Der Wettbewerb

LitArena X im Herbst 2021 siehe EINREICHUNG und IX 2019 - Wettbewerbsbericht

LitArena- der alle zwei Jahre stattfindende deutschsprachige Jugend- Literaturwettbewerb der LitGes. St.Pölten. Initiatorin des Wettbewerbes war Doris Kloimstein, seit 2003 Eva Riebler. Cornelia Stahl ist 2019 zum dritten Mal als Schriftführerin der LitGes St.Pölten die Jurorin und Redakteurin der LitArena, dem Wettbewerb für Jung-Autoren/Autorinnen unter 27 Jahren. Alle Einsendungen erfolgten anonym.

Auseinandergesetzt mit den Prosatexten haben sich in diesem Jahr die niederösterreichische Autorin Daniela Meisel sowie die Autorin und zugleich Vorsitzende des Berufsverbandes Österreichischer Schreibpädagogen (BÖS) Barbara Rieger. Allen Texten gemeinsam ist eine  differenzierte Betrachtungsweise der Welt, mal als Beobachter/in von Raum und Zeit, mal im Dialog mit einem Gegenüber. In den Lyrik- und Prosatexten spiegeln sich Beziehungs- und Existenzfragen und überzeugen in mehrfacher Hinsicht,  künstlerisch wie literarisch.

1.Platz
In seiner Qualität konnte der Text „hör die dinge mit dir existieren// 1:9000“ von Hannah Bründl die Jury überzeugen. Ein lyrischer Text, der die Frage nach dem guten Leben stellt und die Frage nach einer lebenswerten Zukunft einschließt. Räume und Orte werden vermessen, werden abgetastet auf ihre Gültigkeit und Bedeutung, die sie in Zukunft spielen könnten. Fragile Körper, die sich der Brüchigkeit des Raumes widersetzen. Der Raum als  Schutzraum, als Rückzugsort, der geeignet erscheint, um Kräfte zu mobilisieren gegen innere und äußere Seinszustände, gegen Zweifel, Angst und Kälte. Die Sehnsucht nach Halt, nach einem Festhalten von Dingen oder auch von Beziehungen, die nicht nur vergehen, sondern Bestand haben, spricht aus dem Text zu uns und richtet sich am Ende an ein konkretes Gegenüber: „Willkommen in der Welt“.

Auf Platz 2 offenbart uns Viktor Schlothauer in seinem Text „Dänemark“ eine Beziehungsgeschichte. Genauer gesagt geht es um ein Duell. Wir gehen zurück in eine Zeit, in der Gaslaternen Straßen beleuchteten und das Bewahren der eigene Ehre mit Gewalt besiegelt wurde. Doch auch von Freundschaft, von beiderseitigen Erwartungen und Enttäuschungen ist hier zu lesen, Themen, die bis heute Gültigkeit besitzen. Schlothauer ist mutig, wagt sich in unbekannte Gewässer, bedient sich einer Sprache, die gegenwärtig altbacken erscheint. Der Autor setzt sich dem Spiel, dem Duell, dem Sprachspiel aus, und überzeugt mit seinem Text bis zum Schluss.

Der 3.Platz geht an Oliver Loderer. Sein Text „Ein Einsamer. verlassen“ erinnert zunächst an einen Überwachungsraum, der in allen Ecken mit Bewegungskameras ausgestattet ist. Dieser Einstieg macht neugierig: Handelt es sich wirklich um eine Beobachtungs- und Überwachungssituation. Oder sind es imaginierte Bilder von Blicken und Gedanken, die den Protagonisten heimsuchen? Der Leser wird sofort in den Text hineingezogen, will wissen, welches Phänomen hier im Fokus steht. Der Autor ermöglicht eine Identifikation mit dem Protagonisten. Unweigerlich erinnert man sich an eigene Visionen, Träume, innere Bilder. Am Ende folgt ein Resümé: „Es sind die Bilder hinter den Bildern. Das Unsichtbar-Offensichtliche“. Die Skizze am Schluss des Textes verweist auf den dynamischen Wechsel zwischen Auseinanderdriften und Zusammenschmelzen von Personen und Zeiten.

 

Cornelia Stahl 

Cornelia Stahl ist seit 2015 Redakteurin von „etcetera” und der Sendung „Literaturfenster Österreich“ bei Radio Orange, sie schreibt für Medien wie Die Alternative, Augustin, etcetera, fembooks und ist Regionalleiterin für Bibliotheken in Niederösterreich. 2016 debütierte sie mit dem Lyrikband „Anfangen. Jetzt. Mittendrin“. sowie „Neue Perspektiven zoomen“.  2017 erschienen ihre Texte in der Anthologie Freudenalphabet (Hg.: Marion Steinfellner/Herbert J.Wimmer- Edition Art Science).  www.literaturfenster.at

LitArena 2023 Einreichung bis 15.3.23 4 Seiten unveröffentllichtes: Prosa oder Lyrik

Litarena  2021

Ein Einsamer. verlassen

Sie überwachen dich. Überwachen dein Zimmer. Begutachten jede noch so winzige Bewegung. Sie blicken in alle Ecken und sehen all deine Kanten; deine Fehler; deine Geheimnisse; hängen an allen möglichen Stellen, in unterschiedlichen Größen und Formaten, doch du nimmst sie mittlerweile gar nicht mehr wahr. Sie rühren sich nicht und du sie nicht an. Ihr vermeidet es euch gegenseitig zu betrachten. Du dachtest sie würden dein Innerstes erblicken, weil du sie auch in dir trägst, doch irgendwann erkanntest du, dass sie nur in die Leere starren, ihren Blick von dir abgewandt. Sie halten ihre Augen verschlossen, insofern ihre kleinen Köpfe nicht abgeschnitten sind, oder sie zu jenen gehören die scheinbar erblindeten. Du kannst vor ihnen fliehen, kannst sie zurücklassen, aber sie können ihren Unort nicht wechseln. Können an ihrem nicht-da-Sein nichts ändern. Sie sind die Illusion einer vergangenen Utopie. Die Sehnsucht nach Erlösung. Dein Ideal.

In der hellen Kammer, welche du bewohnst, Abbilder von ihr an allen vier Wänden. Sogar in deinem Kasten versteckt, deinen Lebensraum belagernd, wie unaufhaltsame Parasiten. Doch du hast dich schon längst daran gewöhnt. Ja, du hast sie sogar hereingebeten; hast sie willkommen geheißen.

Alles was ihr Blick streift, ist das Nichts. Es sind Punkte, die nirgendwo hinführen, aber nicht die Unendlichkeit. Beschämt blicken sie weg. Weg von dir, aber auch weg von ihren Gegenübern auf der anderen Seite des Raumes. Unangenehm berührt, von dem Wissen über das Leid und den Schmerz, welchen sie dir angetan haben und über die Gewalt, die jeder einzelne Anblick, in jedem Augenblick aufs Neue auslösen würde. Verstört sehen sie zur Seite. Starren schweren Blickes – bedruckt von einer unerträglichen Last – Löcher in den Boden oder in die Leere weißer Wände. Dort, wo sie bereits wie Verurteilte hängen und doch –Geistern gleich – nicht sterben können, eingefroren in einem zweidimensionalen Zeitrechteck. Die verzerrten Spiegelbilder sind nur Variationen ihrer Gestalt. Wesenlose Reproduktionen. Gefangen in der Zeit, gefesselt an die Vergangenheit wollen sie nur ihre  Gedanken vergessen. Vergessen wer sie sind und vergessen was sie getan haben. Aber da bist du und dort sind die Reflektionen ihres Selbst, die ihnen nur ihre vergangenen Handlungen vor Augen führen würden. Zwischen euch: eine gigantische Lücke. Du füllst sie mit Trauer – sie mit Vergessen.

Es sind kunstvolle Portraits. Akteure des Todes. Fragmente ihres Körpers. Ihre Beine, gehüllt in schwarze, halbdurchsichtige Strumpfhosen und ohne. Es ist die reinste Folter. Überall im Raum verteilt hängen ihre Glieder. Vorwiegend die schlanken, wohlgeformten Beine. Und so erscheint sie dir tatsächlich – auch in der realen Wirklichkeit – wie ein Spiegel, in unzählige Teile zersplittert. Grauenhaft, dies anzusehen. Plattgedruckt und weggesperrt in einen Rahmen. Zu jeder Handlung, jedem Versuch der Flucht – Kopf und Arme abgetrennt – unfähig. Manchmal, kaum merklich, zucken die bleichen, nackten Beinchen und hinterlassen Verwischungen und Unschärfen. Doch ohnehin, macht alles keinen Sinn. Aus dieser Welt gibt es keinen freiwilligen Ausweg.

 

Du wolltest ihr Spiegel sein

– „Ich liebe dich.“ –––––––––––––––––––––––– „Ich liebte dich auch.“

– aber bist nur ein Mensch.

Kopien von Kopien blicken in alle Richtungen, nur nicht nach vorne. In ihnen verbirgt sich ihre Unfähigkeit, der Zukunft entgegenzutreten. Eine Fülle voll Nichts. Einzig und allein die Information, was einst war und nicht mehr ist. Dokumentation der Bewegung von Zeit. Durch das Wandeln im Raum.

Doch in keinem dieser Bilder siehst du sie. Kannst sie wiedererkennen. Ihr Wesen ist verschwunden. Es sind nur noch stille Körper, leere Hüllen. Sie sind nur Bilder und sind es nicht. Nicht sie. Sie scheint nur da zu sein und auch wenn sie noch immer ist, so ist sie schon lange fort, ist nicht mehr da, ist nur noch dort, an einem anderen Ort. Und doch: Sie wohnt bei dir, wohnt in deinen Gedanken und deine Gedanken sind bei ihr. Es ist keine Einbildung. Sie ist bei dir. Am Tage ist sie ein Schatten ihrer selbst und in der Nacht die Reaktion auf einer lichtempfindlichen Schicht. Sie lebt bei dir und lebt doch nicht. Es ist ein andauerndes sterben und nicht sterben können.

Für dich ein Leben und Nicht-Leben-Wollen. Sie ist die Welt, auf der Flucht vor sich selbst. Deine Kassandra. Sie prophezeit dir den Tod, hält dir die Vergänglichkeit vor Augen, das Ende der Zukunft. Deiner Liebe verweigert sie sich, doch wehr- und wortlos, kann sie nicht verhindern von dir weggesperrt zu werden, in einen Rahmen, hinter Glas.

Du allein hast die Macht über ihr unentwegtes Fortsterben. Du kannst sie erlösen, doch du hebst sie, ihr Leben, eure Liebe, auf. Nicht als Erinnerung – sondern als kläglichen Versuch der Rückkehr. Es ist der Versuch, den Bruch einer Welle unter einer Glasglocke zu konservieren. Hinter einer erweiterten Ebene, wo sie für jeden Besucher augenscheinlich und in direktem Blickfeld verborgen liegen, hältst du sie nun, innerhalb desselben Rahmens, wie von Anfang an, versteckt. Es sind die Bilder hinter den Bildern. Das Unsichtbar-Offensichtliche.

 

––––– o –––––

 

– Und trotz alledem seid ihr mir Augen und Lichter zugleich, in der Dunkelheit einer hellen Kammer. Damit ich mich nicht fürchten muss und zuversichtlich – Rücken an Rücken zu euch – einen Weg erblicke, der sich eurer Zugänglichkeit auf ewig verweigert.


"Nun schaut nicht so. Ihr habt mich doch verlassen."

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"Man photographiert Dinge, um sie aus dem Sinn zu verscheuchen.
Meine Geschichten sind eine Art von Augenschließen."
– Franz Kafka

 

 

Oliver Loderer

Geb. 1992 in Graz,  2003-2007 Musikgynasium Dreihackengasse, 2007-2012 HTBLuVA Ortweinschule: Audiovisuelles Mediendesign-Film&Photographie, 2013 Zivildienst in Graz, 2013-2017 Studium Vergleichende Literaturwissenschaften Uni Wien, seit 2017 geringfügig beschäftigt in einer Tabaktrafik. Seit 2018 Studium MA Philisophie Universität Wien.

LitArena Siegertext 2. Platz - Viktor Schlothauer

Dänemark

die Halme sind Querflöten, kalt,
da wir in die Felder entfliehn.
wer hätte geglaubt,
dass wir kamen, einander zu schießen?
wer hätte geglaubt,
dass wo Raufrost die Glieder uns bläut’
einer hätte zu sterben; einen zöge es fort,
und was bliebe
im strauchelnden Morgen
sei Stein, keine Welt?

Er hätte den Freund gern an einem anderen Ort ermordet als Dänemark.
Die keimfreie Stadt, in der es passiert ist, würde er eintauschen gegen eine schönere, den Mord vergessen, die Waffe in einen der Flüsse werfen, selbst Opfer werden, gleichviel, er wünscht sich den Freund zurück, hält ihn am Leben, indem er ihn stündlich heraufbeschwört, kaum etwas hält ihn, überall fallen die Worte aus ihm heraus und er leistet sie sich, wechselt die Maske oft genug, nicht zu fürchten, sich zu enttarnen. Wen enttarnte er schon?
Jemand zieht ihm die Mütze vom Kopf und darunter – findet sich nichts.

So verstehst du, sagt er hastig, indem er Wein trinkt aus dem Glas, das S. ihm reicht, und es zurückgibt, die Natur des Duells?

Ein Redebruchstück, eine Sprachszene, eine Figur. Ein Zeichen, und doch, der Freund ist tot, nicht totgesagt, ermordet, und es überrascht nicht, wenn man bedenkt, aus welchem Zeitalter er stammt, sie beide stammten; aus dem der Stille, der Unbeholfenheit, des Etwas-sagen-Wollens, in dem man sterben muss und einen das Dunkel verschluckt, sobald man gesprochen hat.

Es wird ihm jedes Mal ein Anliegen, nachzufragen, wenn er getrunken hat. Begreifst du, verstehst du, siehst du das Ausmaß der Sache, kann ich mit Worten dir begreiflich machen, was ich sagen will, da sie trügerisch sind und immer unzureichend; er liest vor und zitiert und unterbricht, sich zu versichern, dass man ihm zu folgen gewillt ist. Man duldet’s, ist belustigt, traut ihm die Tat ohnehin nicht zu. Worte kennt S. so gut wie er; besser das Blutvergießen.

Es stehen zwei sich gegenüber zum Duell, und es ist Stille. Und einer schießt, weil sonst die Welt nicht weitergehen würde, weil ihm sonst drohte, von aller Welt verlassen zu sein. Und wenn er schießt und der andre ist tot, wie will er dann wissen, ob jemals der andre geschossen hätte; ob nicht er der einzige ist, der bereit war, den Freund zu ermorden?

Die Brandstifterseele kennt die Frage danach, wer bereit sei, nicht mehr.

S. hält ein Glas Weißwein ins Gaslicht und hängt’s in den Himmel als zweiten Mond. Auf dem bauchigen Glas bilden Fingerabdrücke die Krater.
Es ist voll mit den Abdrücken, über und über.

Wie will er wissen, ob die Waffe des andern geladen war?
Sicher, er könnte nachsehn, aber will er es wissen? Was, wenn, im Glauben, sie sprächen beide dieselbe Sprache, der andere unbewaffnet erschienen wär und erwartet hätte, so hielte es sein Gegenüber?

Was, wenn er nachsähe, und die Waffe des Toten geladen fänd, so, als fehlte die Liebesbotschaft, die er sich nun, als Mörder, erbetet?
Ist es schlimmer, ein Lamm getötet zu haben, oder im Freund einen Menschen zu finden, der genauso verdorben ist, wie man selbst?

Er fährt sich mit der Hand übern Mund und ist unsicher, ob S. zuhört.
Ob er S. abstößt, ob des Verrats, oder wegen der Reue?

Weil ihn der Freund liebte und er ihn, jetzt, im falschen Moment?


Das Problem mag sein, dass nie zwei dieselbe Sprache verstehn. Und es gibt keinen Ausweg, wenn man waffentragend sich gegenübersteht, denn fordert man nicht zum Duell, so mordet man hinterrücks – oder wird gar ermordet.
Was er sagt, und was nicht, weiß er nicht mehr.

Längst bekommt er nur Wassergläser gereicht.

Er möchte glauben, es sei ein Duell, gar ein Sprachspiel gewesen, ein Motiv, an dem er hängen geblieben ist, das er wieder und wieder umkreist; S. nicht die Wirklichkeit ahnen lassen, nichts von der Feigheit, höchstens weit genug, um als Dichter und Mörder erkennbar und nicht mehr allein zu sein.

Natürlich geht es nicht um ein Duell, er spricht von Literatur, und geht es um Mord – und es geht um Mord –, spricht er dennoch von Literatur, und hat er hinterrücks seinen Freund ermordet, wie es der Fall war, in Dänemark, so spricht er von Tschaikowski, und trinkt, und hat Angst, wenn er seinen Namen, den eigenen, hört, denn den trägt er nicht mehr; es kennt ihn keiner und er kann nie mehr gefunden werden.



Victor Schlothauer

Geb. 1999 in Frankfurt am Main, wärend der Schulzeit Gasthörer Kunstgeschichte & Philodophie,Teilnahme an Schreibwerkstättendes Literaturhauses Frankfurt, Komparse in der freien Theaterszene, Studium Komparatistik und Theater-, Film- und Mediumwissenschaft Wien.2019 Stipendiat der Stiftung Niedersachsen und Teilnehmer am Literatur Labor Wolfenbüttel.