69/LitArenaVIII/Prosa: Elisabeth Pranter : Ja oder nein

Verdammt, was sag' ich jetzt? Jetzt schaut er mich so an, ich kann ja nicht einfach nichts sagen, irgendwas muss ich doch sagen, aber was? Was will ich denn? Will ich? Will ich nicht?

Sicher, er ist ein lieber Kerl, und diese Augen, die sind einfach unwiderstehlich. Aber andererseits...ich meine, ein ganzes Leben ist schon lang. Also, unendlich lang praktisch, weil bis ans Ende meiner Tage... ist einfach ewig. Ok, einmal Luft holen.

Wieso fragt er mich auch hier, in einem Lokal, wo noch so viele andere Leute sind? Wieso nicht beim Picknick im Park oder im Riesenrad oder so? Wobei, natürlich schon sehr süß, mit dem rosa Prosecco und dem Ring...oh mein Gott, der Ring. Ob das ein echter Diamant ist? Bestimmt, also, was das angeht hat er sich sicher nicht lumpen lassen. Mein Gott, was der wohl gekostet hat, da hätten wir genauso gut die Ledercouch kaufen können statt diesem Stoffsofa, das jetzt schon den Rotweinfleck hat. Oder einen schönen Urlaub machen können, uns einmal einen Weitstreckenflug leisten können und einen Stern mehr oder so.

Ach, was denk ich schon wieder, ich muss ausatmen wieder einmal, Luft zuwedeln mit der Hand, einatmen, so ist gut. Peter lächelt und sieht mich an, so sicher und doch so unsicher irgendwie. Ganz anders als Luigi damals, ach Luigi, das war schon ein scharfer Kerl. Ein Blick von dem und mir wurde ganz anders, damals, in Mailand, das war ein Sommer...eiskaltes Granita, schmusen im Park, baden am Comer See...und der Sonnenbrand meines Lebens. Aber was für eine Zeit, ach Luigi, ganz wie im Klischee, mit der Vespa hat er mich abgeholt und mit mir das Ufer entlang gerast. Und was haben uns die Leute nachgeschaut, ich mit rotem Kleid und blondem wehenden Haar, und der durchtrainierte, braungebrannte Luigi – wir waren ein schönes Paar. Peter würde bestimmt höchstens 30 fahren und dreimal überprüfen, ob die Helme wohl richtig sitzen. Glaube ich, aber ich habe ihn auch noch nie Vespa fahren sehen, zugegeben.

Aber was denke ich da schon wieder! Ich mache den Mund auf und schließe ihn gleich wieder. Hoffentlich habe ich nichts zwischen den Zähnen, was hab ich Idiot das Zitronenparfait mit Mohn bestellt, bestimmt hab ich überall diese schwarzen Punkte, ach, und Peter sagt gar nichts. Aber er hat auch gekostet, und er strahlt mich an, makellos, seine Zähne. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, war ich mir sicher, dass seine Eltern Zahnärzte sind. Aber nein, sind sie nicht. Seine Mutter ist Konditorin, also eigentlich ein Wunder, dass seine Zähne so gut sind. Und sie ist schuld, dass ich, seit ich Peter kenne, nicht mehr in mein Lieblingskleid mit dem tiefen Rückenausschnitt passe, in das rote, dabei hat mir das so gut gestanden. Es war immer enganliegend, das schon, aber jetzt krieg ich es nicht einmal über den Hintern.

Ach, dann hätte ich bei der Hochzeitstorte sicher nichts mitzureden, weil seine Mutter ja so auf Überraschungen steht, so wie damals, als sie uns als Überraschung diese Burgtheaterkarten geschenkt hat, genau für das Wochenende, an dem ich eigentlich zur Fête Blanche gehen wollte mit den Mädels.

Und sein Vater, der ist Gärtner, und von dem hat er die Zähne – Gott sei Dank – wohl wirklich nicht. Er kann ja nichts dafür, aber die sind echt mehr gelb als weiß, ich hab ja selber keine reinweißen Zähne, und jetzt wahrscheinlich schon gar nicht, wegen des blöden Mohns da, aber trotzdem. Da würde ich mir sie schon bleichen lassen.

Oh Gott, wenn ich ihn wirklich heirate, muss ich sie mir so oder so bleichen lassen! Im weißen Kleid – da schauen meine Zähne dann nämlich sonst auch gelb aus.

Aber will ich überhaupt? Da war doch was, ich weiß nicht. Ich bin doch viel zu jung, wenn man heiratet, dann ist das Leben doch schon gelaufen. Also nicht vorbei, aber ich meine, dann passiert nichts mehr, oder? Keine Abenteuer meine ich, dann ist alles so fix vorgeschrieben: Wir heiraten, wir kriegen ein, zwei Kinder – drei, wenn was schief läuft, weil zwei reichen eigentlich, finde ich – und dann Sorgenfalten, Kredit, Streit. Oh Gott, und wenn die Kinder erst pubertieren! Wenn unsere Tochter auch nur halb so schlimm ist wie ich, na dann gute Nacht. Wenn die mir heimkommt mit einem Bauchnabelpiercing, oder noch schlimmer, mit einem Typen! Also mit was für einem Typen, wenn das so einer ist, der nicht rechtschreiben kann oder findet, das Kafka schon kranke Bilder gemalt hat und Barcelona ein echt cooles Land ist...Oder der Sohn plötzlich anfängt, regelmäßig zu kiffen. Ich mein, einmal beim

Fortgehen einen Joint, ok, aber wenn das dann zur Gewohnheit wird? Oder noch schlimmer, wenn er anfängt echt zu rauchen? Also, so Zigaretten?

Peter lasst ihnen dann sicher alles durchgehen, und ich bin die Böse, und dann werde ich sauer, und dann streiten Peter und ich noch mehr, und dann lassen wir uns scheiden.

Also sollte ich den Antrag doch gar nicht erst annehmen oder? Bevor es so endet, und dann stürzen Hannah und Paul – oder von mir aus vielleicht auch Verena und Florian, wenn Peter Hannah und Paul als Namen gar nicht gefallen – dann noch weiter ab, und Hannah brennt durch mit diesem unterbelichteten Halbstarken und Paul probiert härtere Sachen und wird womöglich drogensüchtig...nein nein, also von dem her, nein!

Auweh, Luft holen, ich wedle mir immer noch Luft zu, bald muss ich was sagen, wie viele Sekunden sind schon vergangen? Er hat doch gerade erst gefragt, oder vor einer Ewigkeit, ich kann es nicht sagen, er lächelt immer noch, aber jetzt macht er den Mund zu, er schaut mir immer noch in die Augen. Seine Augen sind wirklich schön, in sie hab ich mich als erstes verliebt. Dieses Braun, so beruhigend, und doch haben sie so ein freches Blitzen, hin und wieder. Ja, in seine Augen und seine Stimme. Aber es war jetzt nicht die Liebe auf den ersten Blick, also gefallen hat er mir schon, und ich habe ihn immer gemocht, aber so wie die Leute sagen, so zack – Blitz schlägt ein, ich weiß, das ist er jetzt, so war das nicht mit uns. Also, das hat schon gedauert. Mein Gott, lange her ist das jetzt schon, vier Jahre – nein, fünf bald!

Eigentlich schon recht lang, also ich meine, in unserem Alter jetzt. Aber nur weil er es so lang mit mir aushaltet, muss ich ihn ja nicht gleich heiraten. Ich meine, was wenn ich jetzt ja sage, weil, ich liebe ihn ja schon. Mein Gott, mein Herz klopft, ich weiß gar nicht, was hab ich nur? Ich hab Angst, aber ich freu mich. Aber was mach ich, wenn ich mich nächste Woche die wahre Liebe meines Lebens triff? Ich kann ja dann nicht plötzlich nein sagen, nein, Schatzi, ich hab's mir anders überlegt. Nein, das würde ihm das Herz brechen, oh nein, das würde ich nicht aushalten, ihn traurig zu sehen, das ist das Schlimmste. Wobei, die Liebe meines Lebens würde der Diamantenring sowieso abschrecken, und ich würde dann ganz allein dastehen. So ein Ring zur Verlobung! Er spinnt ja. Aber wunderschön ist er, der Ring. Ganz schlicht, mit diesem winzigen kleinen Steinchen, unaufdringlich, und doch glitzert es so, jetzt in dem Kerzenlicht.

Was mach ich jetzt? Wie machen das die Mädels sonst immer? In Sekundenbruchteilen entscheiden. Aber gut, die Scheidungsrate ist ja auch hoch. Und viele bearbeiten ihren Typen ja auch sicher ewig, damit er dann endlich irgendwann den Antrag macht. Aber ich nicht, nein, ich bin nicht so, ich denke immer, ich kenne die Leute, und dann überraschen sie mich immer wieder. Sogar Peter! Nie hätte ich damit gerechnet, dass er mir einen Antrag macht, in einem Restaurant, so klassisch und spießig. Ich meine, ich hätte wenn eher damit gerechnet, dass er beim Zeitunglesen einmal aufschaut und sowas sagt wie: "Hey Schatzi, im Mondkalender steht, heute ist ein guter Tag, um große Entscheidungen zu treffen. Wie schaut's aus, heiraten wir jetzt dann einmal?" So beiläufig eher, zwischen Kaffee und Kreuzworträtsel. Wahrscheinlich hätte ich eh auch dann die Mohnkörner zwischen den Zähnen, vom Weckerl beim Frühstück, und dann wäre ich nicht so unter zu Zugzwang. Dann würde ich einfach weiter auf meinen Teil von der Zeitung konzentrieren, mich an der Schläfe kratzen und so etwas sagen wie: "Hm, wie meinst? Ich lese da gerade von einer Katze, die ist tatsächlich mit dem Zug von München bis Amsterdam gefahren, unglaublich, oder?"

Wo bin ich schon wieder mit meinen Gedanken? Ausatmen, einatmen. Ausatmen, einatmen. Ach Peter.

Er war schon immer so geduldig mit mir, immer wenn wir Eis essen sind und ich mich dreimal umentscheide. Oder beim Zusammenziehen damals, mein Gott, bis wir eine Wohnung gefunden haben! Oder beim Reiseziel für den Urlaub aussuchen, also das mit dem Frühbucherbonus kann man bei mir vergessen. Und das mit dem Stoffsofa war ja auch so eine Sache, aber egal. Also, Peter ist echt... echt lieb. Und er würde mir nie mit der Vespa über den Fuß fahren, so wie Luigi. Und seine Eltern sind ja auch total in Ordnung, und seine Schwester... und seine Katze.

Aber gibt es da draußen noch wen, der besser zu mir passt? Der Typ dahinten zum Beispiel, mit dem Dreitagesbart, der hat mich vorher schon sehr freundlich angelächelt, der schaut sehr sympathisch aus. Vielleicht ist der eigentlich für mich bestimmt, vielleicht ist das der Plan des Universums, dass ich jetzt nein sage zu Peter, und dann geht der heim und ich bleibe sitzen und weine ein bisschen, und dann kommt der dunkle Dreitagebart-Typ, der nebenbei auch sehr durchtrainiert aussieht, und tröstet mich. Und dann kommen wir drauf, dass eigentlich wir zwei füreinander bestimmt sind. Aber das ist ja so eine Sache. Wahrscheinlich ist es ja so, da gibt es mehrere, in die man sich verlieben kann, mehrere, mit denen man es vielleicht sogar sein ganzes Leben aushaltet. Oder? Aber wenn man sich auf wenn so richtig einlasst, dann man muss sich halt entscheiden. Also, es gibt da draußen sicher auch wen, der besser zu Peter passt als ich, realistisch gesehen. Was, wenn er sie trifft? Wenn bei ihm plötzlich der Blitz einschlägt? Hoffentlich trifft er die nie! Aber darf ich mir das wünschen? Ich meine, ich will ja, dass er glücklich ist. Und mehr verdient als ich hätte sie ihn wahrscheinlich, er tut sich da was an – Ring, Zitronenparfait, Anzug und so, und ich sitz einfach da, mit offenem Mund, und bringt kein Wort heraus.

Ich bin mir nicht sicher, was passieren wird, wenn ich jetzt ja sage. Es wird sicher alles anders kommen, als ich es mir vorstelle, das bestimmt. Also, die Hochzeitstorte zum Beispiel, die auf jeden Fall. Die Hochzeit überhaupt, das Kleid und dann auch der ganze Rest, vielleicht gibt es dann gar keine Hannah und keinen Paul, vielleicht gibt es eine Hannah und eine Verena, oder einen Paul und einen Florian – oder einfach nur Peter und mich.

So fix ist das alles ja dann doch wieder nicht, so endgültig – Hochzeit und Leben vorbei, keine Abenteuer und so, oder? Und eigentlich, also ohne Peter... das kann ich mir irgendwie nicht so gut vorstellen. Aber trotzdem, wahrscheinlich sollte ich nein sagen...oder ja? Oder nein? Aber irgendwas, irgendwas muss ich doch sagen!

Jetzt nimmt er meine Hand, und meine Hand in seiner Hand, das fühlt sich an wie nach Hause kommen. Ich spüre, dass mir Tränen über die Wangen laufen.

„Na?", fragt er.

 

 

Elisabeth Pranter

Geb. 1995 in Graz, begann während ihrer Schulzeit mit dem Schreiben. Teilnahme an Werkstatttreffen und Schreibwochen der Literaturwerkstatt Graz. Auslandsaufenthalt in Spanien. Studium Journalismus und PR, FH Joanneum Graz, studiert seit 2016 : Transkulturelle Kommunikation (Spanisch/Russisch) Universität Graz. 2014 - 3. Platz beim Feldbacher Literaturpreis: Kurzgeschichte „Die Giraffe“. 2015 Auszeichnung beim Straßengler Literaturpreis für die Kurzgeschichte „Das Nilpferd“. 2016 Anerkennungspreis für den Text „Sock’n’Roll“.