Manfred Chobot: Wer a Feind is, bestimm i. Eva Riebler

Manfred Chobot
WER A FEIND IS, BESTIMM I

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eva Riebler interviewte am 18.10.09 Manfred Chobot im Atelier der bildenden Künstlerin Ingrid Reichel, die anlässlich der NÖ Tage der offenen Atelier eine Lesung mit dem Autor organisierte. Mehrere Lehrer befanden sich im Gespräch, daher die Frage:

 

Lieber Manfred, möchtest du Lehrer sein?

 

Nein, eigentlich nicht, obwohl es immer wieder heißt, ich würde zum Schulmeistern neigen. Vielleicht stimmt das sogar.

 

Womit bist du pädagogisch wertvoller, mit deiner Lyrik oder mit deiner Prosa?

 

Vermutlich mit meinen G´schichtln, meiner satirischen Prosa, durch die ich den Leuten Inhalte „reindrücke“! Sagen wir besser – vermitteln kann.

 

Was hast du zum Dialekt für ein Verhältnis?

 

Ein gutes und ein gesundes, denn der Dialekt ist viel poetischer als die Hochsprache.

 

Die Dialektautorin El Awadalla vertritt die These: Dialekt macht g´scheid. Wie stehst du dazu?

 

Dialekt macht es auf alle Fälle poetischer, denn du hast im Dialekt vü mehr Möglichkeiten. Z.B. „Hau di üba di Häusa“ ist doch wunderbar, im Vergleich zu: „ Wirf dich über die Häuser“!
Oder: „Der ist im Bründ’l.“ – „Er ist im Brunnen.“ Das geht nicht.

 

Du bist im Wienerischen zuhause?

 

Ja, und das kann ich irgendwie nicht loswerden. Ich habe einige Jahre in München gelebt und dort hat man mir den Österreicher, den Ösi, immer angemerkt. Ich habe mich um eine Vermischung bemüht. Einige Dialektgedichte sind bairisch-österreichisch. Es gehören ja beide Mundarten zusammen, wenn man „bairisch“ mit „ai“, also ohne „y“, schreibt. Es ist in München vorgekommen, dass die im Supermarkt mi ang´schaut hab´n, wenn i zwoa Fleischpflanzln g´sagt hab, nämlich zwa Fleischlabern. Als ob ich in einem südchinesichen Dialekt sprechen würd´.

[Lacht]

Ich hab´ mir gedacht, die spinnen! Das Bayrische hab ich nie wirklich erlernt.

 

Gehören Dreiviertel deines Herzens der Sprache?

 

Definitiv! Dreiviertel gehören der Sprache und das andere Viertel dem Rotwein!

 

Deine Frau kann uns soeben nicht hören, aber was sagt sie als deine Gattin dazu?

 

Dreiviertel ihres Herzens gehören der Bildenden Kunst und ein Viertel dem Weißwein. Wobei es eigentlich der Rotwein wäre, aber die Histamine verursachen bei ihr am nächsten Tag Niesen und daher muss sie zu ihrem Bedauern als Rotweintrinkerin Weißen trinken.

 

Welches Wiener-Viertel behagt dir besonders?

 

Zurzeit Ottakring, weil das Brunnenmarkt-Viertel jene Gegend ist, wo meine Eltern ihr Lebensmittelgeschäft gehabt haben. In Meidling bin ich aufgewachsen, aber in Ottakring kam es zu einem Aufschwung, dort hat sich viel geändert. Das Geschäft meiner Eltern war in der Yppengasse, die zum Yppenmarkt führt, wo damals ein Großhandelsmarkt war. Zu meinen Oldies kamen die Greißler, kauften ein, bevor sie ihr eigenes Geschäft aufgesperrt haben. Mir wurde bald klar, das ist keine Hack´n für mi. Meine Eltern sind um vier Uhr aufg´standen und haben um fünf die Bude aufg´sperrt. Ich finde vier Uhr ist eine gute Schlafenszeit und keine Aufstehzeit!

 

Gibt es oder gab es im 16. Bezirk eine rassistische Radikalisierung?

 

Es hat sich dort eine Multi-Kulti-Gesellschaft etabliert, mit der ich keinerlei Probleme habe. Ein Taxler hat mal zu mir gesagt: „Kann man dort überhaupt leben? Lauter Ausländer.“ „Ich weiß nicht, woher Ihre Vorfahren kamen, aber meine kamen aus Tschechien, als das noch zu Österreich gehörte.“ Ich habe ihm kein Trinkgeld gegeben und er hat gewusst, warum.

Das Restaurant „Kent“ zum Beispiel hat eine Vorreiterrolle gespielt. Es war ein türkisches Beisl, in das sich die Leute zuerst nicht hineingetraut haben. Bis sie merkten, da gibt es keine Probleme. Das Lokal war anfangs 24 Stunden geöffnet und bot warme Speisen spottbillig an. So kamen vor allem junge Leute. An einem Tisch saßen die Türken und spielten, z.B. Backgammon und daneben saßen eventuell zwei österreichische Frauen ohne männliche Begleitung. Diese wurden aber nicht angepflaumt. Heute ist die Gegend um den nahe gelegenen Brunnenmarkt, der immer schon in ausländischer Hand war, absolut multi-kulti.

 

In türkischer Hand?

 

Nein, nicht immer, vorher, also nach dem Zweiten Weltkrieg, in bulgarischer! Es gibt wie überall auch ein paar Trotteln und vernünftige Leute. Die Bulgaren haben den Österreichern gezeigt, wie man Gemüse am besten anbaut. Bei den türkischen Marktstandlern kann man das Obst und Gemüse angreifen und in das Sackl tuan.

 

Bei den österreichischen nicht?

 

Es gibt keine österreichischen mehr, sondern nur türkische! Eine Frau, die ich dort interviewte, meinte, seit ihr Mann gestorben sei, müsse sie um sechs Uhr aufstehen, aufsperren und alle Kisten selber tragen, dann wieder abbauen. Dies sei ihr zuviel. Bald werde ein Türke auch ihr Geschäft aufkaufen, denn die türkische Familie hat fünf bis sechs Leute, die sich abwechseln können. Und wie gesagt, kann man bei ihnen das Obst mit der Hand aussuchen und bei den österreichischen Marktständen war das verpönt. Bei denen wird keiner kaufen wollen, auch wenn sie sich noch so lautstark beklagen, dass ihnen die Türken das Geschäft wegnehmen! So einem sagte ich einmal, ich war sogar per Sie mit ihm: „Zu Ihnen wird keiner kommen und kaufen, Sie werfen einen halb gefaulten Paradeiser ins Sackl!“

 

Auch St. Pölten hat Vierteln, sogar ein Marktviertel. Hast du zu irgendeinem Viertel einen besonderen Bezug?

 

Eigentlich am ehesten zum Regierungsviertel! Dort bin ich immer wieder. Kenne mich bestens aus.

 

Früher hatte das Podium noch ein Büro in St. Pölten am Rande des Regierungsviertels und wir zwei haben die gemeinsame Hauptstadt-Lesung zwischen dem Podium, Literaturkreis Neulengbach, und der LitGes St. Pölten aus der Taufe gehoben.

 

Ganz genau, vor fünf, sechs Jahren. Geboren wurde die Idee aus den Viertels-Lesungen. Ich dachte, die Hauptstadt ist an sich ein Viertel. Dorthin gehört auch das Podium. Am genialsten finde ich punkto Regierungsviertel die Bezeichnung „Neue Herrengasse“. Denn als die NÖ Landesregierung noch in Wien war, war sie in der Herrengasse und nach dem Umzug nach St. Pölten in der „Neuen Herrengasse“. Das bezeichne ich als schöpferische Großtat! Da ist den Herrschaften genial viel eingefallen! Da werden sie wochen- oder monatelang gesessen sein und gegrübelt haben!

 

Umgekehrt sind immer noch wie damals, als wir nicht Landeshauptstadt waren, viele literarische Veranstaltungen, z.B. des St. Pöltner Residenz Verlages, in Wien in der Herrengasse.

 

Weil der Besucherzustrom in St. Pölten oft an den Fingern einer Holzfällerhand abzählbar ist. Und weil Niederösterreich noch immer Wurzeln in Wien hat, trotz der Trennung von Wien, ich glaube, das war anno 1923, als Niederösterreich ein eigenes Bundesland wurde. Jetzt hast du es klar erwiesen, dass ich schon wieder schulmeistere.

 

Da musst du dich ja heute über den zahlreichen Besuch deiner Lesung freuen!

 

Ja, eine wohlwollende, großartige Ausnahme! Und das liegt an Ingrid Reichel.

 

So wie damals in der Schupfengalerie in Herzogenburg!

Ist in kleineren Orten entweder die Information besser oder kein so dichtes Programm, heute zum Beispiel war in St. Pölten um 11 Uhr die LitGes-Heft-Präsentation „Schleim“ mit Lesung Stefan Slupetzkys im Cinema Paradiso, um 14 Uhr der Literarische-Spaziergang des Stadtmuseums und nun um 17 Uhr deine Lesung?

 

Es hängt natürlich in erster Linie von der Persönlichkeit eines Veranstalters ab, der sich im Laufe der Zeit ein Stammpublikum heranzieht.

 

Wie lange gibt es deiner Meinung nach die Literarische Gesellschaft St. Pölten schon?

 

Auch sehr lange! 30 Jahr oder so. Uns, das Podium, gibt es bald 40 Jahre! – Aber wieso sage ich noch immer „uns“? Vielleicht eine Parallele, vergleichbar damit, dass noch immer in der Herrengasse niederösterreichische Veranstaltungen abgehalten werden. Ja, die Wurzeln…

 

Eigentlich tragt ihr Neulengbach im Namen. Warum heißt es immer noch: „Podium, Literaturkreis Schloss Neulengbach“?

 

Die Gründung war in Neulengbach, weil eines der Gründungsmitglieder, Peter Müller, der damals im Denkmalamt arbeitete, schon vor langer Zeit gestorben, Neulengbacher war. Längst könnte man diesen Zusatz streichen, was ich auch überlegt und vorgeschlagen habe, als ich noch Obmann des Podiums war. Wir bekamen von Neulengbach weder Subventionen noch werden wir zu einer Lesung eingeladen!

Im vorigen Jahrhundert fand dort im Schloss mal die eine oder andere Veranstaltung statt. Sogar ein Symposium. Nur mehr „reifere Jahrgänge“ können sich daran erinnern. Die anderen sind verstorben. Das Podium ist inzwischen das „Podium“ – ohne Neulengbach und ohne Schloss. Jetzt wird die Elfriede Bruckmeier gleich über mich herfallen und widersprechen, dass sie doch einmal im Jahr eine Podium-Lesung in Neulengbach organisiert. Da falle ich zurück und antworte: „Sehr billig für die Gemeinde. Eine Okkasion für den Literaturschluss-Verkauf. Schluss mit Schloss, dafür Lengbacher Saal.“ Ob die Miete geschenkt ist, weiß ich nicht, aber wegen zwei- oder dreihundert Euro haut es mich trotzdem nicht vom Hocker. Ich erinnere mich, dass wir zu meiner Zeit als Obmann für das Putzen des Saals bezahlt haben.

Hätte die Stadtgemeinde vermutlich in den finanziellen Ruin gebracht.

 

Und dann haben sie dich gestrichen?

 

Nein, nicht gestrichen! Ich bin gegangen, hab´ mi g´schlichen. Nicht „still und leise“, aber dennoch. Bin als Obmann zurückgetreten.

Ich war nicht „amtsmüde“, wie manche mir unterstellt haben, sondern war schlicht und einfach „ang’fressen“! Lieber trink i mei Viertel allein oder hock mit Freunden beim Heurigen. Frei nach dem Wiener Bürgermeister Lueger sag ich: „Wer a Freund is, bestimm i.“ Gewisse Dinge wollt’ i nimmer mittragen, net mitspielen, was mir net passt!

 

Nicht einmal zu einem Viertel!

 

Nicht einmal zu einem Viertel und auch zu keinem Achtel! – Prost, liebe Eva!

 

Manfred Chobot:

Geb. 1947 in Wien. Studium der Kulturtechnik . War Herausgeber der Reihe „Lyrik aus Österreich“. Red. der Literaturzeitschrift „Podium“ (1992 bis 1999) und „Das Gedicht“ (1999 bis 2002). Vorstandsmitglied der GAV, IG-AutorInnen und der europ. AV „Die Kogge“. Zirka 50 Hörspiele und Features, zahlreiche Preise und Stipendien. Zuletzt erschienen: Blinder Passagier nach Petersburg. Essays. ex liszt, 2009; Genie und Arschloch (Hg.). Molden, 2009; Reise nach Unterkralowitz. Roman. Limbus, 2009. (Siehe Rezensionen)