82 / Zwischenzeit / Lyrik / Johannes Schmid: Susanne oder die Zeit dazwischen / Nena oder die Brücke der Zeit

Susanne oder die Zeit dazwischen
Du sprichst zu mir aus dunklen Fernen
mit deiner mädchenhaften, weichen Stimme,
die Trug und Eitelkeit nicht kennt.
Nie werde ich die schöne Zeit vergessen,
als wir, gebannt von stummer Angst,
den Hauch geahnten Wollens verspürten.
Du sitzt im Vorstand eines Großkonzerns,
ich lehre Kinder auf dem Lande.
Uns trennt die Kluft voll ungelebter Träume,
als hätten wir einander nie gekannt.

Aus dunklen Fernen hör` ich deine Stimme.

 

Nena oder Brücke der Zeit
Die Haft war streng und lückenlos.
Am Tor aus Stahl und Eichenbohlen
schlug ich die zarte Hand mir blutig,
mit einem Blick, voll Grausamkeit und Hass,
erzwang das ewig wache Auge feige Flucht;
da hörte ich zum ersten Male deine Lieder,
in denen du in Träume dich verlorst
von Freiheit, Liebe und Gemeinschaft aller Menschen;
sah dich im Flimmern eines kleinen Bildschirms
und fühlte jäh d en Wunsch erwachen,
emporzutauchen aus dem Schatten meiner Ängste.
Oft schwebten mir auch tags vor Augen
die Reize deines schönen Körpers,
ich summte allenthalben deine Melodien
und glaubte deine Stimme zu vernehmen,
so weich und sinnlich, als Ermahnung
zu einem neuen, selbstbestimmten Leben.

 

Johannes Schmid
Geb. 1966, lebt in St. Pölten, schreibt Lyrik und Prosa. Altphilologe, unterrichtet in Melk. Vorstandsmitglied der LitGes St. Pölten.