47/Pöbel/ Lyrik: Der Führer. Michael Benaglio

Michael Benaglio
Der Führer

„Der Führer, der Führer!“
Jubeln Hunderttausende
Aus rauen Kehlen
Arbeitslos
Strecken die rechte Hand zum Gruß
Während Lichterdome, Feuerwerke
In den Himmel schießen.
Auf der Tribüne des Tempels:
Der Führer, die Hand zum Gruß erhoben.

„Der Führer, der Führer!“
Er wird uns Arbeit bringen
Und Wohlstand in den Heimen
Und Ordnung in den Strassen
Und Sauberkeit in den Schulen
Und Leistung in den Fabriken.
Hundekot befreite Gärten
Wird uns der Führer bringen.

„Der Führer, der Führer!“
Eine neue Zeit wird er uns bringen
Ein Goldenes Zeitalter
Ein Friedensreich
Gesäubert von Unrat
Gesäubert von Schmutz
Ausgemistet
Von Bettlern, Juden, Zigeunern und
Langhaarigen jungen Barrikadenstürmern.

„Der Führer, der Führer!“
Schreien im Taumel
Außer sich
In der Trance der Masse
Hunderttausende Skelette
Von Bomben zerfleischt
Hunderttausende Verhungernde
Mit dürrer Haut über trockenen Knochen.
Und während der Rauch
Zerbombter Häuser
Mit giftigem Pestatem
Aus der Kloake der Getöteten rinnt
Steht der Führer
Mit grinsendem zahnlosen Totenschädel
Auf der Tribüne des Tempels
Hebt die Hand zum Gruß
Die ihm knirschend
Vom vermodernden Körper fällt.

Michael Benaglio
Geb. 1952 in Wien. Lebt in der Steiermark. Zahlreiche Literaturlesungen und Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Dramatische Umsetzung von Lyrik auf der Bühne (Bei der „Park Skuril“-Produktion, regionale 10). Limitierte Sonderauflage: Das Geheimnis der Uhudlerschamanen, edition loomhouse, Voitsberg 2009. Buch: Der Ritt auf der Katze. Phantastische Erzählungen. Verlag sonne&mond, Wien 2010. Mitbegründer und Leiter des Forum Club Literatur seit 2005, Mitglied der Steirischen Autoren und der IG AutorInnen.
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47/Pöbel/ Lyrik: Agit-Prop-Gedicht. Reinhold Schrappeneder

Reinhold Schrappeneder
Agit-Prop-Gedicht

„Krieg und Gewalt? Die sollt’s nicht geben!
Da würde man gleich besser leben.
Soldaten wären arbeitslos,
die Generäle wär’n wir los,
verbannt wär’n Bombe und Gewehr,
es wär’ der Mensch nicht länger mehr
des Menschen schlimmster Feind –
wie unser dummer Pöbel meint.

Religion? Sollt’s auch nicht geben!
Dann würde man viel besser leben.
Nicht Pabst gäb’s, Rabbi nicht und nicht Imam,
und also Christen, Juden und Islam.
Verbannt wär’n Bombe und Gewehr,
es wär’ der Mensch nicht länger mehr
des Menschen schlimmster Feind –
wie unser dummer Pöbel meint.

Ausbeutung? Sollt’ es keine geben!
Dann würden alle besser leben.
Es gäbe weder arm noch reich,
an Chancen wären alle gleich,
verbannt wär’n Bombe und Gewehr,
es wär’ der Mensch nicht länger mehr
des Menschen schlimmster Feind –
wie unser dummer Pöbel meint.“

Ach hätten sie, die großen Lenker,
statt ihrer Geistesgröße Pracht
die Dummheit dieses Pöbels nur!
Dann wär’ die Sache bald gemacht.

Das Dumme ist: Sie wollen nicht.
Weil für sie sowieso die Sonne scheint.
So ist es. Doch so bleibt es nicht.
Wenn erst der Pöbel sich vereint ...

Reinhold Schrappeneder
Geb. 1949 in Wr. Neustadt, Vorstandsmitglied der Jura Soyfer-Gesellschaft, Mitglied der GAV und des Literaturkreises Podium, zahlreiche Veröffentlichungen u.a. bei Suhrkamp, der Neuen Zürcher Zeitung und im ORF, mehrere Literaturpreise, lebt in Wien.
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44/ Lyrik: ohne titel. Irene Neuwerth

ohne titel
Irene Neuwerth

hinter dem zaun
wo der strauch geblüht
hab ich vergessen
das leid der welt
die steine die schüsse die bomben
die drogen
das alles
ist draußen vorbeigezogen

hinter dem zaun
wo der wein gereift
hab ich verdrängt
den hunger der welt
die wüste die weite die kinder
die alten
das alles
wollte ich draußen halten

hinter dem zaun
wo die grille gehaust
hab ich versäumt
den Hass der welt
die kriege den kerker die folter
die trauer
das alles
lag vor dem zaun auf der lauer

…dann hab ich deinen schrei
aufgefangen
so nah…da endlich
bin ich hinausgegangen

Irene Neuwerth
Geb. 1930 in Dresden, erlernter Beruf Kinderpflegerin schreibt vorwiegend Lyrik, Mundartgedichte, Liedtexte (auch für Chor) sowie Kurzprosa. Mitglied der AGA - Arbeitsgemeinschaft für Autorinen und der IG-Autoren sowie des österreichischen Schriftstellerverbandes. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien sowie im ORF. Kindergeschichten und Gedichte im Breitschopf-Verlag.1993 Förderungspreis des Luitpold Stern-Preises, 2003 Erster Lyrikpreis VHS-Völklingen (Saarland BRD)
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