Jan-Eike Hornauer: Der Schreibtischtäter, Zu einem ganz besonderen Möbelstück, Weißt du noch?

Jan-Eike Hornauer
Der Schreibtischtäter


Sein Federstrich sortiert in Tod und Leben.
›Wie grausam‹, denkt er manchmal still bei sich.
Und: ›Eine solche Macht dürft’s sicherlich
im Grunde nie, für keinen Menschen geben.‹

Dann seufzt er auf, bedrückt von schweren Tagen,
bedauernd sich für’s harte Schicksalslos.
Doch: Manchmal sind die Zeiten eben groß!
Da braucht es Leute, die selbst Schwerstes tragen.

Wer gerade hier sich hält, zeigt wahre Größe.
– Er richtet sich am Schreibtisch sitzend auf,
tut einen Strich mit tönendstem Geschnauf,
denkt: ›Wer, wie ich, nicht wankt, ist ohne Blöße.‹

Es zittert seine Hand. Er tut sich leid,
trinkt ein, zwei Schnaps – auf sich in großer Zeit.

 

Zu einem ganz besondren
Möbelstück


Der Schreibtisch
an sich
ist völlig überbewertet.

Man braucht ihn,
zeigt meine Erfahrung,
höchstens als Ablagefläche.

Geschrieben
und auch sonstig gearbeitet
wird woanders.

Das war bei mir
schon zur Schulzeit so,
bis heute ist’s so geblieben.

Und selbst wenn ich wollte,
ich könnte hier
nicht ausbrechen:

Früher war der Schreibtisch
überfüllt, voller Stapel,
die auch noch einander zustrebten.

Heute
habe ich
gar keinen mehr.

Mein Schreibtisch,
das ist die Welt.
(Im Guten wie im Schlechten.)

Oder, weniger pathetisch:
der Sessel, der Couchtisch, das Bett,
die U-Bahn, der Park usw.

Man braucht
keinen Schreibtisch.
Man hat ihn nur

aus ästhetischen Gründen
oder schlichter Gewohnheit
(zumeist trifft Letzteres zu)

oder weil man,
ganz zeitgemäß,
wie dies Möbelstück,

pure Zweckhaftigkeit
vorspiegelt, um seinen
Unnutz zu verbergen.

 


Weißt Du noch?


Du standest am Schreibtisch, ich hab’ Dich genommen,
und beinahe wären wir beide gekommen.
Der Schreibtisch jedoch, nach außen stabil,
fiel in sich zusammen, und aus war das Spiel.

Ja, aus auch für uns, im Ganzen gesehen,
der Schreibtisch: ein Bild für unser Geschehen.
Wir wirkten ganz gut, so recht wie ein Paar;
doch einmal gerüttelt – und nichts war mehr da.

Der Tisch war ein Bausatz, zum Teil schon montiert,
und wie ein Paar sein muss von uns nur kopiert.
Das schien jeweils praktisch, man wähnte sich weit
mit wenig Bemühen. Doch hielt’s nicht gescheit.

Ich schreib’ Dir nun heute, nach all diesen Jahren.
Wie geht’s Dir? Ich will es ganz wirklich erfahren!
Denn wahr ist ja schließlich all das, was ich schrieb.
Doch stimmt auch: Ich habe Dich immer noch lieb.

 

Jan-Eike Hornauer
Geb. 1979 in Lübeck, Studium der Germanistik und Soziologie in Würzburg, lebt als leidenschaftlicher Textzüchter (freier Autor, Herausgeber, Lektor, Texter) in München. Zuletzt erschienen:
sein zweiter Solo-Lyrikband »Das Objekt ist beschädigt – zumeist komische Gedichte aus einer brüchigen Welt« und die von ihm herausgegebene Anthologie »Wenn Liebe schwant« (beide muc Verlag). www.textzuechterei.de