Lutz Bielefeldt: Kartenpeitschen. Eva Riebler

Lutz Bielefeldt
KARTENPEITSCHEN

Eva Riebler besuchte den Maler Lutz Bielefeldt im November 2007 in seinem Atelier in Wien.
Wie Unsinn sinngebend ist und wie Anarchie spielerisch umgesetzt werden kann, verrät Ihnen der Künstler des Ausgabe etcetera 31/ ZUCKER.BROT/ März 08.

Die Kunst ist üblicherweise der Zucker am Brot. Bei Dir als Künstler ist die Malerei das Brot. Was ist dann der Zucker?

Ich bezweifle so ein bisschen die Definition. Natürlich versüßt die Kunst dem Menschen auch das Leben. Für mich liegt in Kunst aber einfach auch Notwendigkeit, um das Leben zu erkennen, auf der Suche nach Wahrheit, letztendlich überhaupt das Leben erträglich zu machen. Solch schöne Sachen wie Lust und Erkenntnisgewinn. Natürlich hat dies etwas mit Zucker zu tun, aber es ist so notwendig wie das Brot. Für mich ist die Kunst beides: Ich brauche sie und davon zu leben ist etwas Wunderbares.
Wie siehst du das Verhältnis des Malers zur Politik? Ist er Mahner? Kann er was bewirken? Willst Du das?

Für mich ist jede Art von künstlerischer Äußerung ein politisches Statement, ob bewusst oder nicht. Mahnen hört sich für mich allerdings sehr langweilig an. Ich sehe das nicht als meinen Auftrag. Ich empfinde auch Kunst als sehr nervtötend, die der Gesellschaft ihren Spiegel vorhalten will. Mir ist wichtig, dass das, was ich mache, aufregend ist, und es freut mich, wenn es anregend ist für jemand, der sich damit auseinandersetzt.

Du bist aus Deutschland nach Wien zum Studium gekommen. Wie siehst du deine Chancen als deutscher Künstler in Österreich?

Ja, meine Chancen als Deutscher im österreichischen Kulturbetrieb: Also in den Zeitungen steht ja immer, dass wir eure Lieblingsnachbarn wären, aber ich habe davon bis jetzt noch nicht soviel gemerkt, zumindest werde ich nicht gerade dementsprechend verhätschelt. Es gibt aber immer wieder schöne Gelegenheiten, so wie gerade hier in eurer Zeitschrift, was ich als besondere Ehre empfinde. Überhaupt scheint Niederösterreich mir sehr wohl gesonnen zu sein. Und ob meine Situation in der BRD anders wäre, keine Ahnung, die Mechanismen sind vermutlich doch recht ähnlich. Aber um da eine befriedigende Antwort zu geben, reichen meine Erfahrungen nicht aus.

Im heutigen Kunstbetrieb ist Event und Action angesagt. Siehst du dich als traditioneller Maler?

Also die Leinwand muss ich mir immer wieder erobern und ich hadere auch oft mit den Einschränkungen, die die Zweidimensionalität mit sich bringt. Aber andererseits ist es so schön bunt und bewegt sich nicht, das gefällt mir sehr, zumal in diesen hektischen Zeiten. Wer weiß, vielleicht ist das ja sehr traditionell.
Das einzige, was mich an derartigen Diskussionen stört, ist, falls du darauf hinaus willst, einige Darstellungsmöglichkeiten in den Vordergrund zu stellen und andere für überkommen zu erklären, aber das hat, glaube ich, auch viel mit dem Kunstmarkt zu tun und ändert sich ständig, insofern sehe ich das Ganze gelassen. Zumindest sehe ich auf der Suche nach der angemessenen Ausdrucksform keinen Grund, warum ich auf die Malerei verzichten sollte, allerdings genauso wenig auf andere Möglichkeiten.

Kunst kann viel und bewirkt viel. Auch in Schulen, wie an der HAK, in denen nach wie vor keine künstlerischen oder musischen Fächer gelehrt werden hat nun das Fach Kunst einen Stellenwert bekommen, ohne dass dafür Unterrichtseinheiten zur Verfügung stehen. Das Unterrichtsministerium proklamiert ja seit 2007 an den Berufsbildenden Höheren Schulen die Kunst als Wahlpflichtfach bei der mündlichen Matura statt dem mündlichen Fach Deutsch. Der Deutschprofessor ist nun plötzlich auch Kunst-Vermittler und muss die Maturaprüfungen in diesem Fach abnehmen können. Kunst gehört heute zur Allgemeinbildung und soll den Schüler außerdem befähigen, kritischer und kreativer zu werden.

Ja, das ist ja sehr schön, ich bin auch für kritische Schüler. Was ich dann allerdings sehr interessant finde, wie das bei der Matura geprüft wird, wie kritisch oder kreativ jemand ist. Also da fehlt mir irgendwie der Inhalt, zumal wenn das eine auf Kosten des anderen geht. Das klingt für mich eher nach Hilflosigkeit als nach einem übergreifenden Projekt.
Meine Herangehensweise an das Thema Zucker.Brot hängt in gewisser Weise mit der Schule zusammen, zumindest hatte ich bei dem Titel die ganze Zeit „Zuckerbrot und Peitsche“ im Kopf und dies verstehe ich als eine klassische Disziplinierungsmethode.
Also Ausgangspunkt war die Karte im Schulatlas. Die Karte ist für mich eine Art Kunstwerk, das durch Abstraktion entsteht. Die Karte erzieht zu einem bestimmten Blick auf die Welt. Karten haben unglaublich viel mit Macht zu tun, mit Beherrschung, was die Vorstellung von der Welt, die man so lernt, auch prägt. Die Karte ist ein magisches Mittel, denn man braucht nicht mehr hinter den Berg zu laufen, um sich dort umzusehen. Sie ist fast wie Zauberei gegenüber jemandem, der keine hat. Sie bringt Vorteile und Sicherheit, bannt Gefahren und Ängste. Das hat für mich viel mit Kunst zu tun!

Für dich kann die Karte nicht bereits 100% Kunst sein, sonst hättest du nicht darauf gemalt.

Zumindest in dem Zusammenhang habe ich sie nicht eigenständig verwendet. Was mir wichtig war, ist diese bedeutungsvolle Aufladung, die eine Karte immer hat. Die jetzt einfach als Unterlage zu verwenden. Diese Schwere, mit der eine Karte daherkommt, zu irritieren durch eine Zeichnung, die erstmal überhaupt keinen Sinn ergibt.

Wie bist du auf den Delfin oder den Tintenfisch in Verbindung mit einer Karte gekommen?

Ich habe vor einiger Zeit bei der Suche nach Inspiration mir ein billiges Kinderlexikon gekauft und in dem ist angeblich das meiste drinnen, was für unseren Kulturkreis für wichtig gehalten wird. Ich habe dann Bilder daraus genommen und auf die Karten übertragen. Das ist immer auch so ein doppeltes Spiel mit dem, was man wissen soll, oder was es für Alltagseindrücke gibt und andererseits diesem Kartenkomplex. Was sowohl für die Karte als auch für die Lexikonbilder bedeutet, sie aus ihrem Zusammenhang zu reißen. Also in einer gewissen Weise auch ein recht brutaler Vorgang.

Du hast ja einige Haushaltsapparate der diversesten Marken gezeichnet. Hast du die auch aus einem Lexikon?

Nein, die sind aus einem französischen Katalog aus den 60erJahren. Gerade diese Bügeleisen, Toaster und so weiter sind ja sehr wichtige Utensilien in unserer Kultur, abgesehen davon, das sie auch noch sehr schön sind. Was mich so fasziniert, ist, dass durch die Verwendung der Karte als Untergrund immer der Wunsch entsteht, deren Bedeutung mit der Zeichnung in Verbindung zu bringen.
Manchmal ergibt sich auch ein Sinn und manchmal ist es einfach nur absurd. Diese Ambivalenz hat mir viel Spaß gemacht.


[...]

Du nimmst die Karte als Malgrund und veränderst sie.

Ja, genau, ich kann stundenlang Karten angucken. Sie sind eine Art Gemälde, denn die Welt ist ganz anders als auf der Landkarte dargestellt. Außerdem ist so viel vom Erfahrungsschatz der Menschheit enthalten. Ich habe eine große Erfurcht vor Karten. Bereits vor dem Schulalter faszinierten mich Karten. Ich habe viele Schatzpläne gemacht, an den Ecken angebrannt, damit sie echt aussehen und so was. Es war eine magische Aufladung, es schwingt unglaublich viel an Bedeutung mit. Ich habe nun einfach etwas darauf gezeichnet wie ein Schüler, der als Akt der Unaufmerksamkeit und Auflehnung aus Verweigerung auf eine Karte kritzelt. Auch die Zerstörungssucht spielt mit.

Wie hat dein Schulatlas ausgeschaut?

Eben, der hat ordentlich ausgeschaut. Da reinzuschreiben, das wäre damals für mich irgendwie ein Sakrileg gewesen.

Du besitzt ihn noch und malst darauf?

Nein, nicht mehr. Bei diesen Arbeiten nehme ich aber die Materialien wie in der Schule: Tippex, Eddingstifte und keine klassischen, wertvollen Malmittel, sondern etwas das Geschwindigkeit zulässt.

Hat Geschwindigkeit auch etwas mit Heimlichkeit zu tun? Dass man z.B. nicht erwischt wird?

Nein, aber das wäre auch ein schöner Aspekt. Aber trotz der möglichst schnellen Ausführung sind es keine Skizzen. Es ging mir in erster Linie um die zufällige Belanglosigkeit der Zeichnungen, dass sie leicht sind.

Warum sind beim Bild Texasmann nicht die USA, sondern Deutschland als Hintergrund?

Meine Ehrfurcht vor Karten mit diesen abstrusen Zeichnungen zu konfrontieren, das hat mir eine gewisse Genugtuung verschafft. Der Texasmann ist da eigentlich recht exemplarisch. Er erwürgt gerade zwei Klapperschlangen und ist sehr angestrengt. Dass er das ausgerechnet auf der Karte von Deutschland macht, ist natürlich fragwürdig, aber da hat jeder so seine eigenen Vorlieben.
Welches Land oder welcher Kontinent auf der Karte ist, hat mit der Zeichnung eigentlich überhaupt nichts zu tun. Ob Chirac auf der Dänemarkkarte oder wo anders drauf ist, darum geht’s gar nicht. Es suggeriert Bedeutung. Es ist eher als Spaß zu sehen, wenn sich ein Sinn dabei ergibt. Und wenn es Unsinn bleibt, finde ich es genauso wertvoll.

Du bist ein Kind geblieben.

Hoffentlich nicht nur. Aber es geht auf jeden Fall um die Verweigerung gegenüber der Disziplinierung, beziehungsweise deren Umformung.

Kann man deine Afrikabilder, die die Kolonialzeit thematisieren, in diesem Zusammenhang als Verweigerung sehen?

Nein, das ist eine ganz andere Geschichte. Das Bindeglied ist da höchstens auch wieder die Karte. Auf jeden Fall dieser sezierende Blick von oben. Und natürlich auch wieder die Macht, die die Karte verkörpert. Zu der Afrikaserie bin ich gekommen durch die Idee einer Art virtuellen Weltreise. Also alle Bilder, die mir von der Welt im Kopf herumschwirren, herunterzumalen. Alle möglichen Orte, die für mich eine Bedeutung haben, an denen ich aber noch nie war.
Afrika hat mich da erst mal besonders fasziniert.

Welches Interesse hast du an der Kolonialzeitthematik? Seit wann beschäftigt dich dieses Thema?

Ein Ausgangspunkt waren diese 50er/60er Jahre Tierfilme. Dieses Idyll das vorgestellt wird, gleichzeitig die Bedrohung der Wildnis durch den Menschen. Also z. B. „Serengeti darf nicht sterben“ von Bernhard Grzimek wo mit anderen Mitteln ein Blick auf Afrika fortgesetzt wird, der auch die letzten Jahrhunderte geprägt hat. Mit der Kamera, die das Gewehr ersetzt. Die Vorstellung einer idealen Gegenwelt, Dschungel oder Wildnis, in der man sich als Europäer bewährt und unterwirft oder die man jetzt eben beschützt, es geht auf jeden Fall um den Nutzen Afrikas für die Weißen. Gerade diese sprachlich-technischen Überschneidungen finde ich sehr aufschlussreich, Bilder schießen, mit dem Flugzeug von oben auf Bilderjagd gehen usw.
Was mir außerdem aufgefallen ist: Eine Vorstellung von Afrika ohne kolonialistisch geprägte Klischees ist schwer möglich, zumindest mir geht es so. Insofern stellen die entsprechenden Bilder ein wunderbares Reservoir dar. Beschäftigen tut mich dieses Thema schon ein paar Jahre, also eigentlich am längsten, aber natürlich mit einigen Unterbrechungen. Es gibt auch immer wieder Überschneidungen zu anderen Arbeitsbereichen und eine gegenseitige Befruchtung.

In der Galerie am Lieglweg in Neulengbach wird zeitgleich mit dem Erscheinen dieses Heftes die Afrikaserie von Dir präsentiert. Bleibst Du bei der Kolonialzeit als Ausstellungsthema?

Meine einzige Beschäftigung bleibt das sicher nicht, aber in der Galerie am Lieglweg werde ich zum ersten Mal die Arbeiten zu dem Thema aus den letzten Jahren zeigen, es wird so eine Art Trophäensammlung wie bei einer Großwildjagd. Verschiedene Impressionen, sehr romantisch, wilde Tiere, Abenteuer im Dschungel und all das. Also, darauf freue ich mich sehr.
da fehlt mir irgendwie der Inhalt, zumal wenn das eine auf Kosten des anderen geht. Das klingt für mich eher nach Hilflosigkeit als nach einem übergreifenden Projekt.
Meine Herangehensweise an das Thema Zucker.Brot hängt in gewisser Weise mit der Schule zusammen, zumindest hatte ich bei dem Titel die ganze Zeit „Zuckerbrot und Peitsche“ im Kopf und dies verstehe ich als eine klassische Disziplinierungsmethode.
Also Ausgangspunkt war die Karte im Schulatlas. Die Karte ist für mich eine Art Kunstwerk, das durch Abstraktion entsteht. Die Karte erzieht zu einem bestimmten Blick auf die Welt. Karten haben unglaublich viel mit Macht zu tun, mit Beherrschung, was die Vorstellung von der Welt, die man so lernt, auch prägt. Die Karte ist ein magisches Mittel, denn man braucht nicht mehr hinter den Berg zu laufen, um sich dort umzusehen. Sie ist fast wie Zauberei gegenüber jemandem, der keine hat. Sie bringt Vorteile und Sicherheit, bannt Gefahren und Ängste. Das hat für mich viel mit Kunst zu tun!

Ausstellungen: Lutz Bielefeldt
05.03.08 - 05.04.08

Stadtmuseum St. Pölten, Prandtauerstr. 2, 3100 St. Pölten
„Weltatlas im Praxistest“, Serie zum „etcetera“ Zucker.Brot

01.03.08 - 05.04.08
Galerie am Lieglweg, Neulengbach „Trophäensammlung Afrika“

Biografie: Lutz Bielefeldt
Geb. 1971 in Frankfurt/Main, 1997-2005 Studium der Malerei an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Prof. Wolfgang Herzig. Lebt und arbeitet in Wien in seinem Atelier: Haymerlegasse 22/3, 1160 Wien
Ausstellungen:
2008 „Heimat“, Radowanhalle, Wien
2007 „weich und lecker“, Radowanhalle, Wien.
„Liebe“, ehem. elektropathologisches Museum, Wien.
„Schönheit des Konsums“, Brick5, Wien.
„Anonyme Zeichner 4“, Galerie Blütenweiß, Berlin
2006 „Anonyme Zeichner 1“, Galerie Blütenweiß, Berlin.
Economy class“ & „Nairobi retour“, Nairobi, Kenia und Projekt Space am Karlsplatz, Wien.
Ohne Titel / Review – Preview“, Galerie am Lieglweg
2005/06 „REAL. Junges Österreich“, Kunsthalle Krems
2004 „Stille Post“, im Rahmen des SchieleWerkstattFestivals
2004 „Begriffe“, Galerie am Lieglweg, Neulengbach.
Klassenausstellung „Meisterklasse Herzig“, Stadtgalerie, Wien
1999 „Junge Österreicher“, MAK Wien
1997/98 Wanderausstellung der Meisterklasse in Wien, Palermo, Bratislava und Prag.