Turm / Etcetera 87 / Lyrik / Dana Schällert: Danae im Turm und Homo erectus

Danae im Turm
Danae im Turm, ehernes Gefängnis, der Welt enthoben.
In dieser Enge liegt sie, draußen tobt Sturm,
Schwer, zerrüttet hängt ihr Leib, erschüttert von schrecklichstem
Bittersten Weinen über einem kleinen Tisch, in seiner Mitte
Ein Krug, darin Wasser, vermischt mit ihren Tränen.
„Unfassbar das! Betrug um mein Leben, Zeus!“, klagt sie.
„Dies, der Kerker, meines Vaters Werk! Er fürchtet mich!”

Sie wagt zu schreien und springt auf, die Hände verzweifelt und
Fürchterlich ringend. „Er ängstigt sich, ich könnt ein Kind gebären! ”
Ein Kind, das ihm das Leben nähme! Abstrus! Pervers!
Nimmt er, verwehrt er, dafür dem eignen Kind das Leben! Wie schäme ich mich
Für seine krause Angst. Er - ein Herrscher! Ich - eingesperrt und
Opfer dieser grausamen Furcht!“ Sie wirft mit Kraft Steine gegen die Wand.
„Genug!” Mut und Stimme verlassen das wilde Mädchen. Sie sinkt voll Leid

Verzweifelt auf den Boden nieder. Dort liegt sie, das Gesicht nach oben,
Mit kraftlosen, schwachen Gliedern. Ein Tropfen klopft geräuschvoll
Im Krug. „Ach, Zeus ...…”, seufzt sie tief. „Könntest du nicht Gift
Statt Wasser durch die Löcher im Dach in die Kanne tropfen lassen … ...
Dann fände ich zumindest ein eigenes, ein selbstbestimmtes Ende … ...
Den sicheren und frei gewählten Tod.” Sie wimmert, droht erneut zu weinen,
Doch ein goldener Schein, der durch die kleinen Ritzen über ihr dringt, lässt sie

Erstarren. „Wie scheint die Sonne nun so hell? Ein Blitz?“
Sie verharrt wartend. Dann, schnell, tropft es stärker, heftig und voll Wucht,
In goldenen Schauern vom Dach hinab, es schwappt bald über, immer
Mehr Mengen hellklaren Wassers schluchten, drängen durch die Ritzen.
Sie schnappt nach Luft, doch schluckt betört, begierig glitzerndes Wasser.
„Gift, das du mir gibst? Oh Zeus! Du hörtest mich! Ich will es trinken,
Mich damit salben, es verreiben, die Sinne sollen mir schwinden

In dieser deiner tödlichen Gabe. Bald wirst du meinen falben, gelabsalten
Leib mit deiner Liebe füllen, Zeus, schenk mir das Elysium.” Sie wirft sich herum,
Von sich die nassen Kleider, legt sich wieder, dreht und wälzt sich, spürt den
Glänzenden, teuren Regen zum Höhepunkt des Schwalls tänzelnd und hart
Auf die Gänze ihres geöffneten Körpers niedergehen.
Fromm schreit sie schrill: „Lass es Säure sein, Zeus, ich komme, dann werd ich still,
Ich gehe ein in das ewige, versöhnliche Reich, du, mein Herrscher.”
Schwer stöhnend, geborgen schließt sie vorsorglich die verirrten Augen.

 

Homo erectus
Höhenmensch
Du er/fandst und nahmst
mit zwei Jahren kanntest du
schon das beste Material zum Sta
peln wuchsest schnell warst stolz darum
denn klein zu sein keine Wahl Hohn eine
Beleidigung Homo erectus testetest Steine
Holz Magneten Bierdeckel hoch bis zum Umfal
len am besten durch die Decke ohne Halt türmtest du
unaufhörlich keiner durfte je stören Freundschaften bra
chen gleich deinem lang und sorgsam konstruierten Bau wenn
er durch leicht ungeschickte Berührung allein schiefes Schau
en ins Wanken kam deinen fokussierten Blick lenkte sowas stets
ab denn es geht darum höher schneller weiter besser zu sein
alles andere Unvernunft und Dummheit du mochtest die Burgen
in den Bergen stiegst Leitern und Treppen dem hellen Himmel
der Zukunft entgegen entferntest dich von der platten Erde. Sieg
nicht sei werde standst auf dem Bergfried und sahst kurz be
friedigt hinab bevor dich das gefühlt erniedrigte halber Sturz fort
vom Licht Blick erneut nach oben gerichtet dein Leben türmtest
du auch /freudlos/ wolltest in die oberen Etagen Ausblick und
Kontrolle vorgebaut ein volles Leben /unbelebt/ genau auf
Kenntnissen Zahlen und Daten basierende berechnete Statik
/unbewegt/ und feste Streben solides Fundament damit das
schwindelerregende Modell standhält und von Dauer ist starke
Mauern nie lässt du dich erweichen erwägst es für keinen
Moment dein zementiertes Haar trägst du zu kurz für einen Zopf
dein Kopf ist zum Planen da an Einrichtung sparst du / Aus und Aufrichtung
ist alles einsame Spitze bist du

Dana Schällert
Geb.1981 in Hannover, Studium der Germanistik, Kunst und Philosophie in Bremen. Inzwischen arbeitet sie als Fachleiterin für das Fach Deutsch am Studienseminar in Salzgitter, schreibt wissenschaftliche, didaktische und mit Leidenschaft literarische Texte, vor allem Lyrik.