26/ Prosa: Im Wortlager, Alfred Dorfer

etcetera 26/Oktober 06/Nahaufnahme
IM WORTLAGER

Alfred Dorfer

Wenn das Wort nicht nur im Anfang, sondern auch im Ende ist, das Verbliebene, es nur mehr Sprache gibt und Schrift, die ganz einsam durch die Bücher zieht und still in Bibliotheken sitzt, die Zeit nicht kennend, abgedruckt und Wortgewalt das andere unterdrückt, das nicht sich formulieren kann.

Wenn alles wörtlich ist und links und rechts des Grates der Abgrund steht des Relativen, die Hänge ungesichert, nass und kalt, kein Basislager mehr, nur dünne Luft, bis man es schafft auf einen Gipfel zu gelangen, der keinen Weitblick hat, nur Wind. Und wiederum ein kleines Gipfelbuch, drinnen Worte, Wortebuch. Worte, die den Wanderer spotten um sich dann nicht mehr zu verständigen, sich zu verwirren, sich bekämpfen, ein Wörterbuch entsteht.

Man wandert weiter, doch was gibt es noch – nach einem Gipfel – kann nur ein Abstieg sein, die Worte kreisen kreischend, wie schwarze, gedruckte Dohlen um deinen Kopf, versuchen deinen Proviant zu kriegen, der dir die Bilder schenkt und Freude über etwas Wärme.

Sie ziehen an deinem Gedächtnis, während du mit müden unbedachten Schritten über weiches Moos dich tastest, sie bohren tiefe Fragen in dich, bis du perforiert und transparent für alle Fragen eine Antwort weißt.

Du bist der Wanderer, der das Ziel hinter sich hat, kannst nicht mehr halten, der Weg geht dich, der Proviant ist aufgezehrt.

Die Nacht – man fürchtet sich nicht mehr – es gibt ein Wort als Wächter, der die Dunkelheit durchdringt, und dir dein Lager zeigt, ein andres bezeichnet dir die Ruhe und wieder ein andres sagt, es sei der Traum und seine Waffe sei das Vergessen. Unwiederbringlich, unbesiegbar, keine Mauer könnte dieses leisten, schlaf, schlaf jetzt.

Der Traum spricht dann: Wenn überall die Sprache ist und kein Entrinnen, wird das Schweigen an die Wand gestellt.

Man hörte letzte Woche von einem Komma, das versuchte zu entkommen, aus einem Relativsatz, doch es kam nicht weit, wurde gefasst und liquidiert und Punkt.

Ein Blick wiederum, der hatte keinen Namen, ein Illegaler also, hier in unserer Mitte, kein Wort, das sich für ihn fand, kein Begriff, den man für ihn hatte. Kein Ausweg, man verbot dem Blick zu schweifen und sich mit einem Auge zu einem Augendblick zu paaren.

Der Blick vertrocknete und dafür gab es dann ein Wort. Alles war dann wieder wörtlich und keine Unruhe, kein Wind im Satz, alles Grammatik. Die Großbuchstaben, die schon viel gesehen hatten, erzählten dann den Kleinen die Legenden, die aus ihnen allen bestanden und draußen pfiff der Wind um die Geschichten und rüttelte an den Fugen der Nebensätze, das Fragezeichen hatte sich heute schon früher hingelegt und das Prädikat löschte das Licht.

Und beim Erwachen holt dich dann der Morgen ab. Du wirst ihn gleich erkennen, er ist gelb, immer im Weggehen, steht niemals still und sein Schritt ist wie Musik. Die Musik des Gehens, kein Marsch, doch treibt sie dich. Er wird dich führen bis zur ersten Rast, dann muss er gehen, doch du bist verdammt zu bleiben, im Wörterwald, wo man dich, bevor du es noch sagen kannst, besagt, bevor du deine Worte findest, bewortet und bevor du sprichst, bespracht. Im Ende war das Wort und das war – bei Gott – allein, doch man wusste woran man bei ihm war.

Biographie: Autor
Geb. 1961 in Wien. Gehört zu den bekanntesten Kabarettisten und Filmschauspielern Österreichs.
Ab 1982 als Schauspieler tätig: 1983 am Theater in der Josefstadt in „Christinas Heimreise“,
1989 dann in „Rikiki” bei den Wiener Festwochen.
1990 Regie bei „Educating Rita” mit Seeböck/Mottl für das Volkstheater in den Außenbezirken,
1991 das gemeinsam mit Josef Hader verfasste Theaterstück „Indien“, das den Hauptpreis des Österreichischen Kleinkunstpreises erhielt.
Gründete 1984 die Kabarettgruppe Schlabarett mit dem Programm „Am Tag davor“, dessen Nachfolgeprogramm „Atompilz von links“ 1985 den Österreichischen Kleinkunstförderpreis erhielt.
Ab 1993 die ersten drei Soloprogramme „Alles Gute“, „Ohne Netz“ und „Badeschluss“.
Nach einer ausgedehnten Tournee durch Österreich und Deutschland 2000 sein viertes Soloprogramm „heim.at“, das 2002 mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet wurde.
März 2006 Premiere seines neuen Soloprogrammes „Fremd“.
Zudem 1993 Hauptrolle im Film „Indien“ mit Josef Hader.
Im Jahr darauf Kinofilm „Muttertag“. 1995 „Freispiel“.
1998 Start der TV-Satire „MA 2412“ im ORF sowie der Kinofilm „Wanted“. 2003 „Ravioli“, gemeinsam mit Günther Paal. Ab 2004 Gastgeber von „Dorfers Donnerstalk“, einer neunteiligen, wöchentlich im ORF ausgestrahlten und mit der Goldenen Romy ausgezeichneten Talkshow gemeinsam mit Florian Scheuba und Günther Paal.
Der im etcetera 26 vorliegende Text ist Dorfers erste rein literarische Veröffentlichung.