Turm / Etcetera 87 / Lyrik / Florian Neuner: ladenburg, römischer wehrturm u.a.

ladenburg, römischer wehrturm
steigen aus, der altstadt zu, jener vorlauf - so wie überall - zeigt dich so gar nicht wenig schüchtern: ein mann im flagen-farbterzett absolviert feinrippig, das perlend-schwitzige dosenbierzepter in händen, sein summerbodyworkout; hexenturm und möchtegernleuchtwarte am kleinen strandansatz;
der marktplatz, der sich bemüht weltoffen zu wirken. und wir unter bäumen träumen von merowingern, römern, kelten, die zigarettenpackungen, atemschutzmasken
tradierten in ihren ruinen. du erklärst mir die grundlinien deiner arbeit, da erscheint er uns aus dem meer algenbewehrt: der kaiser vespasian in seinem exil lopodonum: der alte militärrucksack
abgetragen, die schuhe nur noch ohne sohle, erzählt, wie er jahrelang auf parkplätzen und in garagen schlafen musste, wie nicht nur kinder ihn als fettsack beschimpften, wanderer ihn mit verächtlichsten blicken streiften und wie in fremdenamt, metzgerei und apotheke so gar niemand mehr mit ihm reden wolle und nur ein junger student manchmal vokabeln erfrage, oder - beifach architektur: wie er nur diese beiden kastelltore errichtet habe, die sich dem auge entziehen und wir sie trotz allem sehen? er ist ein mächtiger mann, aber nur noch in seiner statur, kopfwärts ganz gezeichnet von hitze und bluthochdruck. mit unserem wegezoll kaufe er sich wasser und nicht etwa wein, solche dekadenz stünde dem nero gut zu gesicht und caligula, er jedenfalls lebe nur von den resten. im gehen nach dieser begegnung fällt mir jenes sehr alte epigramm wieder ein, das in meiner kindheit den wintergarten eines großonkels zierte und in etwa so ging: der hund war mir im sturme treu, der mensch nicht mal im
winde.

einen hund hatte er, meines wissens, nie besessen.

klagelied für erik,
dem leuchtturm ohne licht

I
wir können uns nur in etwa vorstellen,
wie er sich fühlt,
den schlick noch immer
in den verfilzten haaren,

ihr hingegen stets ein leuchtturm ohne licht,
ein samson ohne haar.

in der schule saßst du vorn
und warst doch der letzte
im begreifen. die anderen bereisen
ferne kontinente, du fährst nur
von ost- nach westberlin.

II
das kleine glück des jägers,
abels gaben reichten nicht,
seine göttin senta zu bewegen.
und aus abel wird kain er, niemand
der ihn noch blendet.

derart wahnlos geworden,
im wissen, dein nebenbuhler
ist nur der schatten einer nebelbank
und doch nicht unwirklich
genug, dir
nähe zu verwirklichen,

streifst du um die hütte,
wie das himmlische kind,
in grimms
märchen, suchst die lücke
in der menschenkette,
dich in ihrem baccustaumel
zu verschlingen.

III
gegen echte menschen
kann man kämpfen,
dem budenzauber
ihrer grenzlandfantasie
kannst du nicht begegnen.

wissen wir denn,
wie er sich fühlt,
abgeschoben in die eigenen vier wände
und doch nur ansatzweise
verlassen.

und jetzt sitzst du wieder am gestade, erik,
der ewige teenager,
seit ihrem feuchten abgang
die haare ungewaschen,

das phantom bist längst
du selbst.

aussichtsloses fenster
blinde fenster,
dampf entlassen.

das klackern des schnees
auf den dächern der hochhäuser und

in den rinnen
dieser übergang zum ganzflüssigen
wie eine kakophonie aus drei stimmen
oder vier.

auf den verlassenen fußballfeldern
zwei verstreute bälle,

nein drei,
bilden eine raute,

geheimes zeichen für erdenbewohner,
leere spielgerüste im klirren.

die kirchtürme kommentieren
die szenerie schweigend

weiß,
wissen des nebels.

Florian Neuner
Geb.1987 in Stuttgart. Doktorand in Philosophie an der Eberhard Karls Uni. Tübingen. Studium in Tübingen und Wien. Kurse an der sfd. Zertifikat am Studio Literatur und Theater in Tübingen. Veröffentlichungen in Anthologien, Zeitschriften (u.a. mosaik, Schliff, zeitschrift der sfd) und im Internet. Lebt zur Zeit in Wien.