Turm / Etcetera 87 / Lyrik / Friederike Zelesko: Bauhaus Stairway u.a.

1. Zu dem Bild: Oskar Schlemmer – Bauhaus Stairway
Das Geländer windet sich in die Höhe.
Unter der Luftglocke Raum atmen Schlemmers Figuren.

Ihre Gesichter sind abgewandt, die Augen in die Höhlen gedrückt.
Die Worte in den Mund geschoben. Der Klang in den Ohren verschlossen.
Die Schritte haben ihren Hall an die Stille abgegeben.

Die Figuren legen ihre Arme um mich. Finger ertasten perspektivische Leere.
Stufe um Stufe heben sich Würfel, errichten Türme.
Das Zünglein Raumwaage zeigt keine Geräusche an.
Nichts wiegt.
Sie spielen mit Luftkuben, Bausteinen aus Licht, mit gewundenem Innenleben.

Die Figuren halten sich am Geländer fest, tauchen in die Farbe, mischen sie mit dem Schatten, den die geöffnete Tür an die Wand wirft, malen eine volkstümliche Musik.
Die Figuren drehen sich, die Röcke fliegen.
Sie wiegen sich im blank gescheuerten Blau, im fortschrittlichen Grün, klettern über alle Farbstufen eines Gelb, das die Sonne heizt, setzen sich ins Rot, das Feuer fängt. Die Figuren sind und ich bin ihr Gefangener.
Sie üben am Geländer meine ursprüngliche Gestalt.

2. Hagelschauer
Wenn der hochgeschossene Kumulusturm nach den Seiten zerfließt, gibt es einen Hagelschauer, sagte Franka in der Seminarrunde im metereologischen Institut, bei der man über die Wetterlagen sprach.

So ein Hagelschauer greife in ihr Leben ein, bemächtige sich ihrer erprobten Denkweise. Da Schauerwolken Minusgrade aufweisen, verwandle sich das sonst so herrliche Wasser ihres morgendlichen Duschbades in Eiskristalle und bohre sich in ihre Haut.

Nach den ersten, stechenden Schmerzen sei sie irritiert gewesen.
Doch das Signal des Schmerzes durchströme nun wohltuend ihren Körper.

Sie sei ins Bett gegangen und hätte entgegen ihrer Gewohnheit Fenster geöffnet, eine Luftströmung in die Wohnung gelassen, angesammelte Erinnerungen freigelassen.
Es war ihr, als stünde sie plötzlich im Aufwind einer offenen Tür, als sie die immer wiederkehrenden Ängste hinausgestellt hatte.

Sie dusche sich nun jeden Morgen in ihrem Schmerz. Sie beginne sich in Verwundungen hineinzudenken, indem sie die Automatik des Duschknopfes mehrmals drücke. Jedes Mal beim Betreten der Duschkabine entlade sich die Spannung.
Der plötzlich ansteigende Druck ihres Herzens, die Stoßwelle ihrer Tränen, breite sich immer weiter aus. Diese erreiche bereits eine andere Wohnung.

Sie bestimme nun selbst die Windrichtung ihres Schmerzes, der mehr und mehr nach den Seiten zerfließt.

Friederike Zelesko
Geb. in Niederösterreich. Von 1960-1969 lebte sie in London. Von 1977 bis 2002 Hochschulsekretärin im Fachbereich Physik der Bergischen Universität Wuppertal. Beiträge in  Literaturzeitschriften, Anthologien und Funk (WDR). Von 1996-2002 eine regelmäßige Kolumne in der Frankfurter Rundschau. 2011 Lyrikband „Von den Tafelfreuden, NordPark Verlag, Wuppertal. Lebt seit 2018 wieder in ihrer Heimat. Seit 2019 Mitglied bei der IG Autoren Wien. e-mail: Friederike.Zelesko@freenet.de

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Oskar Schlemmer/Bauhaus Stairway1932/ MoMA New York (Ausschnitt)
Oskar Schlemmer/Bauhaus Stairway1932/ MoMA New York (Ausschnitt)