Robert Menasse: Über Verantwortung und Leichtlebigkeit. Eva Riebler

Robert Menasse
Über Verantwortung und Leichtlebigkeit

 
Robert Menasse: Foto © Rudi Gigler, Salzkammergut Festwochen Gmunden  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Anlässlich des Viertage-Festes für Robert Menasse vom 9. bis 12. August 2012 bei den Salzkammergut Festwochen im Gmundner Stadttheater interviewte Eva Riebler den österreichischen Erfolgsschriftsteller und Essayisten Robert Menasse.

Wozu Literatur ist das Thema unseres 50igsten Literaturheftes. Waren oder sind die Namen der Autoren der 68er Generation nicht bekannter als die der damaligen Politiker?

Man kennt noch aus der Geschichte die prägenden politischen Figuren, nicht nur die Autoren. Aber es stimmt schon, wir kennen mehr die Autoren und die prägenden Künstler. Aber ich glaube nicht, dass es Sinn und Zweck der Literatur ist, dem Autor ein langes Nachleben zu verschaffen. Zunächst glaube ich, dass Literatur eine Auseinandersetzung mit dem Leben ist, mit seiner eigenen Lebenszeit, der Zeitgenossenschaft, der Realität, die er vorfindet, die er verstehen will und von der er erzählen will, die er verdichtet, die er in ästhetische Bilder und Prozesse transformiert. Und nur, weil das manchmal gelingt, sind diese Werke gültig für später und werden bekannt. Außerdem gibt es Werke, die zu Baustellen und Bausteinen für die Nachgeborenen werden, die somit Informationen für ihre eigene Gewordenheit bekommen und diese begreifen können. Wenn wir heute z.B. Fontane lesen, dann haben wir ja zunächst damit überhaupt nichts zu tun. Wir leben nicht in der Welt der Junker. Wir leben nicht einmal mehr an dem Ort, wo es früher diese Junkerkultur gegeben hat. Wir leben woanders und in einer anderen historischen Situation, in anderen gesellschaftlichen Konstellationen. Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der sich zwei Männer wegen einer Frau duellieren, z.B. wie im Roman Effi Briest. Und trotzdem lesen wir dies so, dass wir über uns selbst etwas begreifen! Und wir begreifen doppelt: Erstens einmal die Situation, in der die Romane spielen, die Sehnsüchte und Probleme, die sie damals hatten, und wir verstehen plötzlich eine Zeit, die wir nicht erlebt haben, aus der metaphorisch gesagt, unsere Großeltern stammen. Wir beginnen sozusagen zu erkennen, dass es unter den Menschen immer um dieselben Dinge geht. Es wechseln und verändern sich die menschlichen Sorgen, Probleme, Begierden grundsätzlich nicht, nur insofern, wie sie in den je aktuellen gesellschaftlichen Rahmen und in die Rahmenbedingungen hineinpassen. Jetzt wird allerdings nicht jeder Autor sich dies überlegen und sagen: Ich will meine Lebenszeit so erzählen, dass ich sie weitergeben und zum Verständnis zum menschlichen Leben auf diesem Planeten beitragen kann. Subjektiv haben Künstler ganz verschiedene Gründe, warum sie Kunst machen. Es gibt das Temperament der in sich selbst ruhenden Künstlerfigur, die Kunst macht, wie die Seidenraupe Seide spinnt und ein wundervolles Produkt erzeugt.

Es gibt den Künstler, der hinaus in die Welt will und der sich einmischen will und für den das Schreiben eine Möglichkeit ist, gestaltend ins Leben einzugreifen. Doppelt einzugreifen, einmal gestaltet er für sich aus der Welt etwas, das er begreifen kann, seine eigene Schöpfung und seinen eigenen Beitrag zur Schöpfung. Und andererseits gestaltet er in Bezug auf die Wirksamkeit: Er verändert die Realität, er verändert die Welt in einem Maße, wie andere von seinem Blick aus in die Welt schauen und plötzlich Veränderungen sehen und Mechanismen begreifen, die sie vorher nicht durchschaut haben.

Legt der Künstler den Finger auf eine Wunde? Sieht er ein gesellschaftliches Defizit?

Das muss nicht eine Wunde sein, das kann etwas Nicht-Eingelöstes sein, ein Defizit, das per Saldo nie ausgeglichen werden kann.

Den Ausgleich kann es nicht geben.

Ja, das wäre sonst das Paradies!

Das Paradies wäre spannungslos und nicht wünschenswert!

Falls herstellbar, wäre es schon wünschenswert, es würde den Künstlern viel Arbeit ersparen.

Sie Schreiben in „Don Juan de la Mancha“, dass das Nachleben zu produzieren wünschenswert sei. Sie produzieren nun Ihr eigenes Nachleben, indem Sie Verantwortung für das Existieren der EU übernehmen. Macht das leichtlebig?

Nein, leichtlebig macht das wahrlich nicht! Aber es gibt auch einen Trost, das Leichtlebige bleibt nicht leichtlebig, wenn man sich auch nichts Schweres aufbürdet! Das Leichtlebige scheitert mit der Zeit einfach an der Hinfälligkeit des Körpers! Das heißt, man hat ab einem gewissen Alter eh nur mehr die Wahl, welche Form des schweren, des beschwerlichen Lebens man für sich wählt. Ob man das in einer Art und Weise macht, in dem man sich vernetzt mit anderen Menschen und sich sozial einbringt oder ob man das in einer ganz einsamen Anstrengung tut. Irgendwann ist man so und so nicht mehr leichtlebig. Ich war immer ein ängstlicher, nervöser Mensch. Vielleicht löst sich diese Angst, die ich habe auf, wenn ich die Welt besser verstehe. So hat das begonnen. Ich war ja von meinem 6. bis 18. Lebensjahr in einem Internat, in einer geschlossenen Anstalt und als ich mit 18 herauskam, hab ich nichts verstanden. Ich hab sozusagen die Straßenzüge von Dostojevskis Petersburg besser gekannt als die Straßenzüge Wiens. Sie müssen sich vorstellen, das hat jeder schon erlebt, dass man auf einer Straße fährt und alle Autos kommen einem entgegen und sich daher fragt “Was wissen die, was ich nicht weiß“, wenn ihnen auf der Straße alle Autos entgegenkommen.

Empfehlen Sie Karl Marx zu lesen?

Ja natürlich, Karl Marx und Friedrich Hegel zu lesen beleidigt niemandes Intelligenz, das sind Welterklärungsmodelle. Wenn man Karl Marx liest hat man das Gefühl in einem dunklen Raum gehen Kronleuchter auf. Er war ein großartiger Schriftsteller, er hat wirklich schreiben können. Er erklärt den Profit, wo dieser herkommt, dass Gewinn nicht unendlich vermehrbar sei. Er eignet sich als analytische Denkmethode, als analytischen Zugang und Instrumentarium des Verstehens ist Marx heute ein ganz Wichtiger. Zunächst sind zwei Dinge zu unterscheiden: Die EU ist eine Idee, ein Projekt. Diese erstellt Institutionen, die Rahmenbedingungen herstellt zur Gewährleistung für Friede, für die vier Freiheiten, Rechtszustand usw. – definitiv sind das Rahmenbedingungen, deren Umsetzung noch nicht gesagt ist. Momentan wird immer noch auf klassische Wachstumsökonomie gesetzt und auf Ökonomie, die sich stärker an Betriebs- statt an Volkswirten orientiert. Zweitens sind sehr oft die Bedingungen, mit denen wir die Rahmenbedingungen erfüllen, im Widerspruch zu den Rahmenbedingungen.

Wir bewegen uns in der EU, in diesem nachnationalen Projekt, immer noch national! Wir begreifen das Griechenlandproblem noch immer als ein nationales und nicht als ein europäisches. Wenn wir das täten der könnten, würde das Problem sich in Luft auflösen, die ganzen Schulden Griechenlands sind die Schulden einer europäischen Region, die ökonomisch bedeutungslos ist. Und die Schulden belaufen sich nur auf 2 % des BNP der EU. Die Schulden Griechenlands verschwinden augenblicklich, wenn wir dies als europäisches Problem betrachten, es würde in 5 Minuten verschwinden. Wir wollen aber die Griechen zwingen, etwas zu ändern. Wie lächerlich das gleichzeitig ist, erkennt man daran, dass Kalifornien das 30fache der Schulden von Griechenland hat. Niemand käme auf die Idee, zu sagen, nun muss langsam Kalifornien aus der Dollarzone auszutreten, oder wir müssen Kalifornien aus den USA rausschmeißen.

Die Lösung wird nicht sein, einen Rettungsschirm zu erfinden, einen Rettungsschirm aufzuspannen.

Ich garantiere Ihnen und ich ruf` allen zu, die sich fürchten, die Krise wird größer werden, und wenn sie zu bedrohlich ist, wird man endlich vernünftig werden. Und einen großen Schritt in die Richtung und in der Nutzung des nachnationalen Projekts machen!

Sie führten und werden in Brüssel Gespräche mit Politikern führen, wann erscheint Ihr Werk über die EU?

Im September erscheint mein Essay über die Krise. Der europäische Landbote. Das ist meine essayistische Reflexion. Und dann schreibe ich weiter an einem Roman, der in Brüssel spielt und dessen Hauptfigur ein Beamte der europäischen Kommission ist. Das ist kein Beitrag zur politischen Diskussion über die EU, sondern das ist ein klassischer Roman, mit der klassischen Absicht des Künstlers seiner Zeitgenossenschaft verdichtet zu erzählen.

Bezüglich Ihrer Haltung gegenüber der EU könnte man Ihre Einstellung zusammenfassen: Ich war ein kritischer Befürworter der EU und nun bin ich ein stark befürwortender Kritiker.

Ja, je mehr ich mich mit der Problematik befasst habe, desto mehr habe ich dazugelernt. Meine Befürwortung war auch in den früheren Jahren vorhanden. Kritik kann fruchtbar sein, muss aber immer möglich sein!

Ich danke für das Gespräch und wünsche dem neuen Roman viel Erfolg.

Interview nicht autorisiert.

Robert Menasse
Geb. 1954 in Wien, wuchs in Wien auf und studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina. Promovierte 1980 mit der Arbeit “Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb”, lehrte sechs Jahre als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie an der Universität Sao Paulo. Hielt dort vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien, u. a. über Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno. Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt er als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien.

LitGes, etcetera Nr 50/ Wozu Literatur?/ November 2012