurde in dem Moment ausgeschrieben, als die ISTA begonnen hat. Wir haben uns gar nicht beteiligt, weil die ganz klar etwas Zeitgenössisches haben wollten. Wir beteiligen uns nie bei Wettbewerben. Aber Oswald Tschirtner hat z.B. ein fünf Meter hohes Mahnmal gegen die Ermordung der Psychiatriepatienten in Tirol gemacht, das steht auf dem Universitätsgelände in Innsbruck.

Warum machen die Gugginger Künstler prinzipiell bei keinen Wettbewerben mit?

Weil wir uns nicht durch irgendein demokratisches Gremium bewerten lassen. Wir machen nicht einmal Aufträge. Unsere Künstler arbeiten kaum gezielt. Sie arbeiten aus sich heraus. Dann würde vielleicht etwas zum Thema entstehen, vielleicht aber auch nicht. Also, es gibt einige Einschränkungen der Künstler.

Trotzdem, haben Sie nicht das Gefühl, Sie werden schon langsam von der ISTA eingeengt?

Nein, im Gegenteil. Ich fühle mich viel freier als früher. Früher hatte die Psychiatrie das ganze Gelände absolut beherrscht, zum Teil auch gesperrt, ja besetzt. Die ISTA hat ein paar Labors und es laufen ein paar Leute herum. Es wird zwar noch gebaut, das hört dann bei der Kirche aber auf. Es werden aber noch Kunstprojekte kommen, über die ich jetzt nicht reden kann.

Dieser Tennisplatz gegenüber dem Haus der Künstler gehört der zur ISTA?

Ja, der gehört leider zur ISTA. Seit 25 Jahren will ich ihn haben, aber ich bekomme ihn leider nicht. Das Problem ist, so eine internationale Institution muss für ihre Studenten Sportplätze anbieten, ob die nun benutzt werden oder nicht. Unten ist ein Fußballplatz, und den Tennisplatz haben sie genommen. Ich wäre der Erste, der den Tennisplatz selbstfahrend mit dem Caterpillar hinabschiebt und stattdessen einen Skulpturenpark errichtet. Jeder im Land lacht schon darüber. Ich bin kein Feind von Sportplätzen, doch an dieser Stelle ist er einfach falsch.

Wenn Sie erlauben, möchte ich noch auf Sie persönlich zu sprechen kommen. Üben Sie den Beruf als Psychiater noch aus?

Nein, damit habe ich vor 15 Jahren aufgehört.

Sie sind freischaffender Künstler und leiten dieses Art-Brut-Center, vermischen aber nicht die Dinge. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?

Ich habe mein ganzes Leben immer „nebenbei“ künstlerisch gearbeitet. Auch während meines Medizinstudiums habe ich abwechselnd drei Monate gemalt, drei Monate studiert.

Sie sind dann von der Malerei zur Skulptur übergegangen.

Genau. Ich habe als Kind mit dem Schnitzen angefangen. Als Jugendlicher habe ich mehr gemalt. Mit geringem Erfolg. Nachdem Leo Navratil mich eingeladen hat, nach Gugging zu kommen, habe ich meine beiden Interessen schließlich verbinden können. Ich mache aber beides parallel. Denn wenn man hier in Gugging arbeitet, ist man natürlich einseitig bekannt. Daher habe ich sehr viele Projekte im Ausland gemacht. Ich habe in Amerika, Italien, Slowenien, England … gearbeitet, also überall, wo man große Skulpturenprojekte machen kann. New York, Miami, Stevens Point in Wisconsin …

Ich kenne Ihre Arbeiten nur anhand von Fotos aus dem Internet. Die Skulpturen sind vorwiegend aus Holz, nun kombinieren Sie sie auch mit Stahl.

Ja. Meine Homepage ist leider veraltet. Seit einem halben Jahr arbeite ich an einer neuen, aber ich komme einfach nicht dazu, sie fertig zu stellen.

Ist es nicht sehr anstrengend diese beiden Berufe zu verbinden, vor allem wenn Sie von Ausstellungen im Ausland erzählen?

Nein, heutzutage ist das nicht so problematisch. Ich bin zwar für ein bis zwei Monate fort, aber es gibt Internet und Flugzeuge, das ist nicht so schwierig. Ich mache viele große Dinge, die ich nur im Freien machen kann. Ich arbeite ja mit der Kettensäge. In meinem Atelier in Seitzersdorf/ Wolfpassing bei Stockerau habe ich meinen 27tonner LKW mit Kran stehen. Dort kann ich wirklich in Ruhe mit Stämmen, die bis zu 12 Tonnen wiegen, arbeiten. Natürlich ist es im Frühjahr und Sommer besser draußen zu arbeiten. Deshalb konzentriert sich meine Tätigkeit in Gugging im Winter. Hier kuratiere ich die Ausstellungen, mache Kataloge, betreue das Künstlerhaus, ich kann auch mittags ins Atelier … ich kann mir das frei einteilen.

Wissen die Gugginger Künstler, dass Sie Künstler sind?

Jaja, das wissen sie schon, aber es interessiert sie nicht. Es interessiert sie keine andere Kunst als die eigene. Auch nicht die vom Nachbarn. Außer es nimmt einer dem anderen die Show weg.

Dann unterscheiden sich die Gugginger Künstler kaum von denen, die als normal gelten?

Wenn Sie definieren, was normal ist … Nein, in der Beziehung unterscheiden sie sich von allen anderen Künstlern nicht. Sie sind wie jeder andere genauso eifersüchtig oder nicht eifersüchtig.

Ich denke, das ist einen gutes Schlusswort. Ich danke für das Gespräch.

*Memorial Gugging: www.mwmorialgugging.at

Johann Feilacher
Geb. 1954 in Villach. Studium der Medizin in Graz. 1983-86 Assistent von Prof. Dr. Leo Navratil im Haus der Künstler in Gugging. Leitung des Hauses seit 1986. Zur gleichen Zeit beginnt eine intensive Arbeitsphase von Holzskulpturen mit der Kettensäge im freien Raum. Hauptmaterial seiner Arbeiten ist Holz. Seit 2002 kombiniert er in seinen Skulpturen und Installationen Holz mit Stahl oder arbeitet mit Kunststoff: glasklare Holzgüsse aus Polyurethan. Erste Großskulpturen entstanden in England (Hildon House Park) und danach in den USA wie im Socrates Sculpture Park in New York City und Kouros Sculpture Center in Ridgefield, CT. 1997 schuf er die derzeit größte zeitgenössische Holzplastik im Laumeier Sculpture Park in Saint Louis, Missouri. Mit öffentlichen Werken ist er ferner u.a. vertreten in der University of Wisconsin, Stevens Point, Forma Viva, Kostanjevica na Krki, Slowenien, Skulpturenpark Rosental, Kärnten, Art e Sella, Borgo Valsugana, Italien, Kärnten. Neben seiner Tätigkeit als Leiter des Haus der Künstler und jener als Künstler, publiziert er Bücher, Kunstkataloge und Beiträge für Kunstzeitschriften, vorwiegend zum Thema Art Brut.
Atelier: Seitzersdorf-Wolfpassing 5, 3464 Hausleiten, NÖ. www.feilacher.com
Abdruck der Fotos der Werke und der Lyrik mit freundlicher Genehmigung des Art-Brut-Centers-Gugging, Dr. Johann Feilacher. www.gugging.org

LitGes, etcetera 51/viel-leicht/ März 2013