Maria Linschinger. Eva Riebler
MARIA LINSCHINGER
Die Schriftstellerin Maria Linschinger im Gespräch mit Eva Riebler in Gmunden/Traunkirchen August 2006
Erschienen im LETZTE DINGE/etcetera 27/März 2007.
Ich kenne Sie eher als Lyrikerin, was bewegt Sie immer wieder Kinderbücher herauszugeben?
Ganz einfach, weil ich gern für Kinder schreibe und weil das mit meinem Brotberuf zu tun hatte. Aber ich möchte mich nicht darauf festlegen lassen, ausschließlich Kinderbuchautorin zu sein, meine allererste Veröffentlichung war eine Kurzgeschichte für Erwachsene. Lyrik schrieb ich im Geheimen. Bis ich dann doch einmal ein paar meiner Versuche an eine Redaktion schickte und mich freute, als Lyrikerin ernst genommen zu werden, obwohl ich selbst sie „Texte“ und nicht Gedichte nannte, das hätte ich als vermessen empfunden. Ich schrieb ja nur „nebenbei“ und bewunderte Leute, die von ihrem Schreiben lebten. Bei meinem ersten Auftritt vor Publikum las ich Liebesgedichte. Parallel dazu schrieb ich immer für Kinder, für meine eigenen und für meine Schulkinder. Ich habe für den Unterricht Bücher zu Theaterstücken umgeschrieben. Die Lust am Schreiben ist mit den Jahren gewachsen. Von einem Verlag angenommen wurden dann zwei Manuskripte für Jugendbücher, mit Bilderbuchtexten hat es länger gedauert.
So geht es weiter: Während ich an meinem neuen Roman schreibe, den ich immer wieder umarbeite und der, so hab ich das Gefühl, nie fertig sein wird, fallen mir Geschichten für Kinder ein. Auch an ihnen feile ich, bis mir scheint, die Form ist endgültig. Und ich werde es weiterhin bei Verlagen versuchen, obwohl Lektoren keine Freude mit unverlangt eingesandten Manuskripten haben.
Ist für Sie der phantastische Inhalt eines Kinderbuches wichtiger als die Lyrik?
Nein, beides ist „phantastisch“, beides existiert zuerst nur in meinem Kopf. Ein kurzes Gedicht kann mehr Poesie beinhalten als ein langer Roman, manchmal steht ein poetischer Satz mitten in einem narrativen Text. Jeder Text, an dem ich arbeite, ist der wichtigste, solange er mich interessiert und fordert, und wenn ich eine Idee für ein Kinderbuch habe, ist sie ebenso wertvoll wie der Auslöser eines Gedichtes. Manche Ideen tragen beides in sich – einen Prosa-Text und Lyrik. Von mir hängt ab, was daraus entsteht.
Welche Themen bevorzugen Sie?
Bei Kinderbuchtexten ist es die Familie und das Zusammenleben mit Kindern und Jugendlichen, Probleme, die Kinder haben, von denen sie nicht sprechen können oder wollen. Ich achte darauf, die Geschichten möglichst humorvoll zu erzählen. Gedichte entstanden in Zeiten, in denen ich mich nach Ruhe sehnte. Oder nach Zärtlichkeit. Aber es gab auch Anklage, Bilanz, Abschied und Resignation.
Inwiefern helfen Ihre Erzählungen den Lesern bei der Lebensbewältigung?
Keine gelesene Geschichte hilft, das Leben zu bewältigen, aber das Lesen von Geschichten bringt Einsichten, Aha-Erlebnisse, Identifikation. Lesen kann Anstoß zum Prüfen der eigenen Meinung sein. Im besten Fall ist es Ansporn zum Umdenken, zu neuer Orientierung. Tun muss man selber was, weil beides, das Schreiben und das Lesen, die Welt nicht ändert. Doch es verändert unsere Sicht der Dinge und ermöglicht uns dadurch, Haltung und Handeln zu ändern.
Ist Gmunden ein geeigneter Platz für Literaten?
Um genau zu sein: Ich wohne in Traunkirchen, der kleinsten der vier Gemeinden am Traunsee, 6 km südlich von Gmunden, aber ich bin sehr oft in der Bezirkshauptstadt.
Zu unterscheiden wäre: geeigneter Ort zum Schreiben oder für die Präsentation und Rezeption von Literatur? Also zuerst einmal ist jeder Ort auf der Welt ein Platz zum Schreiben, sofern man es einrichten kann, dass einen nichts stört, ob man nun am Computer arbeitet oder auf der Schreibmaschine oder mit dem Stift in der Hand. Gewohnheiten können sich ändern, so auch die Orte, an denen man schreibt. Ab und zu sagt ein Besucher verwundert: Hier bei euch würde ich nur an Urlaub denken. Immer diesen Berg und diesen See vor Augen, da könnte ich ja nicht arbeiten. Lenkt denn dieser Ausblick nicht ab? Ich antworte: Nur wenn ich mich ablenken lassen will! Traunstein, Lacus felix, die Kleinstadt, unser Dorf und den Wechsel der Jahreszeiten am Wasser zu erleben, das alles stärkt mich.
Zum zweiten Aspekt, es gibt in den Sommermonaten rund um den Traunsee Veranstaltungen der Gmundner Festwochen, die gut besucht sind, wenn es sich um große Namen handelt wie Thomas Bernhard, Christoph Ransmayr, Gert Jonke oder Franz Schuh etc. Lesungen von weniger bekannten Autoren und Autorinnen sind selten und erwecken kaum Interesse. Im Juli las Dzewad Karahasan, es hörten ihm nicht mehr als zwanzig Leute zu. In der „guten alten Zeit“ des Salzkammerguts, als es Mode war, hier Sommerfrische zu machen, kamen die Literaten gern und lobten die Atmosphäre. Und die Stadt Gmunden erinnert uns an die Aufenthalte von Nikolaus Lenau, Friedrich Hebbel und Peter Altenberg.
Das heutige Gmunden ist nicht auf Literatur spezialisiert. Im kleinen kaiserlichen Stadttheater werden Filme gezeigt, während der Festwochen veranstaltet man Konzerte und Musiktheater, unterm Jahr einige Gastspielproduktionen für Abonnenten. Einen richtigen Theaterbetrieb mit eigenem Ensemble könnte sich die Stadtgemeinde natürlich nicht leisten. Im Thomas Bernhard-Archiv auf der Halbinsel Toscana gibt es eine Kleinwohnung, um die sich schreibende (und auch andere) Künstler und Künstlerinnen bewerben können: ein Monat lang an einem guten Platz für Literatur mit Blick in den Toscana-Park und auf den See.
Schätzen Sie den Kontakt zu anderen Literaten?
Gedankenaustausch unter Schreibenden ist nicht für jeden gleich wichtig. Der entwickelt sich auch nicht bei der ersten Begegnung, es dauert lang, bis man einander vertraut und über seine Arbeit spricht. Meistens über bereits abgeschlossene Arbeiten, denn über einen Text zu sprechen, der noch im Werden ist, das fällt – zumindest mir – eher schwer. Ich freue mich über einen Rat, über verständnisvolle Kritik, über einen Wegweiser und Aufmunterung von einem Freund. Und ich freu mich, wenn ich als erste die Gedichte oder eine Geschichte lesen darf und als Lektorin dienen und reagieren soll. Einen Zirkel von Literaten zu kennen und mit ihnen regelmäßig zusammenzutreffen, wäre sicher interessant, ich weiß aber von keinem, und die zwei, drei guten Freunde genügen mir. Eine solche Freundin lebt in Heidelberg, eine in Wien und ein Autor in Schärding, Franz Xaver Hofer, dessen Arbeiten ich erst in den vergangenen zwei Jahren kennengelernt habe. Durch die Tätigkeit meines Mannes kenne ich viel mehr bildende Künstler als Literaten.
Welche literarischen Werke schätzen Sie besonders? Welche drei sind Ihre Inselbücher?
Gedichte von Emily Dickinson, der Dichterin „mit barfüßigem Rang“, und von Christine Lavant, der ich auch diesen Titel geben möchte, Franz Tumlers „Sätze von der Donau“, die Mumin-Geschichten von Tove Jansson, Ransmayrs „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, Jelineks Prinzessinnendramen, ich schätze Martin Pollack und Erich Hackl und die Werke von Cees Nooteboom, James Salter, Philip Roth, von Marquez und von einer Neuseeländerin, der wunderbaren Janet Frame „Ein Engel an meiner Tafel“. Kürzlich las ich „Himmelsbegräbnis“ von Xinran – nein, ich hör lieber auf! Ich will keine Auswahl treffen, ich bin „in love“ mit so vielen Texten, und nun soll ich mir auch noch die drei Bücher für die Insel aussuchen!
Es käme darauf an, zu welchem Zeitpunkt ich mich auf die Reise machen müsste. Heute würde ich drei Bücher mitnehmen, die neu für mich sind: „Moby Dick“ von Herman Melville, „Tristram Shandy“ von Laurence Sterne und Gustave Flauberts „Bouvard und Pécuchet“, für das er angeblich etwa anderthalbtausend Bücher gelesen hat.
Was sind für Sie als Schriftstellerin „Letzte Dinge“?
Mit den „letzten Dingen“ meint man gemeinhin die wichtigsten Dinge, das, was uns am Ende des Lebens bleibt und noch Gewicht hat, wenn alles andere Vergangenheit geworden ist. In meiner Erzählung „Stragula“ wohnt ein alter Mann allein in seinem Haus. Das Leben ist eingeengt, nur wenig ist für ihn wichtig: ob das Fleisch weich ist, ob er die Tür abgeschlossen hat, ob die Tageszeitung pünktlich kommt, ob ihn die Füße heute tragen. Er will noch eine Sache in Ordnung bringen, dann ist er zufrieden...
Ich fasse es hier einmal so auf: Vielleicht sind die letzten Dinge Blumen in einer Vase am Fenster des Krankenzimmers? Vielleicht ist es der Blick auf einen Baumwipfel, vielleicht liegt ein Buch am Nachtkästchen, das man zur Hand nimmt, aber nicht mehr lesen kann, weil die Augen zu schwach sind, oder es sind unsichtbare Dinge, an die man sich erinnert. Sie liegen weit zurück und steigen jetzt auf, am Ende. Die Erinnerung an Farben, an Melodien, an den Mond über dem See, an die Silhouette der Berge am Horizont, die Erinnerung an Arme, die mich hielten, an Hände, die streichelten, an das Gefühl des Geborgenseins, das Glück, Kinder zu haben. Und vielleicht ist es ganz zum Schluss nur ein Vorhang, der in der Zugluft weht, eine Biene, die sich ins Zimmer verirrt hat, Schritte auf dem Gang, ein Handy-Signal, die letzten Dinge, die ins Bewusstsein dringen...
Ist Gott ein denkbares Modell für Sie?
Nein, aber viele Menschen werden religiös, bevor ihre Lebenszeit endet. Ich kann heute nicht sagen, wie es mir ergehen wird. Möglicherweise brauche ich dann auch ein Modell, das mir den Sinn des Lebens erklärt und es mir leichter macht, die Beschwerden des Alters zu ertragen ohne zu verzweifeln. Ich halte Gott für eine Konstruktion des menschlichen Bewusstseins. Dass Gott in allen Kulturen imaginiert wurde, überall auf dem Planeten Erde, bedeutet nicht, dass er in irgendeiner Form existiert, außer in der Phantasie des menschlichen Geistes. Der Glaube brauche keine Beweise, heißt es. Und umgekehrt: Nur was bewiesen ist, wissen wir. Der Gläubige glaubt. Aber nicht von allein. Er wird von jemandem gelenkt und überzeugt. Die Ungläubigen müssen ihn nicht beneiden.
Nach dem Motto von Marie Luise Kaschnitz:
Zeile für Zeile
eine eigene Wüste
Zeile für Zeile
Mein Paradies
Biografie: Maria Linschinger
Publikationsliste seit 2001: „Stragula“, Erzählung, Bibliothek der Provinz (Pseudonym Maria Eliskases), 2001 „Winterkind“, Roman, Bibliothek der Provinz, Weitra, 2004 „Rache ist rot“, Kinderkrimi, G&G-Verlag, Wien, 2006 „Das Sternenbuch“, Gutenachtgeschichte, G&G Verlag, Wien, 2006 in Planung: „Quellenweg“, Erzählung.