LitArena Siegertext 2. Platz - Viktor Schlothauer

Dänemark

die Halme sind Querflöten, kalt,
da wir in die Felder entfliehn.
wer hätte geglaubt,
dass wir kamen, einander zu schießen?
wer hätte geglaubt,
dass wo Raufrost die Glieder uns bläut’
einer hätte zu sterben; einen zöge es fort,
und was bliebe
im strauchelnden Morgen
sei Stein, keine Welt?

Er hätte den Freund gern an einem anderen Ort ermordet als Dänemark.
Die keimfreie Stadt, in der es passiert ist, würde er eintauschen gegen eine schönere, den Mord vergessen, die Waffe in einen der Flüsse werfen, selbst Opfer werden, gleichviel, er wünscht sich den Freund zurück, hält ihn am Leben, indem er ihn stündlich heraufbeschwört, kaum etwas hält ihn, überall fallen die Worte aus ihm heraus und er leistet sie sich, wechselt die Maske oft genug, nicht zu fürchten, sich zu enttarnen. Wen enttarnte er schon?
Jemand zieht ihm die Mütze vom Kopf und darunter – findet sich nichts.

So verstehst du, sagt er hastig, indem er Wein trinkt aus dem Glas, das S. ihm reicht, und es zurückgibt, die Natur des Duells?

Ein Redebruchstück, eine Sprachszene, eine Figur. Ein Zeichen, und doch, der Freund ist tot, nicht totgesagt, ermordet, und es überrascht nicht, wenn man bedenkt, aus welchem Zeitalter er stammt, sie beide stammten; aus dem der Stille, der Unbeholfenheit, des Etwas-sagen-Wollens, in dem man sterben muss und einen das Dunkel verschluckt, sobald man gesprochen hat.

Es wird ihm jedes Mal ein Anliegen, nachzufragen, wenn er getrunken hat. Begreifst du, verstehst du, siehst du das Ausmaß der Sache, kann ich mit Worten dir begreiflich machen, was ich sagen will, da sie trügerisch sind und immer unzureichend; er liest vor und zitiert und unterbricht, sich zu versichern, dass man ihm zu folgen gewillt ist. Man duldet’s, ist belustigt, traut ihm die Tat ohnehin nicht zu. Worte kennt S. so gut wie er; besser das Blutvergießen.

Es stehen zwei sich gegenüber zum Duell, und es ist Stille. Und einer schießt, weil sonst die Welt nicht weitergehen würde, weil ihm sonst drohte, von aller Welt verlassen zu sein. Und wenn er schießt und der andre ist tot, wie will er dann wissen, ob jemals der andre geschossen hätte; ob nicht er der einzige ist, der bereit war, den Freund zu ermorden?

Die Brandstifterseele kennt die Frage danach, wer bereit sei, nicht mehr.

S. hält ein Glas Weißwein ins Gaslicht und hängt’s in den Himmel als zweiten Mond. Auf dem bauchigen Glas bilden Fingerabdrücke die Krater.
Es ist voll mit den Abdrücken, über und über.

Wie will er wissen, ob die Waffe des andern geladen war?
Sicher, er könnte nachsehn, aber will er es wissen? Was, wenn, im Glauben, sie sprächen beide dieselbe Sprache, der andere unbewaffnet erschienen wär und erwartet hätte, so hielte es sein Gegenüber?

Was, wenn er nachsähe, und die Waffe des Toten geladen fänd, so, als fehlte die Liebesbotschaft, die er sich nun, als Mörder, erbetet?
Ist es schlimmer, ein Lamm getötet zu haben, oder im Freund einen Menschen zu finden, der genauso verdorben ist, wie man selbst?

Er fährt sich mit der Hand übern Mund und ist unsicher, ob S. zuhört.
Ob er S. abstößt, ob des Verrats, oder wegen der Reue?

Weil ihn der Freund liebte und er ihn, jetzt, im falschen Moment?


Das Problem mag sein, dass nie zwei dieselbe Sprache verstehn. Und es gibt keinen Ausweg, wenn man waffentragend sich gegenübersteht, denn fordert man nicht zum Duell, so mordet man hinterrücks – oder wird gar ermordet.
Was er sagt, und was nicht, weiß er nicht mehr.

Längst bekommt er nur Wassergläser gereicht.

Er möchte glauben, es sei ein Duell, gar ein Sprachspiel gewesen, ein Motiv, an dem er hängen geblieben ist, das er wieder und wieder umkreist; S. nicht die Wirklichkeit ahnen lassen, nichts von der Feigheit, höchstens weit genug, um als Dichter und Mörder erkennbar und nicht mehr allein zu sein.

Natürlich geht es nicht um ein Duell, er spricht von Literatur, und geht es um Mord – und es geht um Mord –, spricht er dennoch von Literatur, und hat er hinterrücks seinen Freund ermordet, wie es der Fall war, in Dänemark, so spricht er von Tschaikowski, und trinkt, und hat Angst, wenn er seinen Namen, den eigenen, hört, denn den trägt er nicht mehr; es kennt ihn keiner und er kann nie mehr gefunden werden.



Victor Schlothauer

Geb. 1999 in Frankfurt am Main, wärend der Schulzeit Gasthörer Kunstgeschichte & Philodophie,Teilnahme an Schreibwerkstättendes Literaturhauses Frankfurt, Komparse in der freien Theaterszene, Studium Komparatistik und Theater-, Film- und Mediumwissenschaft Wien.2019 Stipendiat der Stiftung Niedersachsen und Teilnehmer am Literatur Labor Wolfenbüttel.