Robert Schindel
ROBERT SCHINDEL
im Gespräch mit Thomas Havlik
und Hermann Niklas
erschienen im etcetera/
Spätestens seit seinem 1992 publizierten und später genauso erfolgreich verfilmten Roman "Gebürtig" gehört Robert Schindel zu den bekanntesten und umtriebigsten unter den österreichischen Autoren: sei es nun in der Rolle des Tutors von Literaturkursen, als Gast bei Diskussionsrunden oder natürlich vor allem als Lyriker und Romancier. Im Café Museum in Wien haben wir einen sehr herzlichen und interessanten Menschen getroffen.
Sie schreiben am liebsten im Kaffeehaus?
Was heißt am liebsten, ich kann, abgesehen von Sekundärem, eigentlich nur im Kaffeehaus schreiben. Primäres, also die erste mit der Hand niedergeschriebene Fassung, schreibe ich ausschließlich im Kaffeehaus. Hin und wieder vielleicht noch im Speisewagen, aber das ist ja auch eine Art fahrendes Cafè. Das hängt damit zusammen, dass ich eine gewisse Unruhe um mich herum brauche. Wenn es ganz still ist, ist mir das zu laut. Das würde mich ablenken.
Gibt es heute überhaupt noch eine lebendige Kaffeehausliteratenszene?
Nun, ich bin ja nicht ein Kaffeehausliterat im Sinne des Kaffeehausliteraten à la Schnitzler oder so. Der ist zwar immer im Kaffeehaus gesessen, aber geschrieben hat er zu Hause, so viel ich weiß. Aber es ist natürlich bis heute in Wien üblich, dass man sich lieber im Kaffeehaus oder in diversen Beisln trifft, als daheim, nicht? Menasse ist zum Beispiel im „Sperl“, ich bin im „Engländer“ oder im „Brückel“, die Elfriede Jelinee war früher, als sie noch nicht überall erkannt wurde, wie sie sagt, im Café „Korb“, und so weiter. Jedenfalls, diese Tradition, dass Leute in Kaffeehäusern sitzen, ob Schriftsteller oder nicht, oder andere Künstler, Interessierte, so die Beisl-Boehème, das hat sich nicht wahnsinnig geändert, außer dass vielleicht früher die Gäste mehr aus sozialen Gründen gekommen sind, weil es da noch die Wärmestube war. Und wenn man mit zwei Kaffees, den Kellnerwechsel muss man ja immer mit einbeziehen, den ganzen Tag an einem Tisch sitzen kann, kommt das schon gelegen.
Umbruch: In den sechziger Jahren waren sie Mitglied der „Kommune Wien“. Um welche Vereinigung hat es sich da gehandelt?
Um die Studentenbewegung der damaligen Zeit. Wir waren die Philosophen. Eigentlich habe sogar ich diese „Infektion“ aus Berlin mitgebracht, sozusagen. Ich hielt mich damals in der K1 auf, also mit Kunzelmann und Langhans und Gudrun Ensslin, die ja später einen anderen Weg gegangen ist, und da gab es bereits so dreißig bis vierzig Leute in einer etwas provokanten Studentengruppe, mit etwas unkonventionellen Demonstrationsformen, Flugblättern, die für damalige Zeiten sehr frech waren, zum Beispiel kann ich mich erinnern, wurde auf einem erklärt, wie der „Indische Hüftknick“ beim Geschlechtsverkehr funktioniert. Heute lacht man darüber, aber in diesen prüden Zeiten war das eine irrsinnige Provokation. In Österreich haben uns dann andere Studenten „Kommunarden“ genannt, und daraufhin haben wir gesagt: „Kommune Wien“ ist gut.
Welche Ziele haben sie verfolgt?
Naja, im wesentlichen wollten wir die versteinerten, verzopften, prüden und rückwärtsgewandten Verhältnisse aufbrechen. Wir wollten sowohl eine soziale wie auch eine sexuelle Befreiung, und wir wollten beides zugleich, nicht zuerst das eine und dann das andere. Traditionen gab es ja vorher schon, Zum Beispiel Wilhelm Reich und dazu kam Marcuse, der den Marxismus und die Analyse verbunden hat, also alles nicht hier in Wien erfunden, das nicht. Die Bewegung gab es damals ja in ganz Europa.
Eine Art Reflex auf die Achtundsechziger-Bewegung?
Nein, kein Reflex, das war die Achtundsechziger-Bewegung, die es hier gegeben hat. Ich war sozusagen einer der Anführer der Achtundsechziger in Wien, kurzgeschlossen natürlich mit denen in Berlin und Frankfurt. In Österreich ist das alles viel sanfter abgegangen, so wie alle Dinge, die dieser Studentenbewegung dann entsprungen sind, harmloser waren. Sowohl der Reformschub war harmloser, als auch die Drogenszene, sowie die Frauenbewegung. Im Prinzip waren wir die kleinere, „literarische Form“, oder, wenn man so sagen will, gemildert durch Träumerei und Schlamperei, wie das halt in Österreich so ist. Jedenfalls keine sehr „harte“ Geschichte. Unser Anliegen war Emanzipation und Sozialismus. Und zwar beides zugleich. Daher waren wir natürlich alle eifrige Brecht-Leser und Godard-Seher, und so weiter.
Und wie hat sich das alles später weiterentwickelt, was ist aus den Leuten geworden? Wie viele sind sie eigentlich gewesen?
Na die „Kommune Wien“ bestand aus ungefähr 30 Leuten , und die Studentenbewegung in Wien, schätz’ ich, zwischen 67 und 71, das werden schon so 300 bis 400 gewesen sein. Dann sind die meisten in die so genannten K-Gruppen gegangen, Gruppe revolutionärer Marxisten, oder Maoisten oder Trotzkisten, dann gab’s ein kleines Häuflein unabhängiger Linker, und natürlich die KPÖ-Kinder, die in der KPÖ geblieben sind, und dann kamen die betonenden Siebziger-Jahre, also wirklich auch Kader und so weiter, wobei es auf Wiederholung der Zwanziger und Dreißiger Jahre der Linksextremen hinausgegangen ist. Da war ich dann zwar auch noch dabei, aber nur mehr ungefähr in der Art: der sechzehnte von links in der achtzehnten Reihe. Gott sei Dank. Ich habe mich auch nicht darum gerissen, aber trotzdem mitgemacht, weil ich mir gedacht hab, vielleicht haben die ja Recht. Ich selbst kam aus der KPÖ und kannte das alles schon. Ich war ja bereits als Sechsjähriger bei den Kinderorganisationen. Das war also für mich eigentlich nicht wahnsinnig neu, aber ich hab es ein paar Jahre lang mitgemacht, damals hieß dies als Kandidat. Und 78 war das vorbei. Also die meisten, die in der Studentenbewegung tätig waren, denke ich, sind nicht wirkliche Arschlöcher geworden. Es ist auch kaum etwas aus ihnen geworden, höchstens Künstler, aber es ist zum Beispiel kein großer Politiker direkt aus der Bewegung hervorgegangen, so weit ich weiß, es gibt ein paar Leute, die nach wie vor in dem Gebiet herum-krumeln, aber die ganzen Androsche sind von wo anders hergekommen. Also wirklich etwas ist aus ihnen nicht geworden. Sie haben aber auch nicht versagt, denn sie haben alle ihre Nischen gefunden und machen ihre Sachen.
Sollte ihrer Meinung nach Literatur den Anspruch haben, im Leser etwas verändern zu wollen, bzw., gibt es etwas, was sie selbst explizit mit ihren Büchern bewirken wollen?
Vor allem will ich bewirken, dass ich mir selbst über etwas klar werde, oder dass bestimmte Ängste, die ich habe, auf einen poetischen Begriff gebracht werden. Zweitens will ich natürlich den Leser dazu verführen, nachzudenken, ihn bekannt zu machen mit dem Universum, das mir wichtig ist. Aber verändern im Sinne von wirklich verändern, kann Literatur kurzfristig nicht, nicht einmal mittelfristig. Wenn man sich zum Beispiel den Habitus der Franzosen anschaut, würde man Balzac sozusagen für einen Kunstschatz Frankreichs halten, das gehört einfach zu Frankreich dazu, so wie die Gauloises oder die Impressionisten. Insofern übt es, dass dieser Schriftsteller ein Sohn Frankreichs ist, schon etwas auf die Franzosen aus, also da gibt es Zusammenhänge, auch bei den Russen: Puschkin oder Gogol oder Marx beispielsweise haben einen Einfluss auf die gesamte russische Volksseele. Schnitzler hat inzwischen vielleicht auch einen gewissen Einfluss auf bestimmte Bereiche der österreichischen Bevölkerung, aber kurzfristig, also in einem Lebensalter, sind die möglichen Veränderungen, befürchte ich, gering.
Anfang der siebziger Jahre war auch die Zeit, in der sie die Literaturzeitschrift „Hundsblume“ herausgegeben haben.
Eigentlich nur 70, 71. Dann war das wieder aus. Die ganze Gruppe ist dann nach Spanien gegangen, und nachher war´s vorbei.
Wer war da außer ihnen noch dabei? Gustav Ernst zum Beispiel?
Ja, am Anfang, dann gab es die Gruppe rund ums Wespennest, die zeitweilig sogar die Hundsblume produziert hat, Leute wie Kaiser, Konstantin Kaisers Zwillingsbruder, waren dabei, und einige, die man jetzt nicht mehr so gut kennt.
Worin unterscheidet sich der Schindel von damals zu dem von heute?
Naja, entscheidend ist einmal das Alter, würde ich sagen. Das weiß man ja erst im Alter, dass es entscheidend ist. Wenn man jung ist, spielt das Alter keine Rolle. Erstaunlicherweise sagen mir die Leute oft, so wahnsinnig stark hab ich mich nicht verändert. Ich bin nach wie vor kein besonders angepasster Mensch. Ich bin sicher etwas ruhiger, lebe andererseits meine Unruhe jetzt in der Literatur aus, und kann deshalb im wirklichen Leben etwas ruhiger sein, früher hat sich das mehr vermischt, da habe ich die Literatur selbst mehr gelebt, was aber ganz klar ist, das ist ja bei allen so. Der größte Unterschied ist vielleicht der, das der junge Schindel noch anfälliger für Ideologien war, und zwar für einige Ideologien, nicht nur für den Stalinismus, auch für den Eurokommunismus zum Beispiel, für den Trotzkismus, wenn auch nur für kurze Zeit, den Maoismus, also für alles auf der linken Skalawar ich relativ anfällig, für Formationen. Das war ja auch etwas wie Familienersatz, nicht nur bei mir. Aber diese Ideologie-Anfälligkeit ist dann in den achtziger Jahren vergangen. Jetzt organisiere ich nur mehr meine eigenen Sinnes-Organe, keine anderen Organe mehr.
Wie haben sie die Veränderungen der Gesellschaft miterlebt?
Nun sie hat sich schon modernisiert, was nicht unbedingt selbstverständlich ist. In den siebziger Jahren war da ein Modernisierungsschub, sowohl Kreisky als auch die Studentenbewegung waren da ausschlaggebend, sozusagen die endgültige Verabschiedung der Kriegsgeneration, noch nicht wir, sondern die, die damals so um die dreißig waren, die sind dann langsam zur politischen Elite aufgestiegen, und die wollten Veränderungen, Modernisierungen auf allen möglichen Gebieten haben und haben das schließlich auch durchgezogen. Das war unter der Sozialdemokratie in Österreich der Reformschub, nicht, wenngleich es das in Deutschland natürlich auch gab, parallel, oder in Schweden, da hat sich einiges geändert überall in Europa. Die Gesellschaft ist beispielsweise liberaler geworden, was sicherlich auch ein Verdienst der Studentenbewegung gewesen ist. Es gab die Einführung eines ganz modernen Strafrechts, die Ausgrenzung von Homosexuellen ist zurückgegangen, die Frauenbewegung hat an Einfluss gewonnen, insofern hat sich schon einiges verändert, und man braucht nur einen Blick in Tageszeitungen der Sechziger Jahre werfen, dann sieht man das sofort, wo die ganzen alten Nazis und auch ihre ganze Sexualmoral oder die „katholischen vaterländischen Frontleute“ noch das Sagen in allen Redaktionen hatten und auch das politische Klima ein noch völlig anderes war.
Genauso kann man natürlich davon ausgehen, dass sich auch der Literaturbetrieb verändert hat. Inwiefern war das für sie beobachtbar?
Dadurch dass ich selbst relativ spät als Literat aufgetreten bin, kann ich das nicht unmittelbar aus eigener Erfahrung sagen. Handke ist zum Beispiel nur zwei Jahre älter als ich und war damals bereits mit 25 in aller Munde und berühmt, oder Innerhofer, der auch mein Jahrgang ist, bereits in den 70ern bekannt geworden. Ich habe erst 1986 mein erstes Buch veröffentlicht, wenn man von der Hundsblumenzeit absieht. Aber ich weiß, dass auch die Leute rund um den PEN-Club der 30er Jahre dominiert haben, Henz, Schönwieser, Waggerl, solche Leute haben bis in die 50er 60er Jahre die Literatur in Österreich bestimmt. Dann hat langsam die Wiener Gruppe eine Rolle gespielt, wobei es vorher schon gewisse Außenseiter gab wie Lebert, Fritsch, Moser aber das waren vereinzelte völlig isolierte Leute, die nicht wirklich weiter gekommen sind. Das hat sich in den Siebziger Jahren geändert, dann kamen die ersten großen Literaturwunder mit Wolfgruber, Innerhofer, Jonke, diese Generation, Handke natürlich, Thomas Bernhard, wo auf einmal von einer wirklichen Anti-Heimat Literatur die Rede in Österreich war, die weit in den deutschsprachigen Raum hinein Einfluss genommen hat. Das war das erste Mal, dass die Heimat wirklich als in ihrer Herkunft und in dem, was sie in sich birgt, an Alltagsfaschismen, Leichen im Keller und so weiter, dargestellt wurde. Das haben diese Literaten alles in den Siebziger Jahren aufgearbeitet. Das war ein echter Umbruch, dem auch ich, obwohl jünger und zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbst im Literaturbetrieb tätig, natürlich einiges verdanke.
Könnten sie sich vorstellen, dass es damals leichter war als Literat wahrgenommen zu werden?
Es war nie einfach. Früher gab es weniger Literaturförderung, dafür gab es viel mehr Möglichkeiten, für Zeitungen zu schreiben. Dann kam einer der großen Kunstverdienste Kreiskys, dass dieses Förderungssystem, das Stipendiensystem entstanden ist, das es vielen Leuten ermöglichte, sich weiter zu entwickeln. Das ist unter Kreisky und dann auch noch unter Scholten ausgebaut worden, erst wieder in den 90er Jahren zurückgegangen und zwar immer noch recht gut, aber man hat dafür sonst relativ wenig Möglichkeiten, sich literarisch durchzusetzen. Mit der Öffnung der Mauer und der New-Economy haben die Verlage dann ein Problem bekommen, rein literarische Produktionen zu fördern, und haben sozusagen die Verkaufsanzahl in den Vordergrund geschoben. Leute, die weniger Verkaufsmagneten sind, bekamen vielleicht Probleme, die sie in den 80ern und 70ern nicht gehabt hätten. Also das heißt, jede Zeit hat ihre Schwierigkeiten für Schriftsteller und zugleich ihre Nischen. Und so ist es auch jetzt.
Literaturzeitschriften zum Beispiel, gibt es von denen schon zu viele oder noch zu wenig?
Sie sind sicher unentbehrlich! Ich bin der Auffassung, dass der Weg eines jungen Autors fast ausschließlich über Literaturzeitschriften geht. Ich weiß von der Zeit in der Ingeborg-Bachmann-Jury, dass es ganz entscheidend war, wenn ein Manuskript kam, ob der Autor vorher wenigstens schon in irgendwelchen Literaturzeitschriften veröffentlicht hat, wenn einer 32 Jahre alt war und noch nie veröffentlich hatte, war man automatisch skeptisch, à la: wie gibt’s das? Also das Sammeln von Erfahrung, indem man wenigstens ein bisschen in die Öffentlichkeit kommt, ist unentbehrlich. Deshalb kann es meiner Meinung nach nie genug Literaturzeitschriften geben, obwohl das Wesen einer Literaturzeitschrift ja oft ist, dass sie gegründet wird und bald darauf stirbt.
Wie sie gerade angesprochen haben, waren sie jahrelang Jurymitglied und –Vorsitzender des Ingeborg Bachmann Wettbewerbs in Klagenfurt. Wie ist es dazu eigentlich gekommen?
Nun, das wird man mir oder muss man mir nicht glauben, aber ich war über Jahre hinweg dort, einfach, weil mich die Literatur und die Besucher interessiert haben. Ich saß dann immer, damals noch als starker Raucher, in der Kantine vor einem Fernseher, weil man dort rauchen durfte, hab mir die Texte geholt und mit Freunden „gestänkert“ über die Jury und so weiter. Ab 87, 88, 89 war ich ja bekannt, und 92 bin ich mit „Gebürtig“ überhaupt relativ sehr bekannt geworden und dementsprechend der Jury und den Veranstaltern in Klagenfurt aufgefallen, dass ich da immer da bin, und irgendwann, so 94, 95 haben sie dann begonnen, mich auch zu fragen, was ich von dem halte, was ich von der Jury halte und ähnliches. Dann war ich auch ein Jahr Stadtschreiber in Klagenfurt, und schließlich haben sie mich gefragt, ob ich in die Jury will, nach dem mich vorher bereits einige dazu eingeladen haben, als Leser teilzunehmen, was ich allerdings nie machte. Und ich meinte, so lange die Juroren den Text vorher nicht kennen, gehe ich nicht in die Jury, weil mir das zu unseriös sei. Später wurde das sowieso geändert, im Internetzeitalter wäre es ohnehin nicht mehr länger anders gegangen, weil natürlich verschiedenste Autoren heimlich versucht haben, mit ihrem Text schon im Vorfeld die Jury zu bombardieren. Daraufhin haben sie mich noch einmal gefragt, und ich habe zugesagt.Selbst wollten sie nie als Autor am Wettbewerb teilnehmen?
Ja. Ich habe mich dabei an einen Beschluss der Grazer Autorenvereinigung gehalten, der da lautete: „Am Klagenfurter Ingeborg Bachmann Preis nimmt ein österreichischer Schriftsteller nicht teil, denn das ist eine literaturferne Veranstaltung.“ Ich habe mich daran gehalten. Ehrlich gesagt wollte ich auch deshalb nicht, denn, ich habe immer zugesehen, und das Gefühl gehabt, dass dies ja nicht unbedingt für die Autoren gut sei. Besonders die Art und Weise, wie die Jury mit den Schriftstellern umging, war mir nicht unbedingt recht. Es gab einen einzigen Juror, der mir sehr gut gefallen hat, und von ihm ausgehend hatte ich mir vorgenommen, wenn ich das als Jurymitglied mache, dann möchte ich es in einer ihm ähnlichen Art machen. Das war Jureck Becker, der hat den Autoren eine Kritik gegeben, mit denen sie etwas anfangen konnten, und er hat nicht bloß gesagt: „Das gefällt mir nicht.“ oder: „Das interessiert mich nicht.“ Die meisten saßen ja nur dort und sagten, das interessiert mich nicht, wie du schreibst.
Mittlerweile haben sie ja wieder die Fronten gewechselt und sind zurück als Tutor zum Literaturkurs gegangen. Liegt ihnen das mehr?
Ja das liegt mir schon mehr, weil das ist ein Arbeiten mit Texten, Arbeiten mit Autoren an Texten, von Autor zu Autor, das mache ich auch bei Schreibwerkstätten sehr gerne, zum Beispiel für die Schule der Dichtung. Vielleicht ist auch ein wenig Egoismus dabei, weil ich selbst sehr viel lernen kann. Das mach ich schon sehr gerne.
Sind sie selbst schon einmal auf eine Art kritisiert worden, bei der sie sich gedacht haben, das geht jetzt aber zu weit?
Nein, eigentlich nicht, offenbar hab ich eine sehr dicke Haut. Ich habe natürlich schon Verrisse gehabt, nicht viele, aber doch gelegentlich, man kränkt sich immer, das merkt man sich komischerweise auch viel länger als Positives. Ich glaube, das gehört einfach dazu. Die meisten Kritiken sind ja ohnehin auch nichts besonderes, weil sie oft mehr ein Geschmacksurteil sind, als eine Auseinander-setzung mit den Texten. Dadurch können sogar die lobenden Artikel manchmal ärgerlicher sein, wo man für etwas gelobt wird, was man gar nicht geschrieben hat, wo man sich denkt, der hat das einfach gar nicht verstanden und dann wird man gelobt auch noch, das kann fast ärgerlicher sein als kluge Kritiken.
Sie waren auch selbst einmal als Gast im „Literarischen Quartett“. Welche Erinnerungen verbinden sie daran?
Naja, das war eine ziemlich heftige Auseinandersetzung mit Marcel Reich-Ranicki über den Schriftsteller Robert Menasse. Aber Ranicki war so fair, dass er mir nach der Sendung sogar dafür, dass ich ihm widersprochen habe, gratuliert hat! Das ist schon ganz gut gegangen.
In einem Interview auf ihrer Homepage steht, dass sie zur Zeit wieder an einem Roman arbeiten. Lässt sich darüber bereits etwas sagen?
Nein, wenig, das ist eine unendliche Geschichte. Es kommt mir immer etwas dazwischen.
Ihre persönliche Entwicklung geht von der Lyrik zur Prosa?
Nein. Der Lyrik werde ich immer treu bleiben. Alles andere sind eher Ausflüge.
Welchen Rat würden sie einem jungen Autor geben?
Naja, solche Ratschläge sind schwer. Wichtig wird sein, viel viel lesen, viel andere Bücher lesen, von allen Autoren aus allen Zeiten, auch Gleichaltrige, auch Zeitgenössisches, Literaturzeitschriften. Auf die Technik achten, auf die Schreibtechnik achten, schauen, dass man das lernt, nicht dass man riesige Umwege gehen muss. Ansonsten: genau hinschauen. Viel mehr kann ich nicht sagen. Alles andere wäre zu spezifisch. Authentisch bleiben, wenn es geht, und nicht glauben, man muss irgendeine Mode mitmachen. Selbst, wenn es Kritiker sagen. Man muss bei seiner Linie bleiben und auf seine Zeit warten. Wenn man authentisch ist und weitermacht, dann kommt diese Zeit ganz bestimmt. Ich hatte ja selbst schon gar nicht mehr damit gerechnet und war bereits über vierzig, als es passierte.