Zdenka Becker
ZDENKA BECKER
im Gespräch mit Ingrid Reichel
im April 2006
erschienen im STADT.STIMMEN– 20 Jahre Landeshauptstadt
St. Pölten/etcetera Sonderheft/Juli 2006
Zdenka Becker, österreichische Autorin mit slowakischen Wurzeln, lebt seit 31 Jahren in Österreich. Sie veröffentlichte einige Bücher, ihre Theaterstücke wurden im In- und Ausland gespielt, wofür sie mehrere Literaturpreise erhielt. Im Herbst kommt ihr neuer Roman „Die Töchter der Róza Bukovská“ im Residenz Verlag heraus.
Der Titel deines neuen Buches klingt schon wie eine Geschichte. Ist es deine persönliche Geschichte?
Nein, so kann man es nicht sagen, auch wenn die Grundkonstruktion des Romans an meine Biographie erinnert. Ich habe begonnen vor vier Jahren an dem Buch zu schreiben und irgendwann hat sich die Geschichte selbständig gemacht. Im Mittelpunkt der Handlung steht die slowakische Familie Bukovský. Die Mutter Róza, ihre drei Töchter und die Freundin der mittleren Tochter sind die Hauptfiguren. Es geht um Beziehungen in der Familie, um Erziehung, es geht um Strenge und Härte. Als Hintergrund dieser Familiengeschichte dienen die politischen Veränderungen in Europa – die beiden Weltkriege, die große Wirtschaftskrise, der Aufbau des Sozialismus, der Prager Frühling und die Sanfte Revolution. All das hat einen Einfluss auf die Menschen, auf ihre Handlungen und Gefühle. In dieser Familie passiert es im Laufe der Jahre, dass in jeder Generation jemand weggeht. In der Großeltern-Generation ist es der Großvater, der nach Argentinien auswanderte, die Eltern sind von der Slowakei nach Tschechien gezogen, und von der Kindergeneration zwei Töchter ins Ausland, eine nach Österreich und eine nach Amerika, emigriert. Ich wollte ein Bild einer Familie zeichnen, die im Grunde einem Patchworkmuster gleicht. Der Konflikt dieser Familie, die sich nur alle paar Jahre trifft, ist geprägt von Rivalitätskämpfen zwischen den Geschwistern, die sich profilieren wollen und um die Gunst der Mutter buhlen, die immer sehr sparsam mit Liebe und Zuneigung war. Die Familie zerfällt, übrig bleiben nur Fotos an den Wänden.
Wie lautet Deine STADT.STIMME auf die Frage: fühlst Du Dich in St. Pölten beheimatet?
Jemand hat einmal gesagt „Wenn du einmal deine Heimat verlässt, wirst du niemals einen Ersatz dafür finden.“ und das stimmt. Man hat nach der Emigration zwei Möglichkeiten: sich entweder den Rest seines Lebens nach der verlorenen Heimat zu verzehren oder etwas anderes, aber genauso wertvolles zu suchen. Und ich habe den zweiten Weg gewählt. Ich habe aufgehört meine Heimat gleichwertig mit Geographie zu setzen. Heimat ist für mich kein Ort, sondern ein Gefühl der Liebe und Wärme. Ich lebe in St. Pölten seit 22 Jahren. Vorher waren wir in Wien, aber auch mit einem starken Bezug zu St. Pölten, da mein Mann St. Pöltner ist. Da ist unser Haus, die Familie, die Kinder, da sind unsere Freunde. Ich lebe hier sehr gerne, es ist mein zu Hause.
Wie war der Anfang für dich?
Der Anfang war sehr schwer, weil ich die Sprache nicht beherrscht hatte. Und ich hatte Heimweh und dass, obwohl ich nach Österreich nicht aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen, sondern aus Liebe gekommen bin. Ich lernte so schnell wie möglich Deutsch und begann nach elf Jahren in meiner neuen Sprache zu schreiben. Es war sehr anstrengend, aber gleichzeitig auch befreiend. Und zum Glück fand ich unter den Schriftstellern Freunde, die mich in meinen Bemühungen unterstützt hatten. Bis heute lesen wir uns gegenseitig die Texte, korrigieren sie und diskutieren darüber. Im Dialog werden viele Sachen klarer.
Und wie ist es jetzt für dich?
Nach der Öffnung der Grenzen sind die Themen der Emigration und der Grenzüberschreitung interessant geworden und das ist mein Vorteil. Ich kenne den Osten und den Westen und auch die Gefühle, Wünsche und Erwartungen auf beiden Seiten. Das hilft mir authentisch zu bleiben, ich brauche nichts zu erfinden. Es gibt verschiedene Arten von Emigration, aber alle haben etwas gemeinsam – die Heimatsuche. Und das betrifft auch Menschen, die in diesem Land zur Welt gekommen sind. Viele sind auf der Suche – nach der inneren Heimat, nach sich selbst, nach Anerkennung.
Fühlst du dich heute als Ausländerin in Österreich?
Die Frage der Identität gehört zu meinen Hauptthemen. Ich bin als Slowakin zur Welt gekommen und daran wird sich auch nichts ändern. Egal, welchen Reisepass ich besitze. Trotzdem fühle ich mich auch als Österreicherin und Weltbürgerin. Ich bereise in den letzten Jahren die Welt, hatte Lesungen in den USA, China, Indien, Korea, Spanien usw., habe Freunde rund um den Globus. Für mich stellt sich die Frage, ob ich hier Ausländerin bin oder nicht, nicht mehr, auch wenn ich nach so vielen Jahren gefragt werde, ob es mir in Österreich gefällt. Der Weg zur Anerkennung als Schriftstellerin in dieser Stadt ist für mich schwierigerer als bei jemand hier Eingesessenem. Ich finde es bedauerlich, dass mich diese Stadt nicht so anerkennt, wie ich es mir wünschen würde. Ich glaube, dass es nicht mit meiner Herkunft zusammen hängt, sondern eher damit, dass ich hier in den Augen mancher Menschen nicht verwurzelt bin. Ich bekenne mich absichtlich zu keiner Partei, weil ich der Überzeugung bin, dass die Kunst frei sein muss, um fliegen zu können. Aber es könnte sein, dass sich gerade in dieser Stadt auch eine Kleinbürgerlichkeit zeigt. Denn wenn du im Ausland Erfolg hast, wird hier gleich gefragt –„…und, was hat das mit St. Pölten zu tun?“ Ich würde sagen: Ziemlich viel. Denn im Internet, welches weltweit agiert, steht, dass diese Schriftstellerin aus St. Pölten kommt.
Wie siehst Du die Kulturentwicklung in St. Pölten in den letzten 20 Jahren?
Ich sehe mit Freude, dass sich einiges in dieser verhältnismäßig kleinen Stadt tut. Ich denke da vor allem an die Bühne im Hof, an das Festspielhaus und vor allem an das Landestheater. Isabella Suppanz gibt eine gute Richtung vor, auch wenn dies oder jenes Stück nicht jedem gefällt. Und ich würde mir mehr zeitgenössische Stücke wünschen. Denn wir leben heute und jetzt und das Theater soll der Spiegel der heutigen Gesellschaft sein. Ich glaube dass das österreichische Publikum etwas anspruchslos ist und dass es immer wieder das Gleiche sehen möchte. Wenn Shakespeare oder ein Nestroy gespielt wird, heißt es - da gehen wir hin, das ist gut. Dagegen, wenn etwas Neues gespielt wird, ein unbekannter Autor, ein kritisches Stück, sind die Leute verunsichert und gehen nicht hin. Ich bin einfach begeistert von Amerika und China, wo neuen Autoren eine Chance gegeben wird. Es wird viel experimentiert, es werden szenische Lesungen oder auch ganz einfache Aufführungen gemacht, zu denen Regisseure und Dramaturgen geladen werden. Wenn es gefällt, kommt es zu einer großen Produktion. So etwas gibt es weder in St. Pölten noch in Wien. Es ist fast unmöglich hier gespielt zu werden. Es ist wirklich traurig, dass ich leichter Karriere in New York mache als hier, wo ich lebe.
Du selbst trägst sehr viel zur Kulturentwicklung bei. Du organisierst Projekte mit Jugendlichen aus Österreich im Austausch mit Tschechien und der Slowakei.
Ich lege sehr viel Hoffnung in die Jugend. Ich gehe manchmal in die Schulen und halte Workshops zu aktuellen Themen, wie AKW Temelín, Beneš-Dekrete, Öffnung der Grenzen oder Toleranz sowie Integration der Ausländer. Mich interessiert einfach die Entwicklung Mitteleuropas. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit mit den Oststaaten und wir haben auch eine gemeinsame Zukunft. Man sieht, dass in den neuen europäischen Staaten die Jugend noch nicht übersättigt ist und hungriger diese Projekte annimmt. Die Jugend hier zu Lande ist ein bisschen passiver geworden. Nur ein Beispiel - an der Wirtschaftsuniversität in Wien beträgt die Mindeststudiendauer acht Semester, durchschnittlich schaffen es die Studenten in 14 Semestern. Tschechen und Slowaken, die jetzt auch an der WU Wien studieren, schaffen es aber in der Fremdsprache Deutsch in 8-10 Semestern. Auch aus dem einfachen Grund, weil diesen Studenten ein längeres Studium nicht finanziert werden kann. Für Berufe werden sie gerne genommen weil sie beide Sprachen, meistens noch eine dritte, beherrschen. Sie sind einfach aktiver. Und dann gibt es da von Seiten der Großelterngeneration Ressentiments aus der Vergangenheit z.B. wegen der Vertreibung der Sudetendeutschen oder jetzt die Problematik mit dem Kernkraftwerk. Die heutige Jugend zeigt sich versöhnlicher als ihre Eltern und Großeltern. Die jungen Menschen wollen sich nicht mit dem Müll der letzten Generationen beschäftigen. Sie wollen aufeinander zugehen, die Probleme gemeinsam lösen und sie nicht ständig aufwärmen. Die Aufsätze, die ich von ihnen bei den Workshops bekomme, zeugen schon von einer gewissen Reife. Und das gefällt mir sehr gut. Ich denke, dass wir, die heutigen Erwachsenen, die Planer der europäischen Union sind, aber nur die Jugend, die zukünftigen Erwachsenen, können sie durchführen. Unsere Aufgabe ist es, sie Toleranz zu lehren und nicht gegen jemanden aufzuhetzen.
Wir leben in einer Stadt, die global einen schlechten Ruf hat. St. Pölten bietet aber für nicht mal 50.000 Einwohner ein reichhaltiges Kulturangebot. Dennoch nehmen es sehr wenige wahr. Woher kommt das?
Das kann ich nicht beantworten. Aber der schlechte Ruf kommt sicher auch von dem Gestank der Glanzstoff. Ich habe schon mehrmals mit Leuten aus Europa diese Erfahrung gemacht, die auf der Durchfahrt mit dem Zug nach Wien waren. Sie fragen mich immer, wo St. Pölten liegt. Ich antworte Ihnen: es ist die letzte Station vor Wien. Und dann kommt von ihnen die Frage: Ist es dort wo es stinkt? Und das kann dem Image dieser Stadt nicht gut tun. Trotzdem glaube ich, dass St. Pölten eine sehr angenehme und lebenswerte Stadt mit einer wunderschönen Natur rundherum und vielfältigem Kulturangebot ist. Und ich werde nicht müde, meine Freunde, egal von wo, hierher einzuladen.