76-77/Stern/Unstern/Prosa/Regina Appel: Besuch

Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal ist es nicht weit. Dieses Mal bin ich mir nahe. Den Raum erkenne ich wieder. Die Küche. Ein halbes Leben lang war sie mir vertraut. Ein halbes Leben lang bin ich nicht mehr da gewesen. 

Das Feuer im Ofen knistert. Die Hitze raubt den Bratenresten die Geschmeidigkeit. Der Tisch in der Mitte. Zeuge eines Abendessens. Stumm steigt ihr gemütlicher Abend zur Decke. Sanft lässt er sich nieder auf der warmen Luft. 

Die Küchenfenster sind mit Dunst beschlagen. Sie trennen mich von der Dunkelheit. Die Lampe hängt tief, teilt den Raum in zwei Hälften. Ich räume das Geschirr ab. Teller für Teller, Glas für Glas, Gabel für Gabel. 

Ich lege nach. Die Ofentür bleibt offen. Ich will es brennen sehen. Als ich den Tisch abwische kann ich sie spüren. Die Ritzungen. Sie sind noch da. Wir alle hatten Kerben hinterlassen. Und uns dabei die Ewigkeit geschworen. 

An einer Furche halten meine Finger. Verharren. Sanft umrande ich die Vertiefung. Weich dringe ich ein. Meine Fingerspitzen vibrieren. Lösen sich auf.  Dort wo du vor vielen Jahren das Messer angesetzt hast. 

Der Wein trübt das dünne Glas. Verschleiert meinen Blick. Am Tisch nehme ich Platz. Damals war das dein Platz. Bis vor einer Ewigkeit. Bis du weggegangen bist. Dein letzter Besuch, ein halbes Leben her.

Stur beschwörend, den Finger in der Furche. Die Leere saugt mich auf. Meine Bilder verschwimmen. Zeit und Raum zerfließen. Schwappen hinein und heraus aus der Furche. Die dicke Holzplatte blättert die Vergangenheit auf. 

Das Knarzen des Tors schleicht sich an mich heran. Die Schritte brechen in mich ein. Das milchige Glasfenster der Küchentür sichert mich. Es hält mich fest, lässt mich nicht fallen. Ein Schatten erscheint. Dunkel tritt er ein. 

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Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal bist du anders. Dieses Mal weiß ich Bescheid. Der Vollbart. Die grauen Haare. Geschichtenerzählende Falten um deine Augen. Fremd siehst du aus. Bei deinem Besuch zu Hause. 

Du kommst auf mich zu. Setzt dich neben mich. Damals war das mein Platz. Ich fordere meine Hände auf. Dich zu berühren. Doch sie bewegen sich nicht. Dein Geruch schleicht in mich. Faltet mich auf. Streicht mich glatt.

Du atmest ein. Durchbrichst die Zeit. Hältst sie an. Deine Hände greifen nach meinen. Der Rest meines Körpers taucht ab. Versinkt im Raum. Unbeweglich. Ausgeliefert. An der Oberfläche treibend. Du springst in mich hinein. 

So bleiben wir. Bis du deine Hände aus meinen Haaren entwirrst. Gäbe es Worte, fände ich keine. Gäbe es Zeit, spürte ich sie nicht. Gäbe es eine Zukunft, wäre sie geschehen. Wir haben nur die Ewigkeit zu verschwenden. 

Die Nacht greift nach dir. Du hüllst mich ein, in deinen Mantel. Deckst mich zu, mit deinem Schweigen. Damals war er dein Lieblingsmantel. Nun ist er ungebraucht. Keine Flecken. Keine Falten. Keine Risse. Im Gegensatz zu dir.

Nebeneinander setzen wir uns auf die Schaukel. Warm spüre ich deine Hand in meiner. Mein Kopf ruht an deiner Schulter.  Der Himmel präsentiert seine Sterne. Wir schaukeln. Du mich. Ich dich. Jeder Schwung ein Atemzug. 

Du streichst über meine Wange. Noch nicht, denke ich. Du blickst in den Himmel. Ich kenne den Stern, den du ansiehst. Ich atme dich ein. Ich schlucke mich hinunter. Ich blicke hoch. Du bist verschwunden. 

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Still verbleibe ich. Bewege meine Hand nicht. Bewahre deine Nähe. Alles Erlebte. Alles Erträumte. Alles Geschehene. Meine Erinnerungen und deine Besuche verschwimmen. Es macht mir nichts aus. 

Vielleicht ist deine Ewigkeit meine Ewigkeit. Geschworen oder ungeschworen. Blicke ich in den Sternenhimmel, suche ich nie deinen Stern, sondern dichte dir jedes Mal einen neuen an.

 

 

Regina Appel

Geb. 1987 im Waldviertel. Absolvierte das Studium der Medieninformatik an der Technischen Universität Wien. Lebt und arbeitet in Wien. Malt synästhetische Bilder und schreibt kurze Geschichten. Veröffentlichungen im DUM und im &radieschen. regina_appel@gmx.at