Martin Walker: Der Europäer zwischen freundschaftlichen und kriegerischen Beziehungen. Ingrid Reichel

 
Martin Walker © LitGes, Foto:Franz Reichel  

Martin Walker
Der Europäer zwischen freundschaftlichen und kriegerischen Beziehungen

Der Schotte Martin Walker ist der Erfinder von Bruno Courrèges, chef de police. Der Autor der Krimiserie verbringt die Sommermonate im Périgord, wo sein Held regionale wie auch internationale Kriminalfälle löst. Ingrid Reichel sprach mit dem vor allem im deutschsprachigen Raum so populären Schriftsteller während der Buch Wien am 24. November 2012. Das Original-Interview wurde in Französisch geführt. (Zur Rezension)

Ich gratuliere Ihnen zu dem Interview, dass Sie eben zur Präsentation des Dokumentarfilms* über Sie und dem Périgord in Deutsch gehalten haben. Dennoch war ich überrascht zu erfahren, dass das erstes Buch Ihrer Serie „Bruno, Chef de police“ ins Französische übersetzt wurde und schließlich in einem französischen Verlag veröffentlicht wurde. Meine Internet-Recherche von heute morgen hat diesbezüglich nichts ergeben.

Ja, der französische Titel lautet “Meurtre en Périgord” (Mord im Périgord).

In welchem Verlag ist es erschienen?

Es ist die Edition Le masque. Sie ist sehr bekannt. Es ist der Verlag, der auch Agatha Christie veröffentlichte. Darauf bin ich stolz.

Warum glauben Sie, hat die Veröffentlichung Ihres Buches in Frankreich so lange gedauert?

Ich denke, es war für die Franzosen etwas schwer zu begreifen, warum ein Schotte Krimis über Frankreich schreibt. So haben sie auf den Moment gewartet, bis es klar war, dass man in den anderen Ländern viele Exemplare verkauft und sie sicher sein konnten, damit Geld zu verdienen.

Ist es nicht auch ein geschichtliches Problem zwischen Frankreich und England?

Ich glaube nicht. Die Beziehungen zwischen den Briten und den Franzosen sind nicht schlimmer als die zwischen den Deutschen und den Franzosen. Vor allem was die Schotten betrifft. Oft genug waren Schotten sogar die Freunde der Franzosen. Jedesmal wenn es zwischen England und Frankreich Krieg gab, haben die Schotten profitiert.

Haben Sie den Eindruck, dass die französisch-englischen Beziehungen von gleicher Freundschaftlichkeit sind wie die gegenwärtigen deutsch-französischen?

Ich denke, dass die Beziehungen zwischen Engländer und Franzosen über tausend Jahre anhalten. Seit 1066 Wilhelm der Eroberer** nach seinem Sieg bei der Schlacht von Hastings England eroberte. Die Engländer hatten große Regionen Frankreichs wie Normandie, Bretagne, Aquitaine über Jahrhunderte besetzt, sie haben Aquitanien erst 1453 verlassen und bis 1555 den Hafen von Calais gehalten. So haben wir gemeinsam Kriege geführt, und wir haben gemeinsam Babys gemacht. Wir haben eine geteilte Geschichte als Feind und Alliierte. Folglich ist es kompliziert. Es ist wie in einer Ehe. Von Zeit zu Zeit ist es schrecklich, von Zeit zu Zeit funktioniert es. Wir haben eine Geschichte wie die meisten Europäer von Kriegen und Mobilisierung durchsetzt. Es waren übrigens die Briten, die Frankreich befreit und gerettet haben. Daher sind wir alle Opfer der Geschichte unserer Vorfahren.

Sie glauben also nicht, dass es der Argwohn der Franzosen gegenüber einem britisch-schottischen Autor war, der es so lange verhinderte Sie ins Französische zu übersetzen?

Nein, das sagte ich Ihnen doch. Die meisten Franzosen schätzen die Schotten sehr. Außer wenn es um Rugby geht. Tatsächlich hat man mir berichtet, dass auf Grund einer DNS-Untersuchung überhaupt keinen Unterschied zwischen Engländer und den Menschen aus dem Périgord, aus der süd-westlichen Gegend Frankreichs festgestellt werden konnte. Wegen der Besetzung wurden so viele Kinder geboren, dass eine gute Mischung entstanden ist. Als Europäer sind wir genetische praktisch ident.

Neben den regionalen Delikatessen und der wunderschönen Landschaft des Périgords, welche Sie genussvoll in Ihren Büchern beschreiben, erfährt man wirklich sehr viel, nicht vom Mittelalter beginnend über regionale Geschichte oder englisch-französische Beziehungen, sondern auch über den II. Weltkrieg und zeitgenössische soziale Probleme. Haben Sie einen pädagogischen Auftrag?

Nein. Ich liebe es zu erzählen, warum ich diesen Teil Frankreichs so schätze. Ich versuche die Geschichte des Périgords, von der ich begeistert bin, zu verdeutlichen. Aber vom sozialpolitischen Standpunkt verfolge ich keine pädagogische Strategie. Ich möchte die Geschichte eines Polizisten erzählen, der meiner Ansicht nach sehr intelligent, liberal und einsichtig ist. Ein Polizist, der nicht nur die Menschen versteht, sondern auch den Unterschied zwischen Gesetz und Gerechtigkeit kennt.

Diesen Polizisten namens Bruno Courrèges haben Sie 2008 erfunden. Mittlerweile haben Sie mit Ihrem Helden vier Fälle in Folge geschrieben. Doch erst jetzt hat Ihr deutschsprachiger Verlag Diogenes Ihren bereits 2002 datierten Roman „The caves of Périgord(„Schatten an der Wand“) veröffentlicht. Warum diese lange Schreibpause zwischen den zwei Romanen?

In jener Zeit war ich Chefredakteur der United Press International und daher sehr beschäftigt. Ich hatte gerade ein Buch über den Irak-Krieg veröffentlicht, da ich 2003 dort war. Für das Übrige hatte ich keine Zeit zu schreiben. Außerdem hatte ich noch nicht die Idee von Bruno, bzw. einen Krimi zu schreiben. Erst 2005, als die Unruhen der jungen Immigranten in Paris stattfanden, habe ich daran gedacht, etwas über dieses Thema zu schreiben. Also hat sich dieses Projekt zu entwickeln begonnen und 2006-2007 habe ich den ersten Bruno geschrieben.

In „Schatten an der Wand“ haben Sie ein junges Paar ausgedacht, welches im paläolithischen Zeitalter in den Höhlen von Lascaux lebt. Der Roman ist in drei Partien geteilt, da spielt auch der II. WK mit der Geschichte der französischen Résistance eine wichtige Rolle, die sich bis zur Gegenwart zieht. So beschreiben Sie den internen Kampf der Résistance, das Ringen um die Macht nach dem Krieg zwischen den Kommunisten und den Gaullisten, obwohl der Krieg noch lange nicht entschieden war. Haben Sie keine Angst, dass die Franzosen es nicht schätzen werden?

Natürlich war ich etwas besorgt, was meine Nachbarn, meine Freunde, die Leute aus der Umgebung denken werden. Doch ich bin der Ansicht, dass für uns Europäer der II. WK ein Schlüsselereignis war, eines der wichtigsten Geschehnisse des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich begann dieser Krieg 1914. Von 1918 bis 1939 hatte man eine Gefechtspause. Das hat es erneut angefangen gefolgt vom Kalten Krieg.

Wir in Europa sind generell aus der Geschichte und der Denkwürdigkeit des II. WK entstanden, der übrigens der Grund des Erfolgs, soweit man von Erfolg sprechen kann, der EU. Es ist etwa so bedeutend wie der Trojanische Krieg, weil Deutschland zerstört wurde, die Bombenangriffe über Frankreich, fast jeder war von diesem Krieg betroffen. Die Ergebnisse dieses Krieges sind beinahe überall zu finden. Denken Sie an die Probleme Ostdeutschlands oder den Untergang der Sowjetunion. Wir leben mit den Ergebnissen dieses dreckigen Krieges.

In Ihrem Roman geht das Verbrechen bis in die höchsten Rängen. Sogar der französische Präsident ist beteiligt, Ihre Protagonisten haben eine große Ähnlichkeit mit reellen Personen der französischen Politik.

Wir wissen, dass François Mitterrand*** ein sehr interessanter Mann war. Er war bevor er bei der Résistance teilnahm für das Vichy-Regime. Und André Malraux**** selbst behauptete Menschen getötet zu haben …

Dieser großartige französische Intellektuelle war von er Liebe zum Abenteuer ergriffen, zu Beginn der 20er Jahre war er wegen Schmuggels von Antiquitäten der Khmer in Indochina eingesperrt.

Ja, nicht nur das, auch wegen der Gelder der Résistance gibt es Gerüchte. Aber er war ein bemerkenswerter Kerl. Eine ganz und gar historische Figur.

Zu seinem 20. Todestag hatte man seine Asche würdevoll im Pantheon beigesetzt.

Ich denke, dass dies wegen der Rede war, die Malraux im Pantheon zum Tod von General de Gaulle hielt. Eine bemerkenswerte Rede, er sprach von der Résistance, von der Geschichte Frankreichs, von der Rolle, die General de Gaulle spielte. Es ist eine Rede, die mich zu Tränen rührt, noch heute, wenn ich sie lese. Und wenn ich das Lied der Partisanen höre - und Malraux es singt - habe ich auch feuchte Augen. Er war ein vorbildlicher Europäer des 20. Jahrhunderts.

Glauben Sie, dass die Jungen von heute europäischer sind oder haben Sie Angst um Europa?

Doch, ich habe Angst um das heutige Europa, das so bürokratisch ist. Ich befürchte, dass das Brüsseler Europa nicht genügend öffentliche und politische Unterstützung der meisten Europäer bekommt. Aber ich bin zuversichtlich für das Europa, das vom Herzen kommt. Die große Hoffnung für mich ist das Erasmus Programm, durch das die jungen Europäer, sei es in Frankreich, in Deutschland oder Schweden …, studieren können. Das ist wunderbar. Europa benötigt zu seinem Fortschritt solche Erfahrungen. Die Jungen, die sich kennenlernen, zusammen studieren, verlieben sich und gründen Familien. Das ist schön! Ich hoffe, dass unsere Kinder einen Ausweg aus den Dummheiten unserer Vorfahren finden werden.

Herzlichen Dank, Sie sind ein Brite, ein Schotte, aber vor allem von ganzem Herzen ein Europäer.

*Martin Walker. Mein Périgord. 2012. Buch und Regie: Günter Schilhahn. EA: 3SAT 28.11.12.
**Wilhelm der Eroberer (französisch Guillaume le Conquérant, englisch William the Conqueror; vor der Eroberung Englands Wilhelm der Bastard genannt). *Geb. 1027/28 in Falaise, Normandie, Frankreich; † 9. September 1087 im Kloster Saint-Gervais bei Rouen, Frankreich) war bis zu seinem Tod ab 1035 als Wilhelm II. Herzog der Normandie und regierte ab 1066 als Wilhelm I. das Königreich England (Schlacht bei Hastings).
***François Mitterrand (1916-1996): President der frz. Republik (1981-1995)
****André Malraux (1901-1976): frz. Schriftsteller, Abenteurer, Politiker und Intelektueller

Martin Walker
Geb. 1947 in Schottland. Historiker, politischer Journalist und Schriftsteller. Er lebt in Washington und seit 1999 im Périgord. Walker studierte an der Universität Oxford Geschichte und an der Harvard Universität Internationale Beziehungen und Wirtschaft. Nach seinem Abschluss war er 25 Jahre u.a. bei der britischen Tageszeitung The Guardian tätig. Neben seinem journalistischen Schaffen konnte Walker mit den Jahren mehrere wichtige Werke über den Kalten Krieg, die Perestroika, aber auch über die USA veröffentlichen: „Waking Giant: Gorbachev and Perestroika“, „The Cold War: A History“, „Clinton: The President They Deserve“ und „America Reborn“. Er war Rundfunksprecher bei BBC, National Public Radio, CNN und konnte sich als Kolumnist und ehemaliger Chefredakteur der United Press International qualifizieren. Vor einigen Jahren übernahm Walker in Washington, D.C. die Leitung des Global Business Policy Council, eine Art Denkfabrik für Topmanager (NGO). Seine Bruno-Romane erschienen gleichzeitig in elf Sprachen, in Deutsch bei Diogenes: Bruno Chef de police. 2009; Grand cru. Der zweite Fall für Bruno, Chef de police. 2010; Schwarze Diamanten. Der dritte Fall für Bruno, Chef de police. 2011; Delikatessen. Der vierte Fall für Bruno, Chef de Police. 2012; Femme fatale. Der fünfte Fall für Bruno, Chef de police erscheint im Mai 2013.

LitGes, etcetera 51/viel-leicht/ März 2013