Der Wettbewerb

Wirklich/Unwirklich / Etcetera 93 / LitArena / Präsentation LitArena XI

Ende Mai wurden die fünf Preisträgerin des 11. Jugend- Schreibbewerbes der LitGes St. Pölten prämiert. Mag. Julia Stattin, Leiterin der Kulturabt. des Landes NÖ, übergab in der Landesbibliothek die Dokumente. Die Juroren Sophie Reyer und Hermann Niklas sendeten per Videowall ihre Botschaften und Eva Riebler moderierte die Auswahlkritierien, stellte die jugendlichen Autorinnen vor und interviewte die russische Video- und Glitsch-Künstlerin Elena Romenkowa.
Ihr Gatte Christian Munk aus NÖ präsentierte die digitalen Bilder mit aufregendem elektronischem Sound.

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STR Ingrid Heihs, 2.Platz Sascha Bruch, 1.Platz Lea Menges, Christian Munk (elektronischer Sound), HG Eva Riebler, Heftkünstl. Elena Romenkova, 5. PLatz Valentina Pirklbauer, 2. Platz Leoni Groihofer und Julia Stattin Literaturabteilung NÖ
STR Ingrid Heihs, 2.Platz Sascha Bruch, 1.Platz Lea Menges, Christian Munk (elektronischer Sound), HG Eva Riebler, Heftkünstl. Elena Romenkova, 5. PLatz Valentina Pirklbauer, 2. Platz Leoni Groihofer und Julia Stattin Literaturabteilung NÖ

92/LitArena XI/Wettbewerbsbericht

Zu LITARENA XI, dem seit 2003 alle zwei Jahre stattfindenden deutschsprachigen Literaturwettbewerb der LitGes für AutorInnen unter 27 Jahren. Von Eva Riebler

Zuletzt war ich 2003 beim ersten Litarena-Bewerb zusammen mit Prof. Wolfgang Greisenegger (Univ. Prof. für Theaterwissenschaft, ehem. Rektor der Uni Wien und Dekan der Fakultät Human u. Sozialwissenschaften, sowie ehem. Präsident des PEN-Clubs Österreich) und Doris Kloimstein (Obfrau der Litges 1998 - 2003 sowie Gründerin der Zeitschrift „@cetera“ und des deutschsprachigen Wettbewerbes LitArena), Jurorin und widmete mich heuer gemeinsam mit der Autorin Sophie Reyer und dem Sprachkünstler Hermann Niklas wiederum der ehrenvollen
Aufgabe, die Einsendungen zu sichten und zu gewichten bzw. zu reihen.

Sophie Reyer stammt aus Wien und lebt in Wien, publiziert vor allem Gedichte seit 2005 und ist Master of Art in Komposition/Musiktheater und machte ebenfalls 2010 das Diplom „Szenisch Schreiben“, ist Doktor der Philosophie für Sprachkunst. Sie bekam den Literaturförderpreis der Stadt Graz und den Manuskripte-Förderungspreis.
Seit 2010 schreibt sie Theatertexte und studierte „Drehbuch und Filmregie“ an der Kunsthochschule für Medien in Köln. 2019 war sie auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis. Zuletzt erschien “Clara und ihre Morde“, Emons Verlag. Sie ist Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich.

Hermann Niklas wurde in Marbach an der kleinen Erlauf/NÖ geboren und lebt als freier Schriftsteller und Politischer Bildner mit seiner Familie in Wien. Er entwickelt Lesungskonzepte zwischen Vortrag, Performance und Theater. Er ist Sprecher von live poetry, Stummfilmüberschreibungen und literarischen Improvisationskonzerten.
Seit 2021 ist der Mitglied beim Berufsverband österr. SchreibpädagogInnen und leitet seit 2013 DICHTER RAN! (Sapere Aude – Verein für Politische Bildung). 2012-18 Mitglied und Leitung des Divine Musical Bureau. 2005 gründete er die WORTWERFT – Intermedialer Literaturverein, und 2004 die Plattform KUNSTWERFT – Verein zur Vernetzung von Künstlerinnen, gemeinsam mit Erwin Uhrmann und Moussa Kone. 2003 – 2008 war er Ensemblemitglied bei Schalldicht.

Eva Riebler stammt aus Steyr, maturierte in Linz und studierte Germanistik und Wirtschaftsgeografie in Salzburg. Unterrichtete von 1979 – 2013 an der HAK St. Pölten und ist seit 2003 Herausgeberin der Zeitschrift „etcetera“ und Obfrau der LitGes St.Pölten. Sie ist Bildende Künstlerin und stellte im In- und Ausland ihre Acrylarbeiten, Grafiken oder Skulpturen aus. 2022 kam ihr 3. Lyrikband mit Grafiken (Eisenradierungen) im Verlag Hernals heraus. Sie ist u. a. Mitglied des PEN International.

Über 140 Prosa- oder Lyriktexte aus der Ukraine, Schweiz, Österreich und vorrangig aus Deutschland waren zu sichten. Die Jüngste Literatin, Drewers Laura Anna ist noch keine 11 Jahre alt und schrieb im Märchenton über die Rettung unserer angeschlagenen Welt. Wenig überraschend, jedoch völlig neu seit es LitArena gibt, dass dieses Mal sich einige politisch engagierten, den Krieg in der Ukraine in all seiner Sinnlosigkeit und Zerstörungskraft thematisierten. Konträr dazu reflektierten viele Jüngere über gescheiterte Beziehungen, über Wärme und Geborgenheit.
Ich bevorzuge das Skizzenhafte und das Philosophische, sei es auch in den Alltag eingebunden sowie die Draufsicht auf die Dinge und Ereignisse – was ich dann im 2. platzierten Text von Sascha Bruch aus Wien fand. Ich liebe nicht nur das Skizzenhafte, sondern auch Lyrik. Auffallend war, dass Texte deutscher AutorInnen, jedoch niemals österreichischer, gekonnt in gereimter Lyrik entworfen wurden. Vielleicht ist dies auf andere Lehrpläne/ Vorgaben im Deutsch-Unterricht zurückzuführen.
So wie mit dem Tagebuchtag jegliche Kreativität zum Schreiben gefördert wird, so ist es mit diesem Jugendbewerb für Autoren und Autorinnen unter 27.
Das Schreiben ist stets ein Reflektieren, ein Abstand nehmen und mit neuem Anlauf Beginnen. Oft wird Larmoyantes beim dritten Anlauf mit einer großzügigen Prise Humor gewürzt – und schau: Schon ist der Text ohne Weinerlichkeit oder Bitterkeit akzeptabler geworden oder facettenreicher. Damit der Text in angenehmem Ton dahin brutzelt sind oft weniger Gefühl und weniger Adjektive notwendig.

Diese eingereichten Texte verlangen ja, anders als ein Tagebucheintrag, nach Öffentlichkeit.

Somit rauscht auch das politische Statement daher. Ja es soll rauschen und nicht eine versteckte Anklage sein! Somit gibt es auch sprachliche Qualitätskriterien und die Beachtung eines möglichen Interesses, das der Text beim Leser auslösen soll. Jedenfalls war es wirklich spannend und interessant in so zahlreichen guten Texten in die Innenschau zu gehen! Die Horizonterweiterung passierte bei mir als Jurorin und wird sicherlich auch bei Ihnen als Lesendem stattfinden!

92/LitArena XI/Siegertext 3. Platz: Leonie Groihofer: Zwischenstoff

Leonie Groihofer
Zwischenstoff

Fingerrücken an Baumwollstoff. Härchen an Härchen, Faser an Faser. Ich streiche behutsam über Faltenrundungen, schreite auf Mokassinfüßen durch Kleiderwälder. Halte probeweise meine Wange hin, warmes Rieseln bis in meinen Bauch hinunter. Ich kenne mich aus. Weiß, dass ich Vorsicht walten lassen muss. Wer zudrückt, den Stoff dingfest macht, zarte Falten verkleben lässt, der zerstört den Zauber, der gräbt mit dem Stock im Ameisenhaufen, der macht Wunder zunichte. Stickig ist es im Kleiderwald, überwarm in meinen Schneestiefeln. Mama schaut sich nach mir um, holt mich aus dem Wald heraus, sagt zur Verkäuferin, wir müssten gehen, ich hätte Hunger. Diskreter Abschied vom rotgescheckten Blumenkleid.
Schulter an Schulter, nur ein bisschen Luft dazwischen. Sie reicht aus, um das Kitzeln zu spüren, wenn mein Unterarmseinen berührt. Ganz kurz nur, sodass man gar nicht weiß, ob es wirklich passiert ist, ob es bloß ein blondes Härchen war, das ein anderes gestreift hat. Wir schauen beide auf den kleinen Bildschirm, den er in seinem Schoß hält, und nur er ist es, der spielt. Längst habe ich die bequeme Bescheidenheit der Zuschauerin angelegt, das Zappeln abgelegt, mit dem die Jüngere darauf wartet, zum Zug zu kommen. Wer nur zuschaut, bleibt unangreifbar. Bleibt schön. Bleibt auf verquere Weise überlegen, er meinem Blick ausgesetzt. Er scheut ihn nicht, muss ihn nicht scheuen, auch nicht bei seinen Niederlagen, warm bleibt die Luftschicht zwischen unseren Armen. Wir sitzen im sonnengetränkten Zimmer, es riecht nach Frühlingsabendluft. Schwarze Pixel zeichnen das Monster, das er bekämpfen muss. Ich hoffe, er möge noch nicht so bald gewinnen.
Meine Spaghettiträgerarme streifen wie zufällig, so zufällig, dass es auch für mich nur Zufall sein kann, an den weiten kurzen Buben-Ärmeln entlang, in den vertrubelten Gängen des Schulgebäudes, dunkelgefliest, abwaschbar. Ich lasse mich nicht erwischen. Ich kann es nicht lassen. Bin auf der Suche nach dem Ärmelgefühl, nach dem kleinen Glück, das mich durchströmt, wohliger noch als bei ergiebigem Nasenbohren oder beim ersten Schluck vom heißen Kakao, der den Mund mit Samt auskleidet. Bringe es nicht in Verbindung mit den plötzlich aufgetauchten Worten, die die Buben einander wie Trophäen reichen, die man verstehen muss, nicht erfragen darf. Die auch die anderen Mädchen zu verstehen scheinen, zu durchschauen vermögen, und sogar ich sehe die Grenze, die gezogen wird, den Spalt, der sich auftut.
Einstweilen lasse ich meine Handfläche noch sanft, so sanft über den weichen Stoff meines Rocks gleiten, meines weiten, zu weiten, bald wird er kürzer, bald wird er enger werden. Bald werden Ärmel an meiner Nasenspitze, auf meiner Augenhöhe sein. Bald werde ich die Luft dazwischen nicht mehr achten, werde sie einatmen, wegatmen, beiseite schieben. Werde unter Ärmeln Schultern finden, Höhlen suchen. An leeren langen Sonntagen werden sich meine Wangen in meinen Kopfpolster wühlen, werden kalten Rauch und geröstete Zwiebel in den Poren spüren. Werden hoffen, dass der ungebügelte, weich gelegene Stoff sie umschließt, umhüllt, umarmt. Ärmelgefühl simulieren.
Winterraue Hände streichen über Norwegerstrick. Zurückgelassener Wollpullover, an dem meine rissigen Handflächen hängen bleiben. Will wieder streifen, manches Mal, ein Test, ein schwester-, ein geschwisterlicher, ob da etwas dazwischen ist, zwischen uns, eine Wärme für den anderen, für seine Art zu sprechen, für jeden Moment, in dem er etwas preisgibt, mich etwas von ihm sehen lässt, mich einlädt, es ihm gleichzutun, für seinen ganzen Körper auch, der mich nichts angeht, den ich nicht verkläre, nicht aufessen will, an dem mir trotzdem etwas liegt, dem ich Essen Wärme schulterdrückende Hände geben will, um den ich mich kümmern will, dem es gut gehen soll, bei mir, mit mir.

Leonie Groihofer
Geb. 1996, aufgewachsen in Kleinzell, Niederösterreich, lebt in Graz. Ist bewegt von Klimagerechtigkeit und Literatur. 2022 auf der Longlist des FM4-Wortlaut-Schreibwettbewerbs, aktuell Teilnehmerin des Lehrgangs Schreibpädagogik des BÖS.
l.groilhofer@gmx.at

3. Platz: LEONIE GROIHOFER
Zwischenstoff

Ein Stoff aus Geheimnissen. Das Sehnen nach dem Knistern zarter Berührungen, ob Haut, Härchen, Kleidungsstücke, Bubenarme oder das Berühren der Ahnung, wie es sein mag, in eine andere Zeit überzutreten, zwar etwas zu verlassen, im Wissen aber stattdessen viel mehr zu bekommen, an Welt und natürlich an Berührungen verschiedenster Art.
Der Text ist ein Ort der Geborgenheit, obwohl sehr kurz oder gerade weil er so kurz ist, wünsche ich mir mehr davon. Leonie Groihofer hat Vertrauen zu ihren Worten, sie hetzen nicht, nehme sich die Zeit, die sie benötigen, aber sind dennoch im Fluss. In wenigen Absätzen durchschreitet Groihofer Kindheit, Beziehung, Annäherungen, Alleinsein bis zum Alter, ein ganzes Leben anhand von Stoffen und Berührungen.
Zum Beispiel: „Schulter an Schulter, nur ein bisschen Luft dazwischen. Sie reicht aus, um das Kitzeln zu spüren, wenn mein Unterarm seinen berührt. Ganz kurz nur, sodass man gar nicht weiß, ob es wirklich passiert ist …“
Der Text handelt von dem Zauber aus der Kindheit zu treten, einer Welt aus Kleidern, alten wie neuen, gewohnten wie vielversprechenden, und vorsichtig und verwegen in eine Welt zu treten, die sich einer Person öffnet, bis ihre „… rissigen Handflächen an zurückgelassenen Wollpullovern hängen bleiben …”
Der Zauber macht hier aber auch den genauen Blick aus und ein Beschreiben, das weit über den Stoff hinausgeht: „Wer zudrückt, den Stoff dingfest macht, zarte Falten verkleben lässt, der zerstört den Zauber“.
Literatur als eine zärtliche Bestandsaufnahme und als ein Suchen und Nachspüren nach dem, was die Welt für einen oder einer darstellt und bereithält: „Bin auf der Suche nach dem Ärmelgefühl, nach dem kleinen Glück, das mich durchströmt …“
Und vielleicht ist es ja der Text, der hier Subjekt sein will: „… dem ich Essen Wärme schulterdrückende Hände geben will, um den ich mich kümmern will, dem es gut gehen soll, bei mir, mit mir.“
In der Hoffnung auf viel mehr solcher Texte, herzliche Gratulation!
Hermann Niklas