In St. Pölten wird's meistens spät!: Diana Köhle und Mieze Medusa. Thomas Fröhlich

IN ST. PÖLTEN WIRD’S MEISTENS SPÄT!

Diana Köhle und Mieze Medusa zählen wohl zu den wichtigsten und erfolgreichsten Poetry Slam-MasterInnen Österreichs. Sie „erfanden“ und etablierten den „textstrom“-Slam im Wiener rhiz, waren 2006 schon beim damaligen „Blätterwirbel“ im Landestheater Niederösterreich zu Gast, moderierten im darauf folgenden Sommer den „Dosen“-Slam in der St. Pöltner Seedose und sind nun wieder beim „Blätterwirbel“ 2007 on stage.
Thomas Fröhlich will wissen, wie das alles begann und wie die Zukunft des Poetry Slam aussehen wird.
Das Interview erschien im etcetera 29/Blätterwirbel/Oktober 2007

T. Fröhlich: Wie lange macht ihr das schon? Gab’s da eine Initialzündung – und wenn, wie sah die aus?

Diana Köhle: Wir haben heuer den 3. „textstrom“-Geburtstag im Mai gefeiert, juchhu, wer hätte das gedacht! Das Kick Off fand am 26. Mai 2004 im Hinterzimmer des Café Europa statt. Wir machen das nun schon ein Zeiterl. Wie es dazu kam? Dafür muss ich ein wenig ausholen. Also Mieze Medusa und ich haben beide in Innsbruck studiert, waren dort beide beim Slam von Markus Köhle im Bierstindl regelmäßig dabei. Mieze Medusa als aktive Slammerin, ich als aktive, oft auch als aufmüpfige Zuschauerin bezeichnet. Wir haben uns dann in Wien wieder getroffen und festgestellt, es geht uns der Poetry Slam ab und wir könnten da ja selbst was aufziehen. Gesagt getan, wir haben uns auf die Suche nach einer passenden Location gemacht, das hat alsbald geklappt und so stand ich dann plötzlich auf einer Bühne und moderierte einen monatlichen Slam in Wien.

Mieze Medusa: Bei mir ging’s genaugenommen als aktive Slammerin in Wien los. Nach dem Studium in Innsbruck bin ich pleite und ohne Bühne in Wien angekommen und hab ich versucht, einmal monatlich im Schikaneder den Spendentopf abzukassieren. Gelungen ist das mal besser mal schlechter. Aber natürlich geht’s um die Bühne, um die Chance Texte zu bringen und direktes Feedback auf seine Performance zu bekommen. Ich hatte damals keine Band, keine Strukturen in Wien und hab jede Möglichkeit genützt, ein Mikro in die Hand zu bekommen.

Ja, und ich hatte eine Fernbeziehung mit einem Innsbrucker und die Besuche hab ich halt dann immer auf die Slamtermine gelegt, damit ich Liebe und Ehrgeiz an einem Wochenende verwirklich konnte, hehe.

T. Fröhlich: So im direkten Vergleich: Wie empfindet ihr die Slam-Szene in St. Pölten, verglichen mit Wien oder Innsbruck – oder Berlin?

Diana Köhle: Wir haben in den letzten Monaten ja einige Slams in St. Pölten moderiert und festegestellt, die Slamszene dort ist am wachsen. Das ist gut so und überall haben Slams klein angefangen. Immer wieder sind neue TeilnehmerInnen dabei, das freut uns besonders und die Szene wächst und wächst. So soll es sein. Außerdem eignet sich St. Pölten sehr gut, da es für „reisefreudige“ SlammerInnen aus Wien leicht erreichbar ist. Wir sind froh, dass es nun auch in St. Pölten regelmäßige Slams gibt.

Mieze Medusa: Jeder Slam hat seine eigene Handschrift. Viel davon bestimmen die SlammasterInnen, viel davon die Örtlichkeit und am meisten wohl die TeilnehmerInnen und das Publikum. Mir fällt an St. Pölten aber eigentlich am meisten auf, wie spät es jedes Mal wieder wird. In der „Ausgehhauptstadt“ Wien komm ich meistens üblicherweise früher ins Bett, hehe.

T. Fröhlich: Poetry Slams werden ja immer populärer. Es gibt ja inzwischen sogar im deutschen Fernsehen eigene Poetry Slam-Sendungen.
Ist das gut?
Oder verwässert das die Intention?
Mir fällt halt auf, dass das Comedy-Element immer stärker wird. Wird’s darauf vielleicht – gleichsam als Antwort auf die „Mainstreamisierung“ – wieder einen neuen Slam-Underground geben? Wie seht ihr die Zukunft des Poetry Slam? Und wie definiert ihr euch selbst in dieser Entwicklung?

Diana Köhle: Ich bin dafür. Ich habe nichts gegen diese Art der Verbreitung, im Gegenteil, ich finde es gut, wenn Poetry Slams mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und vor allem, wenn Poetry SlammerInnen ernster genommen werden, denn das ist in der Literaturszene nicht selbstverständlich. Außerdem wird dadurch wieder eine neue Publikumsschicht erreicht, die ansonsten nicht unbedingt auf diese Form der Literatur gekommen wäre. Ich mag es, wenn Leute feststellen, Literatur muss nicht immer ernst und fad sein, sondern kann durchaus sehr lustig und unterhaltsam sein.
Zur „Mainstreamisierung“: Für mich ist es nach wie vor wichtig, dass es den SlammerInnen ums Dabeisein geht, Spaß zu haben und ein Slamabend ein Abend für, von und mit allen ist. Wenn die ganze Sache wächst, habe ich nichts dagegen, auch wir sorgen mit den ersten österreichischen Poetry Slammeisterschaften (Ö-Slam am 19. Oktober im Wiener WUK) für eine größere Verbreitung. Das ist eine zusätzliche Slamveranstaltung, die wir in Zukunft einmal im Jahr planen. Weiters hoffe ich, dass die Slamszene in Österreich weiter wächst, das heißt, es gibt noch genügend Landeshauptstädte und auch sonstige Städte oder Orte, an denen ich gerne einen Slam sehen würde, we will see …
Wir versuchen durch diverse Gastmoderationen den Slamgedanken in andere Plätze zu tragen, stehen jederzeit für Tipps und Rückfragen zur Verfügung (bzw. in unserer ersten „textstrom“-Anthologie, erschienen in der Edition Aramo, findet man auch ein Slammanual, wie man einen Slam organisiert).

Mieze Medusa: Ich fühl mich eigentlich nicht verantwortlich für die europäische Slamszene. Ich fühl mich verantwortlich für die von uns moderierten Slams und für meine eigenen Texte. JedeR entscheidet für sich, wie viel „Mainstream“ sie bei ihren Texten akzeptieren oder ob und wie die SlammasterInnen subtil das Publikum „erziehen“ können und wollen, so dass es nicht unbedingt auf jeden billigen Trick reinfällt. Den Untergrund gibt’s immer und den wird’s immer geben und mein Herz schlägt für den Untergrund. Was aber nicht heißt, dass ich keine Freude daran hab, wenn die Slamszene größer und damit kommerzieller wird.
Was aber sicher stimmt, ist, dass in der Slamszene in Deutschland die braveren ErzählerInnen daheim sind. Ob jetzt Österreich historisch mehr Freude am Sprachexperiment hat, ob die österreichische Literatur- bzw. Slamszene sich weniger ums breite Publikum kümmert oder ob Markus [Slammaster in Innsbruck], Diana und ich einfach die zugegeben große Zahl an Freaks im erweiterten Freundeskreis fürs Slammen begeistert haben, kann und will ich nicht beantworten.

T. Fröhlich: Danke für das Gespräch!

Diana Köhle: Bitte, gerne, jederzeit wieder und wenn wer Fragen hat, kann man uns über www.myspace.com/textstrom bzw. www.textstrom.at gerne jederzeit kontaktieren!

Biografie Diana Köhle: Konsumiert gern Literatur jeder Art. Engagiert sich für Literatur jeder Art. Gestaltet Literaturzeitschriften, T-Shirts und Buchcovers. Gemeinsam mit Mieze Medusa organisiert sie den monatlichen Poetry Slam „textstrom“ im Wiener rhiz.

Biografie Mieze Medusa: Mieze Medusa ist eine fixe Größe in der österreichischen HipHop- und Poetry-Slam-Szene und Mitglied des backlab-Kollektivs. Gemeinsam mit Diana Köhle organisiert sie den monatlichen Poetry Slam „textstrom“ im Wiener rhiz.

Zusammen mit Tenderboy und DJ Smi hat sie neulich den Longplayer „Antarktis“ veröffentlicht und ziemlich erfolgreich protestiert. Die aktuelle Veröffentlichung „Sprechknoten“ – gemeinsam mit Markus Köhle – präsentiert einen Livemit- und Querschnitt ihrer Spoken Word Texte.
www.miezemedusa.com
www.textstrom.at