93 / Wirklich/Unwirklich / Lyrik / Jutta Treiber: Einsatzgeschichten

Amtsschimmel
Als ich neulich dem Stadtamt einen Besuch abstattete, kam mir auf dem Gang der alte Amtsschimmel entgegen, ich gab ihm einen Apfel und eine Karotte und dann trabten wir beide davon, jeder in eine andere Richtung.

Papierkorbtage
Die Tage, die vorher Tag für Tag in den Papierkorb gewandert waren, unwiederbringlich verloren im Müllhaufen der Zeit, sprangen eines Tages wieder heraus, reihten sich vor mir auf, und da wusste ich nicht, was ich mit ihnen anfangen sollte.

Den Kopf freikriegen
Wenn meine Ururgroßmutter den Kopf freikriegen wollte, weißelte sie die Hausfassade, meine Urgroßmutter putzte zu diesem Behufe die Wohnung, wenn meine Großmutter den Kopf freikriegen wollte, ging sie ins Kaffeehaus Kartenspielen, meine Mutter hingegen zog ihre Laufschuhe an und trabte durch die Weingärten, wenn ich den Kopf freikriegen will, lade ich mein Gehirn auf eine externe Festplatte – ich muss nur aufpassen, dass ich nicht die Systemsteuerung erwische …

Im Bett
Als der Krieg zu Ende war, schaute ich mich um und sah, dass auch der große See zu Ende war und zehntausend Menschen sich zum Schlafen in seinen Schlamm gebettet hatten.

Ehrengrab
Vor Freude über die unverhoffte Ehre, die ihr zuteil geworden war, machte sie einen Kopfsprung ins Ehrengrab.

Handy
Als sie dachte: Mich rufen so wenige Menschen an, dass ich schon den Klingelton meines Handys vergessen habe, da klingelte ihr Handy aus Mitleid von selbst.

AIKI
Achtung, Achtung, AIKI, AIKI, alle diese seltsamen Sätze wurden von einer sehr sensiblen künstlichen Intelligenz geschrieben, HIHI, FAKE, sehr schade!

 

Jutta Treiber
Lebt in Oberpullendorf und in Wien, bis 1988 Lehrerin am Gymnasium, seit 1976 Mitarbeit im familieneigenen Kino, seit 1988 freiberufliche Schriftstellerin, schreibt Romane, Kurztexte und Kinderbücher, einige Literaturpreise (u.a. Österreichischer Kunstpreis), Übersetzungen in viele Sprachen. www.juttatreiber.com