93 / Wirklich/Unwirklich / Prosa / Friedrich Hahn: Literatur ist, wenn man trotzdem schreibt.

Ich kenne den Autor von „Geliehene Liebe“, Max Mustermann, persönlich. Ich kenne ihn nicht gut, also wir würden uns nie Freunde nennen. Aber Freundschaften unter AutorInnen sind ohnehin selten. Zu sehr ist man auch KonkurrentIn. Aber ich kenne ihn so weit, dass ich manch Parallele seiner Biografie zur Hauptfigur in „Geliehene Liebe“ erkenne. Da kann einem manches schon peinlich sein. Ich denke an Hemingway. Hat er nicht sinngemäß gesagt, ein Text wäre dann gut, wenn er einem nicht mehr peinlich ist. Gemeint sind damit zwar eher die Urheber, aber ist man als Leser nicht immer auch Co-AutorIn? Tja …
Ich stell mir vor, ich sitze mit dem Schöpfer von „Geliehene Liebe” für ein Interview in seinem Stammbeisel. Ich habe mir einen Fragenkatalog zusammengestellt. Es gibt für mich zwei Arten von SchriftstellerInnen. Die einen stellen mit ihren Geschichten Fragen, auch wenn vielleicht kein einziger Satz mit einem Fragezeichen endet. Und dann gibt es AutorInnen, die mit ihren Texten reagieren, auf das antworten, was ihnen die Welt vorsetzt. Wie Skifahrer, die bei weichem Schnee nichts zurückbekommen und langsam sind. Im Gegensatz zu einem harten, eisigen Untergrund, wo mehr zurückkommt und man damit schneller ist. Literatur also ein eisiges, schnelles Geschäft? Welchen Untergrund bevorzugen Sie? Das wäre schon einmal meine erste Frage.
Meine zweite Frage an Max Mustermann wäre: Schreiben Sie eher in Glücksphasen, oder wenn es Ihnen schlecht geht? Und wann bekommen Sie beim Schreiben mehr vom Leben und/oder vom Schreiben zurück? Dies die Szenen in einem filmischen Autorenportrait, wo der oder die betreffende AutorIn beim Gehen gefilmt wird.
Max Mustermann ist ein Suchender. Auf der Suche nach Gewissheit. Für seine Figuren. Für sich. Jeder Gewissheit geht eine Ungewissheit voraus. Davon erzählt Max Mustermann. Er will stellvertretend für seine Helden und Antihelden ehrlich zu sich sein. Bei sich sein. Nacherzählbares bleibt bei dieser Suche auf der Strecke. Rezensionen werden zu braven Nacherzählungen. Bei Mustermann gibt es auch nicht viel nachzuerzählen. Stattdessen immer wieder seine Versicherung „Das bin ich nicht”. Aber das ist das Berufsrisiko eines Autors. Je öfter er seine Protagonisten sagen lässt, „das bin nicht ich”, umso mehr spricht hier der Autor selbst. Aber niemand gibt es neuerdings zu. Heute heißt alles Autobiografische „autofiktional”. Was vielleicht sogar stimmt. Denn nie lügt man unverschämter, als wenn man von sich selbst spricht beziehungsweise schreibt.

Max Mustermann erzählt überdies aus einer großen Distanz, er macht das Kleine groß, bricht das Große auf nicht wiedererkennbare Details herunter, bringt Dinge zusammen, die so gar nicht zusammenpassen, nur um von sich abzulenken. Max Mustermann hat einen Roman vorgelegt, der nichts meint, aber auch fast nichts auslässt. Es geht um nichts. Also um alles. Die Sprache muss keiner Story, keiner Figur gerecht werden, sondern genügt sich selbst. Wem das nicht genügt, kann sich immer noch auf die Unzuverlässigkeit des Erzählers ausreden. Und diese als Vorzug preisen.

 

Friedrich Hahn
Geb. 1952; 50 Bücher, 20 Arbeiten für Hörfunk und Bühne, Ausstellungen, Performances, Medienaktionen.