Umweg / Etcetera 86 / Interview / Ronald Lintner

Natur auf Umwegen

Eva Riebler sprach mit Ronald Lintner, dem Wiss. Leiter Naturbereich anlässlich der Ausstellungseröffnung „Wildnis Stadt” im Haus für Natur im Museum Niederösterreich, am 8.10.21, geöffnet bis 12.2.2023.

Asphalt- und Betonwüsten gehören nicht unbedingt zu unserem Verständnis von Natur, heißt es im Prospekt zur Ausstellung. Weiters: Doch gerade Städte sind ein Mosaik auf unterschiedlichsten Lebensräumen, die es zu erhalten gilt.
Die Ausstellung zeigt interaktiv mit welchen Wildtieren und Pflanzen wir unseren Lebensraum teilen, vom Dach bis zum Keller, von der Brachfläche bis zur Parkanlag, vom Kreisverkehr bis zum schützenden Mauervorsprung oder wärmenden Geleisschotter am Bahndamm.

Lieber Herr Mag. Lintner, bei Ihrer Führung durch die Ausstellung dachte ich an den UMWEG (so unser Heftthema) über den Pflanzen in ein urbanes Gebiet einziehen. Wie sehen Sie dies?
Pflanzen haben es in der Stadt wirklich nicht leicht. Viele Flächen werden versiegelt, es herrschen höhere Temperaturen und Trockenheit, Verkehr und Industrie verschmutzen Luft und Boden. Niederschlagswasser fließt über den versiegelten Boden rasch ab und im verdichteten Boden herrscht Sauerstoffmangel. Entlang der Straßen kommt es zu weiteren Belastungen.
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen ist die Pflanzenvielfalt in der Stadt oft sogar höher als auf dem Land. Begünstigt wird dies durch die Vielfalt an Strukturen und Lebensräumen, die hier zu finden sind. Oft ist uns nicht bewusst, in welch ungemütlichen Nischen sich Pflanzen in der Stadt ansiedeln.

Sogar Heilpflanzen wie der Spitzwegerich oder der Breitwegerich halten Einzug und sind ohne das übliche Gras in ihrer Umgebung hier an Straßenrändern viel leichter zu finden.
Der Breitwegerich begegnet einem auf Schritt und Tritt. Mit einer bis zu 80 cm langen Wurzel kann er dort noch wachsen, wo andere Pflanzen aufgeben müssen. So viel Widerstandskraft ist schon beeindruckend.
Der Spitzwegerich mit seinen schmalen, spitz zulaufenden Blättern ist keine Trittpflanze. Er wächst zwar an fast jedem Wegesrand, aber nicht unbedingt dort, wo er ständig getreten wird. Die zerquetschten Blätter des Spitzwegerichs lindern Insektenstiche.

Auf Umwegen, über künstliche Beton-Nistkästen für Mauersegler, Fledermäuse und Co unterstützt die Stadt den Artenschutz an Gebäuden. Warum?
Wärmedämmung, Fassaden- und Dachsanierungen unterstützen meist den Klimaschutz, aber nicht immer den Naturschutz. Denn viele Vogel- und Fledermausarten verlieren dadurch ihre Quartiere, Nist-, Schlaf- oder Ruheplätze. Sind Einflugöffnungen in Dachkästen oder Gesimsen etc. nicht mehr möglich, helfen Ersatzlösungen. Einbausteine aus wärmeisolierendem Holzbeton, integriert in Fassade können dauerhafte Artenschutzlösungen sein. Auch außen am Gebäude angebrachte Nistkästen können verlorene Nistplätze ersetzen.

Natürlich ist der Grünraum in der Stadt in erster Linie Erholungsraum für den Menschen. Wie wichtig sind Grünräume?
Das Stadtgrün ist wesentlicher Bestandteil einer lebenswerten, gesunden und biologisch vielfältigen Stadt. Grünflächen wie Parkanlagen, Wälder, Alleen, Straßenbegleitgrün, Brachflächen, begrünte Dächer und vieles mehr übernehmen wichtige Funktionen. Sie verbessern das Stadtklima und die Luftqualität, bieten Pflanzen und Tieren wertvolle Lebensräume und sind wichtige Erholungsund Naturerlebnisraume. Das Grün in der Stadt wird mehr denn je benötigt.

Sehen Sie das Vermitteln der Bedeutung von Flora und Fauna als Ihren Bildungsauftrag? Unbedingt!
Ja, die Ausstellung lädt ein, die Natur vor der Haustür zu entdecken. Sie zeigt, mit welchen Wildtieren und Pflanzen wir unseren Lebensraum teilen, vom Kellerabteil bis zur Parkanlage, vom Parkplatz bis zur Balkonpflanze!

Wie schaut Ihre Zielgruppe aus?
PädagogInnen, Familien, Kinder, Jungendliche, naturinteressierte, erlebnisorientierte und wissbegierige Personen, Fachpersonen……

Die Ausstellung bietet ja eine interessante, abwechslungsreiche und inspirierende Expedition durch die Wildnis Stadt!
Die Sonderausstellung beschränkt sich nicht nur auf die Ausstellungsfläche. Bereits vor dem Museum gibt es einen Zebrastreifen, auf dem man sich mittels eines QRCodes mit virtuellen Wildtieren fotografieren kann und im Museumsgarten wurde anlässlich der Ausstellung sogar ein eigener Informationspfad eingerichtet.

In der Ausstellung sind zahlreiche Tipps, den Naturraum zu erhalten oder wieder herzustellen. Wie lautet Ihr wichtigster Tipp?
Wer mit offenen Augen durch den urbanen Bereich wandert, wird immer wieder Erstaunliches entdecken. Diese erlebbare Stadtnatur bereichert das Leben und fördert die Lebensqualität.
Die Natur vor der eignen Haustür erleben und erfahren!

In diesem Sinne danke ich herzlich für die interessante Führung durch die umfangreiche Ausstellung und das aufschlussreiche Interview!

www.museumnoe.at/de/haus-fuer-natur/Sonderausstellung/ wildnis-stadt

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